Neulich in einer Berliner Buchhandlung: „Es gibt eben keine Zufälle“

Begegnung der lebensbejahenden Art: Ein älterer Herr gibt Tipps für ein Geburtstagsgeschenk und Lebensweisheiten von sich. Superb!

Blick auf ein Regal mit Büchern in einer Verlagsbuchhandlung - ein Mann geht vorbei, man sieht ihn nur schemenhaft

In Buchhandlungen kommt es mitunter zu flüchtigen, gleichwohl nützlichen Begegnungen Foto: picture alliance/dpa/Sebastian Willnow

Ich stehe in Schöneberg in einem kleinen Berliner Buchladen und suche ein Geschenk. Freunde zu beschenken, ist manchmal gar nicht so leicht. Bücher sind da immer noch die beste Wahl. Allerdings habe ich nur männliche Freunde, die entweder kaum lesen, oder sie sind so belesen, dass man befürchten muss, dass sie jedes Buch schon kennen, daher freundlich lächeln, aber innerlich müde abwinken. Mein Freund gehört zu Letzteren, und ich kenne sein Bücherregal kaum.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Ich lese also mal hier und da, und während ich in ein Buch hineinlese, kommt mir jemand mit etwas rundem Großen sehr nahe. Ich zucke zusammen. Vor mir steht ein alter Herr mit einer Lupe vor einem riesigen Auge. Er sieht auf mein Buch. Seine Augenbrauen sind weiß und buschig, und es ist, als könnte ich jede Hautschuppe darin erkennen … „Huch“, sage ich. Er guckt noch ein bisschen in mein Buch, und dann sagt er: „Ich bin Detektiv.“ Ich muss lachen und sage: „Sie meinen, wie ein Kaufhausdetektiv?“

„Mein Fräulein“, sagt er da würdevoll und lässt die Lupe sinken. „Das war natürlich ein Scherz. Ich habe meine Lesebrille vergessen und mir nicht unweit von hier stattdessen diese gebrauchte Lupe gekauft. Sehen Sie, ich wohne im 4. Stock.“ Er zeigt auf seinen Stock. „Da waren die fünf Euro für diese Lupe sinnvoll angelegtes Geld.“

„Ich verstehe“, sage ich. Er erwidert: „Nun sah ich Sie dort so angeregt lesen und dachte, ach die junge Dame ist vielleicht so alt wie meine Enkeltochter.“ Er sieht mich fragend an, und ich sage: „Leider weiß ich nicht, wie alt ihre Enkeltochter ist, aber ich vermute, sie ist jünger als ich.“

„Kaufen Sie etwas mit wilden Abenteuern“

Er nickt bekümmert. „Es ist sehr schwer für so junges Volk von fast 40 Jahren etwas Passendes zu lesen zu finden.“ Ich seufze und sage: „Wem erzählen Sie das. Mir geht es genauso. Allerdings suche ich ein Buch für einen Freund.“ – „Wie alt ist Ihr Freund?“ – „52“, antworte ich. „Aber das ist einfach“, sagt der Herr. „Kaufen Sie ihm etwas mit wilden Abenteuern. Die werden in dem Alter vermisst.“

„Ach ja?“, erwidere ich, und er nickt. „Mit 52 habe ich mich scheiden lassen, mein Auto verkauft, meine Wohnung vermietet, meine Möbel eingelagert und mir eine Maschine gekauft, mit der ich durch ganz Europa fuhr. In Spanien bin ich einfach geblieben, weil ich eine schöne Frau mit einer prächtigen Nase und einem weitreichenden Lachen kennengelernt habe.“

Oh Gott, ist der Typ toll, denke ich und sage: „Vielleicht sollten Sie noch schnell ein Buch ­schreiben, das ich dann am nächsten Freitag verschenken kann.“

„Ich bin dabei“, sagt er. „Wenn Sie dann so weit sind, kann ich Ihnen einen Lektor empfehlen. Ein Freund von mir“, sage ich und krame in meiner Tasche, um ihm meine Karte zu geben. Er nimmt seine Lupe und fragt „Isobel, ist das Spanisch?“ – „Schottisch“, sage ich, und er nickt. „In Schottland habe ich damals kurz in einer Whiskeydestillerie gearbeitet. Am Ende des Tages waren wir immer betrunken“, lacht er. „Meine Güte, waren das schöne Zeiten.“

„Es gibt eben keine Zufälle“

„Haben Sie Stift und Papier?“, fragt er sogleich. Ich krame wieder in meiner Tasche, und er sagt: „Schreiben Sie auf.“ Er hebt seine Lupe hoch, diktiert mir seinen Namen und eine Festnetznummer, dazu seine Adresse und sieht mir beim Schreiben zu. „Das ist ja direkt in meiner Nähe“, sage ich. „Ich wohne in der 12.“ – „Ach, sehen Sie“, sagt er und lächelt. „Es gibt eben keine Zufälle.“

Dann hebt er wieder seine Lupe und fragt: „Trinken Sie Whiskey?“ – „Sehr selten“, sage ich. – „Wenn Sie möchten, lässt sich das ändern“, sagt er. „Ich lade Sie herzlich zu einer Verköstigung nur der Besten ein. Die schöne Spanierin macht hervorragende Tapas.“ – „Ach“, sage ich und muss lächeln. „Die schöne Spanierin ist ihre Frau geworden!“ Er zwinkert und sagt: „Das war sie schon immer. Es gibt keine Zufälle.“

„Einen schönen Tag“ wünscht er mir dann. „Ich werde jetzt die Buchhändlerin konsultieren. Aber Sie kommen zum Whisky. Vergessen Sie das nicht!“

Ich stehe da mit dem Buch und glaube, ich habe vielleicht einen neuen Freund kennengelernt. Und überlege, ein Whisky-Buch zu kaufen. Denn es gibt ja keine Zufälle.

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Isobel Markus studierte Anglistik und Bibliothekswissenschaft an der Humboldt-Universität Berlin. Sie ist freie Autorin und schreibt Miniaturen für die berliner szenen und die Kolumne berlin viral der taz. Ihre Kurzgeschichten wurden in Literaturzeitschriften und Anthologien veröffentlicht. In der Lettrétage Berlin veranstaltet sie regelmäßig Salonabende und präsentiert Künstler*innen verschiedener Genres. Im August 2021 erscheint ihr erstes Buch "Stadt der ausgefallenen Leuchtbuchstaben" im Quintus-Verlag. https://isobelmarkus.de Foto: Dirk Skiba

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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