piwik no script img

Buch über Rassismus im SportWie weiß ist der Ball?

In seinem Buch „Spielfeld der Herrenmenschen“ schaut der Sportjournalist Ronny Blaschke, wo sich heute Rassismus und Kolonialismus im Fußball zeigen.

Raheem Sterling und Kalvin Phillip machen den Kniefall gegen Rassismus Foto: Nick Potts/imago

Der Befund ist so augenfällig, dass er kaum mehr ins Auge fällt: Dass auf der ganzen Welt in der Form Fußball gespielt wird, wie wir ihn kennen, ist dem Kolonialismus geschuldet. Elf gegen elf, beinah ausschließlich Männer in einer Dauer von 90 Minuten. Das waren die Regeln, die meist durch britische Kolonialherren in asiatische und afrikanische Gesellschaften getragen wurden.

Der Berliner Sportjournalist Ronny Blaschke hat sich dieses „Spielfelds der Herrenmenschen“ nun angenommen. Er bereiste viele Länder, suchte die Spuren der Kolonialgeschichte und fand dabei viel heraus. Was etwa die Einwanderung aus der Karibik nach Großbritannien auch für viele neue Fußballtalente sorgte – und wie zugleich Anfeindungen gegen einen Star wie Raheem Sterling – geboren in Kingston, Jamaika – mit Rassismus zu erklären sind.

Oder er schaut, wie im US-Fußball mit mexikanischstämmigen Spielern umgegangen wird. Oder auch, welche Bedeutung der Fußball im algerischen Unabhängigkeitskampf hatte – und wie sich in Frankreich der Rassismus gegen Spieler aus dem Maghreb bis zum heutigen Tag durchzieht.

Ein weites Spielfeld sozusagen, das Blaschke mit den Methoden der Reportage abschreitet. Er trifft Spielerinnen, Fans und Funktionäre, spricht mit Wissenschaftlerinnen und Journalisten. Am Beispiel Portugals geht Blaschke dem „Mythos der harmonischen Unterdrückung“ nach, einer bis heute sehr verbreiteten Erzählung, wonach es gute Seiten des Kolonialismus gegeben habe – nicht zuletzt sei der Sport, konkret: das Fußballspiel, doch so eine Art westlich-weißes Geschenk an unterdrückte Gesellschaften.

Das Buch zeigt auf, wo Rassismus und koloniales Handeln heute noch präsent sind

Der Mythos hält sich bis heute, und zugleich hält er den Fußballsport auf diese Weise bis in die Gegenwart für eine Art unbefleckte Sportart: Mag sein, dass es böse Kolonialherren und gar Massaker und Genozide gab, aber schließlich wurde doch auch recht heiter gespielt. Dass die Wirklichkeit anders war, dass sich rassistische Unterdrückung überall zeigte, auch im Sport, das könnte man wissen – wenn man denn wollte.

Wenige versuchen, rassistische Strukturen offenzulegen

Am Beispiel Brasiliens geht Blaschke diesem Gedanken noch einmal nach und legt eine „Tradition der Verleugnung“ offen: wie wenige Kritiker, teils Ex-Profis und -nationalspieler, versuchen, rassistische Strukturen offenzulegen und wie die dramatische Abhängigkeit des brasilianischen Fußballs vom Export seiner kickenden Arbeitskräfte nach Europa eine Aufarbeitung erschwert.

Der Sportjournalist Ronny Blaschke ist in „Spielfeld der Herrenmenschen“ dem Kolonialismus im Fußball auf die Spur gegangen Foto: Verlag Die Werkstatt

Blaschkes Buch zeigt vor allem auf, wo Rassismus und koloniales Handeln heute noch präsent sind. Das ist ein großes Verdienst und macht die Lektüre sehr spannend.

Zwei Kritikpunkte will ich dennoch erwähnen. Zum einen fehlt trotz historischer Einsprengsel eine geschichtlich angelegte Herangehensweise, wie denn der Fußball genau in die jeweiligen Gesellschaften gelangte. Warum war dieses Spiel so anziehend, dass viele Menschen es spielen wollten? War das Kicken eigentlich nur für Jungen und Männer attraktiv?

Zum anderen ist zwar mit Blick auf hiesiges Lesepublikum in gewisser Weise nachvollziehbar, dass sich das Buch nur (genau genommen: nicht ganz, aber fast ausschließlich) auf den Fußball und weniger auf andere Sportarten bezieht. Aber das verstellt den Blick auf die Kraft, die anderen Sportarten innewohnt. Welche Bedeutung Cricket auf den Westindischen Inseln hat, warum sich das indigene Spiel Lacrosse behaupten konnte, das wären interessante Fragen, die das stärker hätten ausleuchten können, worum es geht: dass Sport integraler Bestandteil des Kolonialismus ist.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Wenn der Fußball eine kolonialistische Erfindung der Briten ist, wieso hat er sich dann in Europa, in Mittel- und Südamerika und inzwischen auch in den USA ausgebreitet? Was unterscheidet den Fußball von der Leichtathletik, stehen die vielen Läufer und Läuferinnen aus Ostafrika auch unter der kolonialistischen Knute? Und sind wir eine Kolonie Japans, Koreas (Nord oder Süd, wie es beliebt) oder Chinas, wenn wir Judo, Taek-Won-Do oder Kung-Fu betreiben?



    Ich glaube eher, wir Menschen machen Sport, weil er einfach Spaß macht. Manche machen auch Sport, um anzugeben, oder auch vor dem anderen Geschlecht (oder auch dem eigenen Geschlecht) zu glänzen. Und manche, die besser als andere in einer Sportart sind, machen ihn zu ihrem Beruf, um Geld zu verdienen und vielleicht auch reich und berühmt zu werden. Das alles ist menschlich und hat wenig bis nichts mit Kolonialismus zu tun.



    Und als Zuschauer gilt das gleiche: man fiebert mit anderen mit, sei es beim Tennis, beim Fußball, Handball, Basketball, Schwimmen oder auch beim Snooker oder Curling oder bei ... (beliebige Sportart einfügen)

  • Der Ball ist mehrheitlich weiß, das weiß ich nun.



    Sport ist Konflikt nach festen möglichst unparteiischen Regeln, langfristig haben also alle eine Chance, sobald ein vergleichbarer Zugang zu Trainingsmöglichkeiten und "pharmazeutischer" Versorgung besteht.

    Aber wir sollten diese Welt ändern, nicht nur auf den Sportplatz starren.

  • Ist das heute wirklich noch sooo relevant? Es ist denke ich Allgemeingut, dass Europa/USA, die Welt über, je nach Lesart und Region, etwa 200-300 Jahre sehr dominant geprägt haben und es ist heute glaube ich auch allgemein bekannt und Konsens, dass davon vieles, sagen wir mal "nicht so toll" war (gerader heraus auch oft "zum Kotzen").

    Genauso Konsens dürfte sein, dass die allermeisten Menschen heute, egal wo sie leben, sehr viel aus diesen Veränderungen verinnerlicht haben - was aber natürlich trotzdem weit weg davon ist, dass auf einmal die Welt europäisch wäre. Im Gegenteil: die Zeit ist, ich denke auch Konsens, heute rum, die Welt wird wieder breiter, gegensätzlicher, bunter aufgestellt. Insgesamt gibt es vielleicht auch Konvergenzen, aber relativ zu einer europäischen (westlichen) Dominanz wird es sicher gerade vielfältiger.

    Gerade deswegen kommen heute relevante Fehlentwicklungen auch aus anderen Regionen und Kulturen. Ergibt es da soviel Sinn beim Kampf für Fortschritt und Gerechtigkeit sich nur auf Szenarien zu konzentrieren, deren Zeit eher überschritten ist, und die den Blick auf heutige Konstellationen vielleicht eher verstellen?

    Das soll natürlich nicht heißen, dass man nicht darüber redet. Es ist nur so ein Bauchgefühl, ob die Gewichtungen der bunter werdenden Realität angemessen sind.

  • Dafür hat es die deutsche Jugend im Profifußball schwer.



    www.bild.de/sport/...86954946.bild.html

    • @Stoffel:

      Das behauptet ja nichtmal die Bild. In dem Artikel gehts um Migrationshintergrund, nicht um Nationalität. Sowohl Sané, als auch Musiala und Pavlovic sind gebürtige Deutsche.