Buch über deutsch-israelische Beziehung: Absolution und Aufbauhilfe
Daniel Marwecki zerstört in seinem Buch „Absolution? Israel und die deutsche Staatsräson“ Mythen über die deutsch-israelischen Beziehungen.
Für Gläubige ist es immer wieder schmerzhaft, wenn sie feststellen müssen, dass sich die Grundlagen ihres Bekenntnisses in Luft auflösen. Das gilt nicht nur für religiöse, sondern auch für politische Eiferer. Nun hat Daniel Marwecki ein Buch vorgelegt, das das Zeug hat, gleich die Glaubensbekenntnisse diverser Fraktionen zu erschüttern. Es geht natürlich um Israel.
Denn die deutsch-israelischen Beziehungen sind so ein Thema, das Gläubige magisch anzieht, die es mit der Expertise aber nicht immer so genau nehmen. Das gilt zuerst für jene rechtslastigen Kräfte, die schon in den 1950er Jahren die Auffassung vertraten, die Bundesdeutschen sollten dem Staat Israel keinerlei finanzielle Mittel als „Wiedergutmachung“ für den Judenmord überlassen und noch heute meinen, es sei viel zu viel gezahlt worden.
Marwecki zeichnet in seinem bemerkenswert sachlichen Buch die Geschichte dieser Zahlungen und des Luxemburger Abkommens von 1953 nach und kommt zu dem Schluss, dass die „Wiedergutmachung“ vor allem den Deutschen selbst geholfen hat – als kostengünstiges Konjunkturprogramm (bezahlt wurde mit Waren der deutschen Industrie), vor allem aber als Eintrittsbillett für die zivilisierte Welt (wo eine Verständigung mit Israel als Voraussetzung verstanden wurde).
Viele Deutsche gerade aus der politischen Mitte vertreten die Auffassung, die guten Beziehungen zu Israel seien angesichts der Geschichte ein „Wunder“ und hätten die „Aussöhnung“ mit dem jüdischen Volk erbracht. Dies mag heute der Fall sein, nur galt dies gewiss nicht für die 1950er und 1960er Jahre. Marwecki beschreibt überzeugend, dass die israelische Seite damals weder Lust noch Interesse verspürte, sich ausgerechnet mit den Deutschen auszusöhnen.
Anerkennung hinausgezögert
Ihr ging es um dringend benötigte Devisen, um die Industrialisierung des Landes – und um Waffen. Tatsächlich wurde Deutschland bis zur Mitte der 1960er Jahre zum wichtigsten Waffenlieferanten des jüdischen Staates, bevor es durch die USA abgelöst wurde. Diese Lieferungen wiederum seien im deutschen Interesse erfolgt, nämlich um einen die westlichen Werte teilenden Staat im Nahen Osten gegen die der Sowjetunion zuneigenden arabischen Länder zu stützen.
Allerdings zeigte die Israel-Unterstützung der deutschen Regierenden schon in den 1960er Jahren auch Grenzen, nämlich wenn die eigenen Interessen zu anderen Staaten tangiert wurden. Eine gegenseitige diplomatische Anerkennung, wiewohl von Israel frühzeitig angeboten, wurde von Westdeutschland lange hinausgezögert, weil die Bundesrepublik ihre guten Beziehungen zu den arabischen Staaten nicht aufs Spiel setzen wollte. Die Waffenhilfe blieb größtenteils geheim oder wurde notfalls geleugnet.
Wahre Israel-Kenner sind davon überzeugt, dass Deutschland die Israelis aus reinem Philosemitismus unterstützte. Marwecki korrigiert auch diese Auffassung. Zwar seien durchaus auch Philosemiten an den Schaltstellen der Adenauer-Regierung unterwegs gewesen, vor allem aber waren es Antisemiten, die trotzdem den Judenstaat unterstützten.
Dies zum einen, weil sie in ihrem judenfeindlichen Weltbild die herbeifantasierte Macht des „Weltjudentums“ fürchteten, also zum Opfer des eigenen Antisemitismus wurden. Zum anderen identifizierten sie die Israelis als Nachfolger der Wehrmachtssoldaten, die „groß gewachsen, oft blond und blauäugig“ seien, den arabischen Horden aus der Wüste trotzten, besser als die Deutschen das 20 Jahre vorher gemacht hatten. So konnte Mosche Dajan in Westdeutschland zum „Rommel Israels“ mutieren.
Kein Interesse an Aufarbeitung
An einer Aufarbeitung der eigenen Geschichte hatten diese Politiker kein Interesse und verfolgten diese auch nicht. Insofern dienten die guten Beziehungen zum jüdischen Staat ausschließlich der Reinwaschung des eigenen Landes. Die Integration von Nazis in den Staatsdienst und Händedrücke zwischen Konrad Adenauer und David Ben Gurion waren kein Widerspruch, sie bedingten einander. Schließlich ging es den Deutschen um eine „Überwindung der Vergangenheit“, wie es Franz Josef Strauß einmal ausdrückte.
Die Verantwortung für den Holocaust musste Deutschland zwar übernehmen, wollte es gute Beziehungen zu Israel etablieren, doch zuzugestehen, dass dieser von Deutschen verübt worden war, ging Konrad Adenauer nicht über die Lippen – der Judenmord sei nur „im Namen des deutschen Volkes erfolgt“, sagte er. Bei anderer Gelegenheit erklärte der Kanzler gar die Leiden von Deutschen und Juden im Zweiten Weltkrieg für vergleichbar.
Und so zerkratzt Daniel Marwecki einen Mythos nach dem anderen und kommt zu einem einfachen, aber logischen Schluss: Die junge Bundesrepublik unterstützte Israel aus eigenem Interesse. Israel nahm diese Unterstützung an, weil sich niemand sonst dazu bereit fand, auch die USA nicht. Diesem Kapitel gegenseitiger Beziehungen folgte eine „Normalisierung“, bei der die deutsche Seite danach trachtete, Israel genauso zu behandeln wie jeden anderen Staat auch – was Israel den Deutschen aber nicht durchgehen ließ.
Daniel Marwecki: „Absolution?“ Wallstein Verlag, Göttingen 2023, 212 Seiten, 22 Euro
Mit dem Ende des Kalten Kriegs entwickelte sich daraus der Grundsatz, Israels Sicherheit als deutsche „Staatsräson“ zu verstehen. Dahinter verberge sich, so Marwecki, eine „Entlastungshoffnung“. Die guten Beziehungen zum jüdischen Staat sollen die Deutschen ein wenig von der eigenen Schuld erlösen. Die Beziehungen sind so zu einem Teil der deutschen Vergangenheitsbewältigung geworden – auch dies im deutschen Interesse.
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