Buch über Partnerschaften: Weniger ein Gefühl
Der Autor Nils Pickert verabschiedet die romantische Liebe und ihre wirkmächtigen Klischees und sucht die Beziehung auf Augenhöhe.
Die These, dass moderne Menschen gleichberechtigte Beziehungen führen wollen, ist so alt wie Paare, die glauben, jenseits patriarchaler Muster zu leben, aber fest in ihnen gefangen sind. Das zeigt allein die Zahl der Studien, die belegen, dass Eltern mit der Geburt des ersten Kindes, spätestens aber mit dem zweiten Baby in geschlechterstereotype Rollen zurückfallen: Er fungiert als (Haupt-)Verdiener, sie bespielt das Care-Feld.
Ist es tatsächlich ausgeschlossen, Kinder zu haben, Haus- und Betreuungsarbeit gerecht aufzuteilen, gleichermaßen Karriere zu machen und sich auch nach vielen Jahren noch gegenseitig zu begehren?
Der Autor Nils Pickert hat eine Antwort: Nein. So jedenfalls lässt sich sein aktuelles Buch „Lebenskomplizi*innen“ in einem Wort zusammenfassen. Pickert sagt aber auch: Das ist harte Arbeit. Sie sagen jetzt sicher: Wo ist die News? Und überhaupt: Liebe sollte leicht sein, verführerisch. Und wie das schon klingt: Beziehungsarbeit!
Nils Pickert: „Lebenskompliz*innen“. Beltz Verlag, Weinheim 2022, 288 Seiten, 19 Euro
An dieser Stelle widerspricht Pickert gar nicht. Sein Plädoyer für gelebte Gleichberechtigung präsentiert er nicht als Liebesmaschinist, sondern als Navigator: Es gibt einen Weg, wie „Liebe auf Augenhöhe“ gelingen kann.
Kein Ratgeber
Wobei sein Buch kein Ratgeber ist. Das wäre auch vermessen, Pickert ist weder Psychologe noch Paartherapeut. Die zahlreichen „Vorschläge“, die er parat hat, entspringen seiner eigenen Biografie. Pickert und seine „Lebenskomplizin“ sind beide um die 40, gleichermaßen berufstätig und auf Erfolg bedacht, seit mehr als 20 Jahren ein Paar, mit vier gemeinsamen Kindern.
Pickerts wichtigster „Vorschlag“ klingt in etwa so: Es geht nicht ohne die 4 W – Wohlwollen, Wandelbarkeit, Wissbegier, Wahrhaftigkeit. Um es salopp zu formulieren: Nörgle nicht am andern herum, aber sag, was du willst (und was nicht). Rechne damit, dass alles anders kommt, inklusive Scheitern und Ratlosigkeit.
Mag banal klingen und ist auch keine Garantie für lebenslange Liebe und Gleichberechtigung, wie Pickert schreibt: „Aber ein guter Kompass, um die geliebte Person und sich selbst im Auge zu behalten.“
Zweiter wichtiger Hinweis: Vergiss die allgemein gepriesene 50:50-Lösung, wonach sich die Partner:innen Haus- und Care-Arbeit hälftig teilen. Das geht nicht, sagt Pickert, es würde nur bedeuten, unterschiedliche Biografien zu synchronisieren und das Leben mit all seinen Wendungen zu negieren.
Gelebte Praxis
Also macht doch jede*r seins? Natürlich nicht. Wer wofür und wie oft zuständig ist, wird ständig neu verhandelt. Pickert räumt gründlich mit der romantischen Liebe auf, so ähnlich, wie das bereits die Soziologin Eva Illouz in „Warum Liebe weh tut“ getan hat. Wobei Pickert eher auf die gelebte Praxis zielt: Liebe ist weniger ein Gefühl als vielmehr konkrete Handlung, das, was man füreinander tut.
Das kommt nicht von ungefähr. Pickert ist Feminist. Als der „Mann im Rock“ wurde er vor zehn Jahren berühmt. Um seinen damals fünfjährigen Sohn, der gern Kleider trug, vor Anfeindungen und Spott zu schützen, zog er einfach selbst einen Rock an.
Diese Geschichte sagt viel über den Mann aus: Er will tradierte Geschlechterrollen aufbrechen und hat mit „Prinzessinnenjungs“ vor zwei Jahren eine Art Standardwerk für Geschlechtergerechtigkeit hingelegt. Schon damals vermittelte Pickert seine Thesen anhand seiner eigenen Erfahrungen. Und tut dies als „Lebenskomplize“ nun noch offener, direkter, unverblümter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen