Erzählungen über „Brauchbare Menschen“: Welche Körper sind verwertbar?

Erntearbeiter, Sexarbeiterinnen, Klickarbeiter, Ausgelagerte: Die Schriftstellerin Magdalena Schrefel erzählt von „Brauchbaren Menschen“.

Menschen arbeiten gebückt auf einem Feld

Harte körperliche Arbeit in der Landwirtschaft: ErntehelferInnen beim Spargelstechen Foto: Babovic/laif

Sag mir, was du arbeitest, und ich sag dir, wie viel du wert bist. Das ist nicht nur das Motto der neoliberalen kapitalistischen Ordnung, sondern auch des Erzählbandes „Brauchbare Menschen“ von Magdalena Schrefel. Die in Österreich geborene und in Berlin lebende Autorin erzählt nicht nur von der Verwertungslogik der Arbeitswelt; sie inszeniert auch den Gegensatz von Wort und Tat.

Schrefel erzählt in zwölf Geschichten von solidarischen Sexarbeiterinnen, einem Zwillingspaar, das mit einer spielsüchtigen Mutter aufwächst, und prekären Formen der Arbeit. Ein wiederkehrendes Motiv ist die harte körperliche Arbeit in der Dienstleistungsbranche und Landwirtschaft.

Immer wieder sind es osteuropäische Arbeiter, die die ausgedünnten Reihen der Arbeiter hierzulande auffüllen. Von immer weiter her kommen die Erntearbeiter nach Deutschland; nach den Polen kommen die Bulgaren und Rumänen, die schon bald von anderen abgelöst werden. Das Proletariat nomadisiert.

Das zentrale Motiv aller Erzählungen ist – wie es der Titel nahelegt – die Frage nach der Verwertbarkeit der Körper, die Arbeit leisten. Und zwar harte, automatisierte Arbeit, die jedoch nicht von Robotern übernommen werden kann.

Metafiktionale Selbstreflexion

In „Landpartie“ macht sich die Ich-Erzählerin, die als Journalistin arbeitet, mit ihrem Partner auf den Weg zu einer Hausauflösung. Dort lernt sie den rumänischen Schlachter Radu kennen. Er erklärt ihr, auf der Suche nach dem Arbeiter von heute müsse man in die Supermärkte, die Krankenhäuser und Nagelstudios gehen, „zu den Gigarbeitern, den Klickarbeitern, den Ausgelagerten“.

„Da wirst du deine Geschichten finden.“ Geschichten erzählen – ist das auch Arbeit? Das Motiv des Schreibens über Arbeit zieht sich durch die Texte. Das ist metafiktionale Selbstreflexion der Arbeit der Schreibenden, offenbart aber auch die Differenz zwischen Geistes- und Körperarbeit.

Dass Schrefel vor allem als Dramatikerin arbeitet, zeigt sich in ihrem starken Gespür für Szenen und Dialoge. Die in dieser Hinsicht erfrischendste Geschichte ist „Automatenglück“, in der ein Sexroboter namens Gigi ins Laufhaus einzieht. Erzählt wird aus der Perspektive einer Domina, die die neue Kollegin mit Interesse beobachtet.

Zunächst stößt die Roboterkonkurrenz auf wenig Gegenliebe, aber Zuhälter Ede stellt eine einfache Rechnung auf: Es gehe hier schließlich um eine Mischkalkulation, man müsse das Angebot für den Kunden ständig erweitern.

Geschichten von Sexarbeiterinnen

Gigis künstliche Intelligenz muss in Gesprächen gefüttert werden, schon bald eignet sie sich die Geschichten der Sexarbeiterinnen an (wie eine Autorin?). Gigi versteht nicht, was Arbeit ist, also erklären es ihr die anderen Sexarbeiterinnen: „Wenn du die Bedürfnisse anderer Leute zu deinen eigenen machst, sage ich, und dich dafür bezahlen lässt. Dann nennt man das Arbeit, Ar-beit.“

So ist Arbeit – egal ob Erwerbs- oder Care-Arbeit – immer auch weiblich konnotiert. Gigis Geschichte nimmt eine tragische Wende; diese wiederum eröffnet den Raum für die einzigartige Solidarität der anderen Sexarbeiterinnen.

In „Preisrede“ erzählt die mehrfach preisgekrönte Autorin Schrefel von der Schreibarbeit, oder besser noch: ihrer Bezahlung. Nach Arbeitsstunden aufgeschlüsselt fällt der Lohn der Schreibenden eher prekär aus. Der Clou ist nun, dass die Erzählung als tatsächliche Preisrede und als Geschichte gelesen werden kann. Die Differenz zwischen Sprechakt (dem Dank in der Rede an die preisverleihende Institution) und der Story als écriture ist entscheidend.

Subtil erzählt Schrefel von der Körperlichkeit des Sprechens und der seltsamen Entkörperung der Schrift. Das ist schon deshalb relevant, weil Arbeit etwas ist, das die Körper betrifft und unbedingt an den Körper gebunden ist, während der geschriebene Text ein Eigenleben entwickelt. Die Schreibende teilt die prekäre Lage anderer Arbeiter.

Aber die Geistesarbeit emanzipiert sich vom Körper. Ob die Geistesarbeit demnächst von KI erledigt werden kann? Das immerhin eröffnet ganz neue Perspektiven auf brauchbare Menschen.

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