Buch über westliche Außenpolitik: Nach der Hybris
Der Politikwissenschaftler und Terrorexperte Peter Neumann inspiziert umsichtig die außenpolitischen Desaster des Westens von 1990 bis heute.
![Ein bewaffneter Taliban steht Wache, während eine Frau mit Tuch über dem Haar, an ihm vorbei läuft Ein bewaffneter Taliban steht Wache, während eine Frau mit Tuch über dem Haar, an ihm vorbei läuft](https://taz.de/picture/6161022/14/taliban-1.jpeg)
Die Befreiung der Frauen in Afghanistan gilt manchen als einer der wenigen Erfolge des katastrophal verlaufenen Krieges der Nato. Wenn wir der kurzen Schilderung des Politikwissenschaftler Peter Neumann folgen, ist auch das eine bonbonfarbene Selbsttäuschung.
Die westlichen Regierungen begriffen nie, dass die repressivem Strukturen keineswegs Erfindungen der Taliban waren, sondern tief in den Traditionen des Landes wurzelten. Die Versuche westlicher NGOs, Frauen in der Provinz zu empowern, blieben bestenfalls folgenlos, manchmal provozierten sie sogar eine Verschärfung der Unterdrückung.
Die grüne Europaabgeordnete Hannah Neumann sieht im Rückblick einen fundamentalen Fehler: „Das Narrativ war: Wir gehen da hin und befreien die Frauen. Die Idee ist nicht falsch, basierte aber auf einem staatlich zentrierten Demokratieverständnis.“
Diese Episode zeigt einen typischen Defekt der Außenpolitik des Westens, der sich wie ein roter Faden durch die letzten 30 Jahren zieht. „Der neuen Weltunordnung“ zufolge neigt der Westen dazu, in einer selbstbezüglichen Überhöhung im Fremden sich selbst zu sehen – und daher wenig zu begreifen. Er verbündet sich mit dem, was ihm ähnlich scheint, und neigt dazu, alles, was anders ist, als moralisch minderwertig und politisch unbrauchbar zu bekämpfen.
Geschichte von Irrtümern
Es gibt eine Art liberalen Fundamentalismus, der von der Überlegenheit des (weißen) Westens ausgeht, nicht normativ, aber faktisch. Die Hochzeit dieser Deformation war die Zeit nach 9/11, als im „Krieg gegen den Terror“ eine „hysterische Bedrohungswahrnehmung“ (Neumann) dominierte.
Neumann, Professor in London, ist ein gefragter Terrorismusexperte. „Die neue Weltunordnung“ lässt die Politik des Westens seit 1990 Revue passieren – und zeigt eine Geschichte von Irrtümern und Selbstüberhöhungen, Fehlern und Lernblockaden. In dieser auf 300 Seiten konzentrierten kompakten Zusammenschau ist von der viel beschworenen systemischen Überlegenheit der Demokratien über autoritäre Regime – nämlich ihrer Fähigkeit zu Selbstreflexion und Korrektur – wenig zu finden.
Der Westen scheint unter Wiederholungszwang zu leiden und hielt „regime change“ sehr lange für ein brauchbares Mittel. Die Kompilation von Zitaten aus US-Thinkstanks erinnert daran, dass die Hybris, dass die ganze Welt wie der Westen werden oder dessen Regeln folgen soll, noch nicht so lange vorbei ist.
Neumann lenkt dabei den Blick über das Erwartbare – Afghanistan, Irak, Libyen – hinaus. Ein Kernirrtum identifiziert er schon in den frühen Neunzigern, als ein Teil der US-Elite an den von Francis Fukuyama diagnostizierten historisch endgültigen Sieg des Liberalismus glaubte. Damals verordneten US-Berater der postsowjetischen Wirtschaft neoliberale Rezepte, die zu einer katastrophalen Verarmung und zur Etablierung des Oligarchensystems führten. Das Ergebnis von beidem war Putin.
Kein Antiimperialismus à la Chomsky
Kein Missverständnis: Neumann ist ein überzeugter Liberaler, Vertreter westlicher Werte, zudem CDU-Mitglied. Er verwirft entschlossen den linken Antiimperalismus à la Chomsky als kaum brauchbares Deutungsmuster, blickt aber auch kritisch auf die auf pure Interessen fokussierte realpolitische Schule und auch die moralische, wertegeleitete Außenpolitik, die derzeit hoch im Kurs steht.
Diese Darstellung montierte geschickt Elemente aller drei Interpretationsschulen. Das Ergebnis ist eine umsichtige, abwägende, präzise Schilderung der Desaster des Westens.
Peter Neumann: „Die neue Weltunordnung“. Rowohlt Verlag, Hamburg 2023, 336 Seiten, 24 Euro
Was fast ausnahmslos fehlt, ist die andere Perspektive – der Blick aus China, Irak, Russland et al auf die westliche Politik. Das ist, angesichts dieser dichten, knappen Zusammenfassung kein Vorwurf, sondern eine Tatsache.
Was folgt aus all dem? Die Hoffnung, dass der Markt in China und Russland automatisch Demokratien erschaffen würde, war naiv. Im Westen frisst sich der autoritäre Rechtspopulismus wie Rost in bislang für widerstandsfähig gehaltene Demokratien. Neumann empfiehlt in einem allzu kurzen Schlussplädoyer als Ausweg eine nachhaltige, selbstreflexive Moderne – ohne Moral-Hybris, aber auch ohne den Universialismus zu begraben. Das klingt sympathisch, bleibt aber vage.
Das ändert jedoch nichts daran, dass „Die neue Weltunordnung“ ein nötiger Schritt zu einer selbstkritischen Bestandsaufnahme ist. Gerade jene, die bei jeder neuen Krise auf der Welt nach „regime change“ rufen, sollten es lesen.
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