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Buch über den Kampf von MinderheitenMarginalisierte heißen so, weil sie vereinzelt werden

Ein Buch aus der Mitte für die Mitte: Michael Hunklinger beschreibt, wie Minderheiten dem Rechtsruck trotzen und warum Identität eine Zumutung ist.

Ein verwittertes Rollstuhlfahrer-Symbol. Menschen mit Behinderung werden beim Sprechen über Marginalisierung oft marginalisiert Foto: Rolf Poss/imago

Fast scheint es, als hätte der Rechtsruck die „culture wars“ schon entschieden, als hätte der Aufstieg protofaschistischer Parteien und Bewegungen die Kämpfe um Deutungshoheiten beendet. Nach einigen Jahrzehnten bürgerrechtlicher Fortschritte kommt nun der Backlash: Trans Personen sollen aus Toiletten, Schulen und Sportkabinen verbannt werden, das ohnehin nur rudimentäre Asylrecht wird immer weiter verstümmelt, Ableismus und Behindertenfeindlichkeit nehmen zu.

Inzwischen regiert ein Bundeskanzler, der sich mehr als einmal rassistisch geäußert hat. Schließlich äußert sich der – auch in linken und islamistischen Kreisen verbreitete – Antisemitismus in häufiger Gewalt gegen jüdische Menschen.

Diese Serie von Niederlagen sind keine politischen, sondern menschenrechtliche. Denn es handelt sich bei diesem sogenannten „Kulturkampf“ nicht um die Auseinandersetzung zwischen politischen Lagern, sondern um den Selbsterhaltungskampf marginalisierter Menschen. Auf diesen Umstand macht Michael Hunklinger in seinem Essay „Wir werden nicht verschwinden. Wie Minderheiten dem Rechtsruck trotzen“ immer wieder aufmerksam.

Sein Ansatz ist ein intersektionaler, es geht ihm also nicht um eine spezifische marginalisierte Gruppe, sondern um alle, die am Rande stehen. Dies ist eine der zentralen Botschaften seines Essays: Marginalisierte heißen nicht so, weil sie in der Minderzahl sind. Sondern weil sie vereinzelt werden. Denn viele Vereinzelte sind immer noch viele.

Das Buch

Michael Hunklinger: „Wir werden nicht verschwinden. Wie Minderheiten dem Rechtsruck trotzen“. Kremayr & Scheriau, Wien 2025, 160 S., 25 Euro

Queere Identitäten werden gefeiert, wenn sie marktfähig sind

Michael Hunklinger verstrickt sich nicht in den Details der Kämpfe der letzten Jahre, sondern versucht einen großen Bogen zu schlagen. Dabei stellt er rechtsextreme Gewalt und Repression schlüssig in einen Zusammenhang mit der systemischen Unterdrückung und Einpflegung marginalisierter Existenzen im Neoliberalismus, denn: „Auch die neoliberale Verwertungslogik stellt eine Gefahr dar. Minderheiten werden nur dann akzeptiert, wenn sie einen ökonomischen Mehrwert bieten. Dies führt zu einer selektiven Inklusion: Queere Identitäten werden dann gefeiert, wenn sie marktfähig sind; migrantische Arbeitskräfte sind willkommen, solange sie wirtschaftlich nützlich sind. So wird Diversität oft nicht als Selbstzweck, sondern als wirtschaftliches Instrument betrachtet.“

Dogmen – den rechtsextremen wie den neoliberalen – setzt er den simplen Befund entgegen, dass es jene, die aufgrund bestimmter Merkmale marginalisiert werden, weiterhin geben wird. Es ist ein Verdienst des Buches, niemals hinter diese unumstößliche Wahrheit zurückzufallen und sie auch nicht nur theoretisch zu diskutieren. Stattdessen fängt Hunklinger in – bisweilen etwas psychologisierenden – Passagen die Lebenswirklichkeit jener ein, für die Identität nicht nur und nicht vor allem etwas Eigenes ist, sondern eine Zuschreibung von außen und damit auch eine Zumutung.

Es ist nicht unbedingt ein Buch für Menschen, die sich bereits eingehender mit Marginalisierung befasst haben. Es ist auch kein Buch für Betroffene. Es ist ein Buch für alle, die einen Handlauf brauchen, um die Hintergründe und die Voraussetzungen aktueller Kämpfe zu verstehen. Entsprechend wählt Michael Hunklinger einen zugänglichen Stil, der bisweilen unterkomplex erscheinen mag, der aber im Grunde die Stärke des Buches ist: Er macht den Text zu einer vermittelnden Instanz.

Sein Ziel ist es, Awareness, also Aufmerksamkeit, herzustellen, Sensibilität für Menschen in prekären gesellschaftlichen Situationen zu entwickeln. Insofern ist „Wir werden nicht verschwinden“ ein Buch aus der Mitte für die Mitte. Wie für diese Mitte gekämpft werden soll, welche Methoden funktionieren und welche nicht, spart Hunklinger allerdings aus; es bleibt bei einer éducation sentimentale, einer Erziehung der Gefühle.

Solidarität wieder verankern

Das Buch hebt auf rassifizierte und queere Menschen ab. Menschen mit Behinderung werden eher subsumiert als eingeschlossen, was sich auch an der Sprache zeigt. Im Schlusskapitel fordert Hunklinger „die Transformation der Politik und des öffentlichen Raums zu einem Ort des offenen und inklusiven Dialogs“. Überschrieben ist der Abschnitt allerdings mit „It’s democracy, stupid!“. Ableistische Tropen wie diese – „Dummerchen“ – als Herabwürdigungen zu nutzen, um damit mehr Inklusion zu fordern, unterläuft Hunklingers Forderung nach einer Öffentlichkeit, die ein Raum für alle ist.

Entsprechend werden die Auseinandersetzungen zwischen marginalisierten Gruppen auch eher als Randnotiz diskutiert; es geht – anders als der Untertitel suggeriert – nicht so sehr darum, wie Minderheiten dem Rechtsruck trotzen, sondern dass sie es tun. Hunklingers Methode folgt nicht einer Denkschule, sondern einem Ansatz der teilnehmenden Beobachtung. Empathie und Solidarität wieder als Konzepte im Diskurs zu verankern, ist sein Vorschlag, um die Demokratie zu retten.

In diesem Sinne ist „Wir werden nicht verschwinden“ gewissermaßen konservativ: An einer Utopie ist Hunklinger nicht gelegen, es geht ihm um das Bewahren dessen, was bewahrenswert ist. Das macht sein Buch anschlussfähig: Obwohl er an seine Le­se­r*in­nen appelliert, Haltung zu zeigen und zu bewahren, überfordert er sie nicht. Er hat ein im besten Sinne nettes Buch geschrieben, das eine Welt anstrebt, in der „nett“ nicht mehr als Abwertung verstanden werden wird.

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