Buchhändlerin über Instagram: „Wie ein Schaufenster nach draußen“
Seit Jahren heißt es: Der Buchhandel stirbt. Maria-Christina Piwowarski erklärt, warum sie nicht daran glaubt und welche Rolle Influencer*innen-Kampagnen spielen.
taz: Frau Piwowarski, meine Vorstellung von der Arbeit einer Buchhändlerin ist eine sehr romantische. Sie sitzt hinter der Theke, vertieft in einen Roman. Ein Kunde kommt und unterbricht sie mit einer kurzen Frage, woraus sich eine lebhafte Diskussion entspannt und er den Laden mit fünf statt wie geplant mit einem Buch verlässt. Wie viel ist dran an dieser Vorstellung?
Maria-Christina Piwowarski: Es kommt häufig vor, dass sich ein Gespräch über die Theke entspannt, in dem man vom Hundertsten ins Tausendste kommt, und der oder die Kund*in tatsächlich mit einem Stapel Bücher den Laden verlässt. Aber ansonsten ist Buchhandel weniger romantisch und mehr putzen, aufräumen und geraderücken. Es ist eben klassischer Einzelhandel.
40 Jahre alt, leitet seit 2015 die Buchhandlung Ocelot in Berlin-Mitte. Gemeinsam mit Ludwig Lohmann hostet sie den Literatur-Podcast „blauschwarzberlin“, zweimal im Monat erscheint ihr Newsletter. Bei Instagram folgen ihr rund 20.000 Accounts, bekannt ist sie dort für ihre monatliche Literatursprechstunde, in der sie Literaturtipps gibt.
Für das Lesen bleibt da keine Zeit?
Im Ocelot (Name der Buchhandlung; Anmerkung d. Red.) auf keinen Fall, auch wegen des Cafés ist immer wahnsinnig viel zu tun. Um unseren Job gut zu machen, müssen wir aber sehr viel lesen, aber das muss außerhalb der Arbeitszeit stattfinden. Der Job erfordert ein großes Commitment, nur gerne zu lesen reicht nicht aus, um die perfekte Buchhändler*in zu werden.
Was zeichnet denn eine perfekte Buchhändler*in aus?
Es ist wichtig, sich breit auszukennen. Es kommen Menschen in den Laden, die haben Erfahrungen und Erwartungen, Kummer und Sehnsüchte. Und aus all dem muss man als Buchhändler*in herauskristallisieren, was genau für ein Buch dieser Mensch gerade braucht. Und das muss man dann so souverän erklären, dass kein Zweifel daran besteht, dass man genau weiß, was man tut.
Klingt herausfordernd.
Auf jeden Fall, aber es ist das Geilste auf der Welt. Wenn du erfolgreich warst, gehen die Kund*innen mit drei Büchern nach Hause, die du empfohlen hast, und kommen nach zwei Wochen strahlend wieder. Zehn Zentimeter größer, selbstsicherer und lesebereiter. Das ist dann der Lohn für all die Mühen.
Hier in Berlin-Mitte sind viele Tourist*innen unterwegs. Kommen die überhaupt zurück und geben Feedback?
Wir haben zum Glück eine große Community über Instagram. Einerseits heißt das, dass viele wegen der App überhaupt zu uns kommen und unsere empfohlenen Lieblingsbücher kaufen. Aber auch, dass sie hinterher Feedback geben. Doch nicht nur Touristen, auch Stammkunden schicken Fotos und Kurzkommentare zu den Büchern, die sie hier gekauft haben.
Braucht man heute als Buchhandlung Instagram, um zu überleben?
Die Frage ist für mich nicht, ob man Instagram braucht, sondern warum man etwas nicht nutzen sollte, was so gut funktioniert. Es hält eine Community zusammen, die literarisch interessiert ist. Wenn man es schafft, seinen eigenen Ton und einen Wiedererkennungswert zu schaffen, dann ist ein Instagram-Account wie ein Schaufenster nach draußen. Warum sollte man das nicht nutzen? Klar muss man sich überlegen, wie viel Persönliches man teilen möchte. Aber alle, die ich überzeugt habe, sich dort anzumelden, sind begeistert. Denn die Buch-Community ist wahnsinnig sympathisch und es macht einfach Spaß sich mit den superbibliophilen Menschen auszutauschen.
Instagram kostet aber auch viel Zeit. Bei mir ist es jeden Abend ein kleiner Wettkampf: Gewinnt das Handy oder das Buch?
Wenn man viel lesen möchte, braucht es Disziplin. Und das heißt: Man geht erst zu Instagram, wenn das Lesepensum erreicht ist. Und da darf dann auch nichts dazwischenkommen. Mein Tipp ist: Das Lesen an den Anfang der Freizeitbeschäftigung setzen.
Wann haben Sie Ihr Lesepensum erreicht?
Mein Minimum sind 50 Seiten pro Tag. Mehr kann es natürlich immer sein. Das klingt jetzt hart, aber ein Buch kommt nicht einfach angeflogen, setzt sich in deinen Schoß, entblättert sich und sagt: Hier ist meine Geschichte. Lesen musst du aktiv wollen, du musst dir Zeit nehmen und alle anderen Ablenkungen ausschalten.
Vor ein paar Monaten sind Sie zum ersten Mal mit dem Aufbau-Verlag eine Kooperation eingegangen, um die Kopenhagen-Trilogie der dänischen Autorin Tove Ditlevsen in Deutschland auf Instagram zu vermarkten. Wie kam es dazu?
In den 1980ern sind schon einmal Bücher von Ditlevsen in deutscher Übersetzung erschienen, die waren allerdings ein Flop. Im Zuge der Wiederentdeckung der dänischen Autorin in anderen europäischen Ländern wollte die Lektorin Friederike Schilbach es auch in Deutschland noch einmal probieren und konnte dafür die Übersetzerin Ursel Allenstein gewinnen. Ein match made in heaven. Friederike und ich kennen uns schon länger aus dem Berliner Literaturbetrieb. Weil ich schon einen privaten Instagramkanal mit einer gewissen Reichweite hatte, hat sie mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, die Veröffentlichung der Tove-Bücher auf Instagram zu begleiten.
Hatten Sie Bedenken, sich als Buchhändlerin dafür bezahlen zu lassen, Bücher zu bewerben?
Für mich geht es nicht um die Bewerbung einer Sache, sondern darum, Hintergründe und Inhalte zu liefern – also eine Community durch die Trilogie zu führen. Tove Ditlevsen ist seit Jahrzehnten tot. Sie kann nicht mehr für sich selbst sprechen oder auf Lesereise gehen, das muss der Verlag übernehmen. In der Mode- oder Beautybranche ist es total verbreitet, dass Menschen mit ihrem Gesicht, ihrer Glaubwürdigkeit und ihrer Reichweite für Dinge stehen. Im Buchmarkt ist das noch relativ unverbreitet, doch das ändert sich gerade. Die Aktion #ToveLesen ist da ein Wendepunkt. Ich habe mich gefragt, ob ich Teil dieses Wendepunktes sein will, und mich dann ganz deutlich dafür entschieden. Für diese Autorin, die ein so großartiges Werk hinterlassen hat, das die Literaturkritik verkannt hat. Aber auch für die Übersetzerin und die Lektorin, die etwas riskiert haben für diesen Text.
War die Aktion ein Erfolg?
Ich weiß nicht, wie viele Bücher verkauft wurden, das kann nur der Verlag sagen. Für mich ist es ein Erfolg zu sehen, was sich da alles unter dem Hashtag #ToveLesen versammelt hat. Wie viele Menschen Ditlevsen gelesen haben, nachhaltig bewegt sind durch ihre Literatur und sie nun als Lieblingsautorin bezeichnen. Das ist das, woran sich für mich Erfolg misst. Es geht mir nicht darum, irgendwelche Bücher auf Instagram zu feiern und dann im nächsten Monat das nächste Buch. So eine Riesenaktion, das kannst du nur machen, wenn du wirklich verliebt bist in einen Text.
Nach einem Lese-Hype in der Coronazeit erlebt die Buchbranche gerade einen Einbruch. Kommt das auch beim Ocelot an?
Ich bin ganz vorsichtig mit dem Wort Einbruch. Seit Jahrzehnten schon wird gesagt, dass der Buchhandel stirbt. Doch aktuell bricht nichts ein. Alle Buchhandlungen haben in den letzten Jahren wahnsinnig Umsatz gemacht, weil das Lesen wiederentdeckt wurde. Die Umsätze waren jenseits von allen Hoffnungen. Die Umsätze sind nun im Schnitt um 15 Prozent gesunken und auf ein normales Level zurückgekommen. Ich mache mir also keine Sorgen.
Wir sind nun mitten in der Vorweihnachtszeit, die wohl geschäftigste Zeit für den Buchhandel. Ist es die schönste oder schlimmste Zeit des Jahres?
Es ist die intensivste und die schönste. Wir bereiten uns gut darauf vor und dann kannst du alles rauslassen, was du das ganze Jahr über gelesen hast. Jedes Buch anbringen, selbst was du im Januar gelesen hast, ist im Dezember noch komplett da. Die Menschen kommen halbverzweifelt in den Laden und du hast eine gute Idee, überzeugst sie und packst es am Ende noch wunderschön ein und die Kunden sind völlig baff. Das sind einfach herrliche Momente.
Gibt es ein Buch, das Sie diese Saison besonders häufig empfehlen werden?
Neulich kam eine Frau in den Laden und meinte, sie hätte gerne das beste Buch in diesem Jahr. Darauf gibt es für mich nur eine Antwort: „Rot (Hunger)“ von Senthuran Varatharajah. Ansonsten empfehle ich gerade gerne „Die Arbeit der Vögel“ von Marica Bodrožić.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Bestürzung und erste Details über den Tatverdächtigen
Kretschmer als MP von Linkes Gnaden
Neuwahlen hätten der Demokratie weniger geschadet
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen