Boykott gegen Kunstbuchhandel: Immer auf die Kleinen
Der Kunstbuchhandel Motto Books soll Verlage und Mitarbeitende nicht bezahlt haben. Über 100 Betroffene melden sich mit einer Kampagne zu Wort.
Berlin taz | Aus einem kleinen Karton zieht Stefan Maneval ein illustriertes Heft hervor. Aufgestellt erinnert es an eine Ziehharmonika. „Mein Kollege und ich haben ewig gebraucht, diese Hefte zu falten. In einer Stunde haben wir gerade mal drei geschafft.“ Stunden, die er als wissenschaftlicher Mitarbeiter in Kiel und Familienvater kaum hat. Wenn er Zeit findet, widmet er sich in seinem Gemeinschaftsbüro in Neukölln zweisprachigen Büchern über arabische Kultur. Für ihn und einige Kolleg:innen ist der Verlag Falschrum Books ein Herzensprojekt.
„Zu speziell, zu schräg“ für den Massenmarkt seien die Bücher von Falschrum Books. Filigrane Hefte, die durch einen Bindfaden oder Ringe zusammengehalten werden, oder eben das Faltheft finden unter Liebhaber:innen trotzdem Platz im Bücherregal.
Genau diese spezielle Nische bedient der Kunstbuchhändler „Motto Books“ aus Kreuzberg. Inhaber Alexis Zavialoff hat sich auf Kunstbücher jenseits des Mainstreams spezialisiert und veranstaltet bei Motto Books unter anderem auch Kunstausstellungen.
Als im Jahr 2019 die ersten Bücher von Falschrum bei Motto Books verkauft werden sollten, fühlte es sich „wie ein toller Erfolg“ an. Eine große Sache. Denn Motto Books stellt auch auf Fachmessen aus. Zavialoff ist gut vernetzt. Die Bücher verkaufen sich gut – auch international. Und zwar so gut, dass Zavialoff bei Falschrum Books nachbestellt.
Zahlungen sind bis heute ausgeblieben
Doch die Zahlungen sind bis heute ausgeblieben. Stefan Maneval sagt: „2.000 Euro Schulden sind für einen großen Verlag nicht viel – solche haben sowieso eine Rechtsabteilung. Aber für kleine Verlage wie uns ist das schon viel Geld.“ Laufend ist Maneval wegen diverser Gründe hingehalten worden: Mal seien es die Angestellten bei Motto Books, deren offenen Krankenversicherungsbeiträge Vorrang hätten, mal seien es finanzielle Nöte wegen der Corona-Pandemie gewesen. Zavialoff bittet um Zahlungsaufschub, dem Maneval lange zugestimmt hat.
Ähnliche Erfahrungen hätten andere auch gemacht. Über 100 Gläubiger:innen der internationalen Kunst- und Verlagsbranche haben sich auf Instagram unter dem Hashtag „boycottmotto“ zu Wort gemeldet. Insgesamt solle Zavialoff ihnen über 127.400 Euro nicht gezahlt haben. Die Schulden würden weit bis ins Jahr 2006 zurück reichen, viele davon wohl verjährt. Auch ehemalige Mitarbeitende von Motto Books erheben Vorwürfe.
Nach vier Jahren reicht es Stefan Maneval im Februar 2023 endgültig. Damals sei Alexis Zavialoff nicht im Laden gewesen und Maneval habe die Gelegenheit genutzt, seine Restbestände bei Motto Books abzuholen. Nachdem er eine letzte Zahlungserinnerung für bereits verkaufte Bücher verschickt hatte, habe Zavialoff ihm lediglich 161 Euro erstattet. Dieser weigere sich weiterhin, die restliche Schuldsumme zu zahlen.
Zu gerichtlichen Klagen kommt es häufig erst gar nicht. Wer ein Klageverfahren einleitet, stößt auf die Geschäftsadresse von Motto Books in der Schweiz. Zwar führt Zavialoff sein Geschäft in Berlin, registriert ist es jedoch in der Schweiz. Laut mehreren Rechtsanwält:innen, die Maneval kontaktiert hatte, haben Klagen daher wenig Aussicht auf Erfolg. Prozess- und Verfahrenskosten müssten Kläger:innen zunächst selbst auslegen – allein das übersteigt schon oft die Schadenssumme.
Kampgane gegen Motto Books auf Instagram
Dass Zavialoff nicht zahlen soll, sei in der Kunst- und Verlagsbranche „ein offenes Geheimnis“. Ebenso meinen Einige zu wissen, dass Zavialoff in Deutschland Privatinsolvenz angemeldet habe. „Wenn man als Künstler oder Verleger noch sehr unerfahren und wenig vernetzt ist, weiß man noch nichts vom Ruf von Motto Books. Dann verspricht Zavialoff auch noch, dass er deine Bücher verteilen wird. Generell läuft im Verlagsgeschäft sehr viel auf Vertrauensbasis. Weil auch andere Buchhandlungen auf Kommissionsbasis Bücher annehmen, nimmt man das erstmal hin,“ sagt Maneval.
Dass Zavialoff systematischen Betrug betreiben könnte, habe er erst nach vielen Jahren verstanden. Das habe die im September ins Leben gerufene Instagram-Kampagne erst zutage gebracht.
„Für kleine Verlage ist das schon viel Geld“
Die Instagram-Kampagne zeigt in einem Beitrag Anweisungen dafür, wie man eine Strafanzeige wegen Betrugs bei der Polizei aufgibt. Von diesem Rechtsweg scheinen viele nicht gewusst zu haben. Hinzu kommt, dass Nicht-Deutsche sich mit dem deutschen Strafrecht kaum auskennen. Inzwischen hat auch Maneval eine Strafanzeige erstattet.
„Den meisten geht es gar nicht mehr darum, dass sie ihr Geld zurück kriegen“, sagt Maneval. „Das haben sich einige schon abgeschminkt. Sondern darum, zu verhindern, dass Zavialoff weiter auf diese Weise sein Geschäft macht, auf das weitere Leute hereinfallen.“
Auf Anfrage der taz wollte sich Motto Books nicht zu diesen Vorfällen äußern.
Leser*innenkommentare
Eckhart
Zuerst einmal: "Motto" ist ein einzigartiger Laden mit wundervollen einzigartigen Büchern! Deshalb kann ich so gar nicht verstehen, dass ein Mensch, der so sehr an der Kunst interessiert ist und sie auch aktiv fördert, zugleich ein vorsätzlicher Betrüger sein soll. Für mich geht das irgendwie nicht zusammen. [...]
Ich für meinen Teil werde dort nicht mehr kaufen. Ich möchte anderen Künstlern nicht schaden.
[...] Beitrag bearbeitet. Bitte beachten Sie die Netiquette. Vielen Dank! Die Moderation
Ajuga
"Zwar führt Zavialoff sein Geschäft in Berlin, registriert ist es jedoch in der Schweiz. [...] Prozess- und Verfahrenskosten müssten Kläger:innen zunächst selbst auslegen – allein das übersteigt schon oft die Schadenssumme."
So ein Arrangement schreit geradezu nach einer Scheinfirma zum Zweck der Geldwäsche.