Buchhalter Pätzold über das Bilanz ziehen: „Der Zwang führt zu Entscheidungen“
Die wenigsten lieben es, Bilanz zu ziehen. Doch es tut gut. Sagt einer, der schon viele Bilanzen gezogen hat – der Buchhalter Detlef Pätzold,
Detlef Pätzold ist in gewisser Weise Teil der taz.nord, er hat sein Büro im selben Haus wie die Redaktion. Man hört ihn oft im Nachbarzimmer lachen, er hat eine Heiterkeit und Redefreude, die dem Klischee des Buchhalters nicht entspricht. Viele gute Gründe also, ihn zum Wesen der Bilanz zu befragen.
taz: Ist Bilanz zu ziehen etwas Wohltuendes, Detlef?
Detlef Pätzold: Wenn es eine gute ist, macht es richtig Spaß. Aber es ist immer eine schwierige Geburt.
Warum?
Du willst zwei unterschiedliche Dinge unter einen Hut bringen. Der Bank willst du erzählen, dass du ganz viel Geld verdienst, jeden Kredit zurückzahlen kannst, und dem Finanzamt willst du erzählen, dass du am Hungertuch nagst. Und wenn es Mitgesellschafter gibt und du ihnen vielleicht etwas ausschütten musst, willst du ihnen auch etwas vorjammern – aber nicht so viel, dass sie auf die Idee kommen, den Laden zu verkaufen.
Das wirft kein so schönes Licht auf das Wesen deiner Klienten.
60, ist seit 30 Jahren Buchhalter, inzwischen als selbstständiger Unternehmer. Er hat als Prokurist gearbeitet und Bilanzen sowohl für andere als auch für das eigene Unternehmen erstellt. Gemeinsam mit seiner Frau führt er eine Kita in Hamburg.
Das kann ja auch positiv sein: Man will das Geschäft erhalten. Es gibt unterschiedliche Interessen, das liegt in der Natur der Sache.
Stößt du als Buchhalter auf die Nachtseiten der menschlichen Natur?
Nein. Eher auf die Kreativität, wenn die Leute sich Gedanken machen, wie sie diese Ziele erreichen können.
Zuletzt hat sich die HSH Nordbank Gedanken darüber gemacht.
Die waren sehr kreativ, haben viele tolle Geschäfte gemacht.
Zurück zur Bilanz: Was ist das Schöne daran?
Ich finde gut daran, alles einmal auf einen Punkt zu bringen. Auch den Zwang dazu. Er führt auch zu Entscheidungen. Gerade wenn es unangenehm ist, schiebt man die Dinge gern vor sich her. Einige geben die Bilanz ab, wenn die Dinge gut laufen und wenn sie schlecht ist, blenden sie es aus.
Ist der Zeitpunkt der Bilanz für Unternehmer nicht von außen vorgegeben?
Man hat Gestaltungsspielraum. Die kaufmännisch geprägten Menschen kennen, wenn sie kein Weihnachtsgeschäft haben, im September das Jahresergebnis. Ich habe einmal in einem großen Konzern gearbeitet, der seine Bilanz schon am 29. 12. fertig hatte und sie am 2. oder 3. Januar veröffentlichte.
Und die nicht kaufmännisch Geprägten?
Die geben den Schuhkarton zum Steuerberater, der ihn auch ungern anfasst, weil er Unheil ahnt.
Welcher Art?
Da kommen böse Zahlen raus und der Mandant ist ärgerlich und sagt: „Das kann nicht stimmen, da haben Sie sich verrechnet.“ Die menschliche Vorstellung ist oft etwas anderes als das, was die Zahlen hergeben. Insbesondere, wenn man kein kaufmännisches Gefühl hat. Diese Unternehmer können trotzdem erfolgreich sein. Sie haben in der Regel einen Buchhalter, der den Chef zurückhält, wenn er zu überschäumend ist.
Das heißt, der Buchhalter hat echten Einfluss?
Er muss mitdenken und ist häufig auch eine Vertrauensperson: Er ist oft der einzige, der alles weiß und kennt. Was im Privatleben der Arzt ist, ist im Kaufmännischen der Buchhalter. Wobei er die Bilanz nicht selbst erstellt, er sammelt die Daten dafür.
Arbeitest du lieber mit den Kaufmännischen oder den Schuhkartonlern zusammen?
Lieber mit den Kaufleuten. Das andere kostet ohne Ende Nerven, Zeit und Geld. Aus der Unkenntnis heraus entsteht oft auch Misstrauen. Es ist ja auch ganz natürlich: Wir Menschen haben am Jahresende gefühlsmäßig eher die letzte Zeit im Blick und nicht das ganze Jahr.
Hat dich dein Beruf geprägt?
Wenn man sagt: Buchhalter sind abenteuerlustig, ja. Ganz viele Buchhalter machen abenteuerliche Sportarten: Fallschirmspringen, Rafting – das sind Buchhalter, die da unterwegs sind.
Das Bild des Buchhalters in der Öffentlichkeit ist ja eher ein anderes.
Das Bild vom Mann mit den Ärmelschonern heben und pflegen wir auch. Das weckt Vertrauen bei den Unternehmern.
Was hat dich an dem Beruf gereizt?
Ich war früher ein Mensch, der alles planen wollte. Und Zahlen geben die Möglichkeit darzustellen, wie etwas funktioniert – damit kann man lange im Voraus planen. Mit den Jahren hat die Arbeit auch immer neue Aspekte bekommen. Früher war Buchhaltung Zahlen pinseln. Heute geht es darum, Sachverhalte zu analysieren und einzuordnen.
Der Glaube an die Planbarkeit hat dich inzwischen verlassen?
Ich habe mal Kurse besucht, wie man eine Frau anspricht, die nie zu etwas geführt haben. Dann traf ich meine spätere Frau, sah sie und dachte: Die möchte ich heiraten. Seitdem lasse ich die Dinge eher auf mich zukommen.
Wie viel Wahrheit liegt in Bilanzen – können sich darin überhaupt Tendenzen spiegeln?
Die spiegeln sich und der Sachkundige, der die Hintergründe in der Branche kennt, vergleicht mindestens drei Bilanzen. Es kommt auch darauf an, welche Bilanz man vor sich hat: Die internen sind viel weiter aufgefächert als die veröffentlichten.
Ist die Mehrheit der Leute bereit für die Wahrheiten, die Bilanzen bringen?
Eigentlich sind wir nicht so gepolt, ihnen ins Auge zu sehen. Aber je mehr Kenntnisse wir haben, desto eher begreifen wir die Bilanz auch als Instrument.
Weil die Dämonen dann zum Haustier werden.
Ja, wenn ich den Fakten ins Gesicht sehe. Ich kenne einen Unternehmer, der in den Bankrott ging, und es war toll zu sehen: Er hat Millionen verloren, zwei Monate gejammert und sich dann eine Säge gekauft und Europaletten gesägt. Und wie es so ist: Heute hat er wieder ein nettes kleines Unternehmen damit aufgebaut.
Das ist natürlich der sehr glückliche Fall: Bankrott als Chance.
Viele Menschen, die vor dem Bankrott stehen, sind alt und grau. Dann kommt der Bankrott, du sprichst sie später wieder und sie sind entspannt: Die Angst ist weg.
Mein Großvater hat Ende des Jahres immer eine private Bilanz gezogen: Er schrieb sich jedes Jahr seine Pläne für das nächste auf und verglich dann am Jahresende, was dabei herausgekommen war. Hältst du das für klug?
Ja. Solange das kein Diktat, sondern eine Unterstützung ist. Es kann ja auch dabei helfen, zu sehen, wo man sich selbst beschummelt – sei es, dass man sich die Dinge zu schön oder zu schlecht redet. Früher war das Bilanzieren zum Jahresende eine Menge Arbeit, das ist durch die Hilfe der EDV kaum mehr so. Jetzt kommen meine Kunden zum Jahresende eher runter. Telefonisch ist niemand mehr zu erreichen, es ist gestattet, einfach mal zwischen den Zahlen nachzugucken: Was tue ich eigentlich? Was ist mit meinem Personal – warum gab es solch einen Wechsel?
Ziehst du selbst am Jahresende Bilanz?
Nein.
Weder privat noch als Unternehmer?
Als Unternehmer steht die Bilanz für mich schon im Oktober.
Und als Privatmensch?
Da setze ich mich in der letzten Woche des Jahres hin und lasse das Jahr noch einmal vor mir ablaufen.
Also doch.
Also doch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Netzgebühren für Unternehmen
Habeck will Stromkosten senken