Buch zu Jugendsozialarbeit: Und sein Ego bleibt im Auto
Burak Caniperk ist Sozialarbeiter in Schöneberg. Darüber und über seine Haltung gegenüber jungen Menschen hat er das Buch „Auf Augenhöhe“ geschrieben.
Die Probleme der Jugendlichen, auf die er trifft, kennt er aus eigener Erfahrung, sagt der 1993 geborene Caniperk. Denn auch er selbst habe eine „undankbare Schullaufbahn“ hinter sich, habe sich aus schwierigen Verhältnissen herausgearbeitet. „Wir waren auf uns allein gestellt“, sagt er über diese Zeit, als er sein Buch am vergangenen Mittwoch mit einer Lesung und Diskussion im Heimathafen Neukölln erstmals öffentlich vorstellt. Seine Eltern hätten sehr viel und hart gearbeitet, die Mutter als Schneiderin, der Vater als Taxifahrer. Sie hatten daher wenig Zeit. Und er sagt: Auf dem Weg zum Erwachsenwerden, da lauern viele Einbahnstraßen. „Da kann man durchaus auch mal verzweifeln.“
Gerade für junge Menschen, die eigentlich dabei sind, ihren Platz in der Gesellschaft zu suchen und herauszufinden, wer sie sind und wie sie sein möchten, können sich mehrere einzelne Probleme zu riesigen Hürden auftürmen. Benachteiligt sind Jugendliche nicht nur, wenn in den Familien wenig Geld da ist, das legt Caniperk im Gespräch mit der Moderatorin und Journalistin Ebru Taşdemir dar. Gefährdet seien nicht nur Jugendliche aus sogenannten prekären Verhältnissen oder aus armen Stadtteilen. Dazu gehöre auch, dass Eltern Schwierigkeiten in Schulfächern nicht mal eben mit Hausaufgabenhilfe ausgleichen könnten. Oder das Gefühl, nicht dazuzugehören, etwa als Kind von türkischen Einwanderern. Oder ein Stiefvater, der einen ablehnt und so vielleicht vermittelt, dass die Probleme an einem selbst liegen könnten, dass man selbst irgendwie falsch ist.
Deshalb ist es gerade für Jugendliche so wichtig, Verbündete zu haben: „Jemanden, der oder die zeigt, dass es nicht so sein muss“, sagt er. Für Burak Caniperk selbst war das ein Lehrer – Herr Reibold. Den habe er eines Tages angesprochen. „Kann ich mal mit Ihnen reden, ich habe ein Problem“, habe er gesagt. Der Lehrer habe sich das dann angehört und habe ihm gesagt: „Komm morgen wieder. Ich weiß Bescheid.“ Dass dieser Lehrer ansprechbar war und bereit, ihn zu unterstützen, das war es dann letztlich, was ihm den Weg zu einem Abschluss geebnet habe. „Jeder braucht einen Herrn Reibold – oder eine Frau Reibold“, sagt Caniperk. Seinen Herrn Reibold hatte er allerdings erst in der Oberstufe getroffen.
Er bietet sich Jugendlichen als Verbündeter an
Das ist ein wesentlicher Grund für seine Motivation und Leidenschaft in seinem Job. Denn: Heute ist er selbst es, der sich den Jugendlichen als so ein Verbündeter anbietet. Und dazu gehöre es teilweise auch, „den Kids zu sagen, was sie für ein Leben leben“, sagt er. Er sei oft erstaunt, mit welchen schlimmen Zuständen die Jugendlichen sich irgendwie arrangiert hätten, wenn er sie treffe. Dann gehe es auch darum, ihnen zu vermitteln, dass es nicht normal sei, dass sie wohnungslos geworden sind und sich tagtäglich über Pfandsammeln das Geld für eine Aufbackpizza zusammenkratzen müssten. Dass sie – was immer auch dazu geführt habe – etwas Besseres verdient hätten.
Das Buch
Burak Caniperk mit Alke Wierth: „Auf Augenhöhe. Wie wir unsere Jugendlichen nicht verlieren". Erschienen im Kösel Verlag, 240 Seiten, 20 Euro
Lesungen in Berlin
Am Montag ist Burak Caniperk um 19 Uhr zu Gast bei der SPD Tempelhof-Schönberg in deren Kreisbüro in der Crellestr. 48;. Anmeldung über www.spd-schoeneberg.de. Eine weitere Lesung ist für den 4. Dezember in der Schiller-Bibliothek, Müllerstr. 149, geplant. (usch)
Als Streetworker und Jugendsozialarbeiter gehe es darum, das Vertrauen der Jugendlichen zu gewinnen. Wobei diese oft gerade gegenüber Erwachsenen eher misstrauisch seien. Wenn der Kontakt da sei, dann sage er den Jugendlichen: „Ich bin der beste Sozialarbeiter, den du kriegen kannst“, erzählt Caniperk. Allerdings unter einer Voraussetzung: „Wenn du dich dafür entscheidest, dran zu bleiben.“ Denn ob sie überhaupt Hilfe annehmen, dazu müssten sich die Jugendlichen eben selbst entschließen. Und dann könne es durchaus sein, dass sich Sozialarbeiter und Jugendlicher auch mal „ganz schön auf die Nerven“ gingen. Und: Nicht jeder nehme Hilfe an – das gelte es dann auszuhalten.
Wie es wäre, wenn er einen Jugendlichen unterstützen solle, den er eigentlich nicht mag, will ein Zuhörer wissen. Caniperk muss kurz nachdenken. „Ich bin verdammt geduldig“, sagt er. „Und ich lasse mein Ego im Auto.“ Es käme vor, dass er sich sage: „Das hat er nicht so gesagt.“ Oder: „Das hat er so gesagt, aber nicht so gemeint.“ Und wenn es wirklich mal nicht klappe, dann könnte ein Kollege übernehmen.
Das Buch ist in einer sehr klaren Sprache geschrieben mit kurzen Sätzen und in einem Tonfall, der nah an der Art und Weise ist, wie Caniperk selbst spricht. Nur dass da noch der hessische Akzent dazukommt, aufgewachsen ist Caniperk in Hanau. Die Kapitel sind kurz. Zwischen den (verfremdeten und anonymisierten) Erfahrungen mit konkreten Jugendlichen stehen Kapitel, in denen Caniperk erklärt, was ein Sozialarbeiter überhaupt macht. Oder in denen er berichtet, wie sein Alltag als Streetworker aussieht.
Jugendliche würden Anerkennung wollen
Und er erklärt, was überhaupt die Grundlage von sozialer Arbeit für Kinder und Jugendliche ist – dass das nämlich keine freiwillige Nettigkeit der Bezirke ist, sondern eine staatlich garantierte Leistung. Sein Buch mache daher auch diese „oft unsichtbare Arbeit sichtbarer“, sagt die Moderatorin Ebru Taşdemir.
Es sei nicht sein Job, Jugendlichen zu erklären, wie sie zu leben haben, liest Caniperk aus einem Kapitel vor. Stattdessen wolle er ihnen vermitteln: „Wenn du Anerkennung bekommen möchtest für das, was du bist, was du willst, dann kannst du das auf diese Weise vielleicht eher schaffen, als mit dem Kopf durch die Wand zu gehen oder durch totalen Rückzug.“ Denn letztlich wünschten sich die Jugendlichen, gesehen zu werden. Sie wollten Anerkennung und wertgeschätzt werden für das, was sie seien, genauso wie Erwachsene.
Doch gleichzeitig gebe es wenige Plätze für Jugendliche. Und selbst wenn es sie in Form von Jugendclubs oder Treffpunkten gibt, sind sie oft von Kürzungen betroffen oder von Schließungen bedroht. Oft gebe es zudem Beschwerden aus dem Umfeld: Die Jugendlichen hörten viel, dass sie „zu laut“ seien oder eben „störten“. Da sei viel Ablehnung und Unverständnis, berichtet Caniperk. „Im Sommer hatten wir mit Jugendlichen draußen gekocht und wollten dann Passant*innen einladen, mit uns zusammen zu essen“, erzählt er. Teils hätten diese aber mit Angst und Drohungen reagiert, wenn einer der Jugendlichen mit einem Teller voll Essen auf sie zugegangen sei. Caniperk macht deutlich, dass er das als symptomatisch für den Umgang mit Jugendlichen in der Gesellschaft generell sieht.
Gerade als migrantisch wahrgenommene junge Männer stünden schnell im Fokus, wenn es um Probleme ginge – und weniger, was ihre Fähigkeiten und Wünsche betreffe. „Als Sozialarbeiter können wir ihnen zeigen, wie sie teilhaben können“, sagt er. Doch das sei nur die eine Seite. Denn es gebe in Berlin wenige Plätze für Jugendliche und wenige Spielräume oder Orte, die sie selbst gestalten könnten.
Hauseigentümer seien im Vorteil
„Jugendliche kriegen nicht mal eben so Vertreter*innen vom Bezirk, von der Stadt und von Wohnungsbaugesellschaften an einen Tisch, um dann Beschlüsse zu fassen und auf den Weg zu bringen“, sagt er. Hauseigentümer*innen dagegen schon. Es habe ihn immer wieder erstaunt, mit welcher Schnelligkeit und welcher Aggressivität Erwachsene agierten, um Jugendliche von bestimmten Orten „wegzubekommen“, sagt Caniperk, selbst beim Sprechen darüber im Nachhinein wirkt er noch immer etwas perplex.
Ein wichtiger Punkt in seinem Buch – und in seiner Arbeit – ist auch die Haltung gegenüber den Jugendlichen. Es gehe darum, herauszufinden „was steckt in ihnen, wofür interessieren sie sich.“ Und dann Wege zu finden, wie sie ihre Wünsche umsetzen und ihre Potenziale entfalten könnten.
Mit dieser Haltung setzt sich Caniperk nicht nur für die einzelnen Jugendlichen ein, die sich in Schieflagen wiederfinden, sondern er pocht stark darauf, dass die Gesellschaft ihr Verhältnis zu Jugendlichen überdenken, sie mehr wahrnehmen und stärker ernst nehmen sollte. Der Untertitel seines Buchs lautet daher auch: „Wie wir unsere Jugendlichen nicht verlieren.“ Und mit diesem „wir“, da sollten sich durchaus alle mitgemeint fühlen, sagt Caniperk. „Ich habe nicht geschrieben, wie ich meine Jugendlichen nicht verliere“, betont er.
Was er denn denke, was es brauche, um die Situation von Jugendlichen zu verbessern, fragt eine Frau aus dem Publikum. Von der Politik würde er sich mehr Achtsamkeit wünschen, und dass sie Jugendarbeit nachhaltiger organisieren würden. „Und mehr Geld“, das würde immer helfen. Doch das sei nicht das Einzige, sagt er. „Wir sollten gemeinsam unser Bewusstsein schärfen und bei den Kids, die wir beobachten, fragen: Was passiert da?“, sagt Caniperk. „Bevor ich die Jugendlichen treffe, gab es schon Lehrer*innen, Bäcker*innen, Nachbar*innen“, sagt er.
Zuviele „Weggucker“
Je früher von denen mal jemand nachgefragt hätte, desto einfacher wäre Unterstützung gewesen. „Da ist schon vorher einiges schiefgegangen. Man könnte sagen: Viele Weggucker haben dazu geführt, dass die Schwierigkeiten groß geworden sind – so groß, dass wir als Sozialarbeiter tätig werden“, sagt er. Und fordert: „Gerade wenn man es selbst geschafft hat, dann könnte man etwas zurückgeben.“ Wenn jede und jeder ein bisschen Verantwortung übernehmen würde – das wäre ein guter Anfang.
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