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Buch zur Hamburger Synagogen-DebatteVon der Wunde im Grindelviertel

Rekonstruktion oder nicht? Ein Sammelband liefert Material und Denkanstöße zum geplanten Synagogen-Neubau – und findet einen überraschenden Dreh.

Landesrabbiner Shlomo Bistritzky spricht 2013 auf dem Joseph-Carlebach-Platz. Hinter ihm eine gezeichnete Bornplatz-Synagoge Foto: Christian Charisius/dpa

„Jüdisches Erbe ist Aushandlungsprozessen unterworfen“: Dieser Satz steht ganz vorne. Im Vorwort eines Buches, das dem Hamburger Born- respektive Joseph-Carlebach-Platz gewidmet ist; dem Ort, an dem zwischen 1906 und 1939 die größte Synagoge Norddeutschlands stand. Und an dem wieder eine stehen soll, so hat es die Bürgerschaft beschlossen, so unterstützt es Umfragen nach auch die Stadtgesellschaft.

Und es stimmt ja: So sehr dieses Projekt Gestalt annimmt, Geld beschafft und das Areal rückübertragen wurde an Hamburgs Jüdische (Einheits-)Gemeinde, eine Studie die Machbarkeit des Ganzen klärte – so sehr geht es da ums Aushandeln. Mitunter auch schon mal um die Frage: Wer darf überhaupt mit aushandeln?

Denn bei einer derart aufgeladenen Unternehmung wollten viele mitreden: Mitglieder der Jüdischen Gemeinde (JGHH), aber auch nicht darin organisierte Jüdinnen und Juden; auch solche gibt es in Hamburg, manche davon sind Teil der Liberalen Jüdischen Gemeinde. Die aber saß zu keiner Zeit mit am Tisch, wenn es um den Bornplatz ging. Und dann gibt es natürlich auch noch die nicht jüdische Mehrheitsgesellschaft.

Synagogen-Debatte: Rekonstruktion oder nicht?

Wiederholt hat sich die JGHH in den vergangenen fünf Jahren dagegen verwahrt, dass man ihr hineinrede in das zuallererst die eigenen Mitglieder angehende Vorhaben. Nicht immer war das ganz redlich: Wenn sich etwa prominente Shoa-Überlebende gegen eine Rekonstruktion der einst zerstörten Synagoge ausgesprochen haben. Die Rekonstruktion aber favorisierte die JGHH-Spitze lange.

Inzwischen sei „der Grundgedanke“, heißt es im Buch, dass sich der Bau „an das zerstörte Original anlehnen“, aber keine „Wiederherstellung“ werden soll. Das ist keine bloß geschmäcklerische Frage: Dahinter steht die Sorge, jemand könnte versuchen, das Menschheitsverbrechen Shoa vergessen zu machen; eine sehr konkrete Wunde im Hamburger Grindelviertel zu kaschieren.

Was genau wäre da aber zu rekonstruieren (oder gerade nicht)? Wofür stand die zerstörte Synagoge – und wie modern war sie, bautechnisch, trotz Gründerzeit-Gestaltung? Zur besseren Einschätzung solcher Fragen liefert der Band Material und Denkanstöße. Herausgegeben haben ihn die Braunschweiger Forschungsstelle für jüdische Architektur in Europa Bet Tfila und das Institut für die Geschichte der deutschen Juden in Hamburg.

Bornplatz: Architektur und Erinnerung

Das Buch

Andreas Brämer und Ulrike Fauerbach (Hg.): „Die Große Synagoge am Bornplatz in Hamburg. Beiträge zu Geschichte, Gegenwart und Zukunft des Areals als jüdisches Kulturerbe“. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2023, 114 S., 38 Farb- und 42 SW-Abb., 19,95 Euro

So stehen nun der Architektur gewidmete Kapitel etwa neben einer knappen Vorstellung des letzten Rabbiners am Bornplatz: Joseph Carlebach, 1942 mit beinahe seiner gesamten Familie im Baltikum ermordet. Raum ist aber auch der zwischenzeitlichen Nutzung des Areals gewidmet: Seit 1988, dem 50. Jahrestag der Reichspogomnacht, ist dort ein Bodenmosaik der Künstlerin Margrit Kahl zu sehen – das jeder Neubau-Variante zum Opfer fallen dürfte.

Einen überraschenden Dreh findet dazu Yohana Rahel Hirschfeld, Künstlerin und JGHH-Mitglied. Sie dreht den Vorwurf des Unzeitgemäßen um, wie er erhoben wurde gegen eine am Original orientierte Gestaltung. „Museal“ ist demnach gerade das Beharren auf dem Bruch, der perpetuierte Hinweis auf den Verlust – im Unterschied dazu, einen neuen Ort zu schaffen für höchst lebendige Jüdinnen und Juden.

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