Buch über AfD vorgestellt: Reumütige Rechte reintegrieren
Journalist Marcus Bensmann fasst im Buch „Niemand kann sagen, er hätte es nicht gewusst“ Recherchen der Correctiv-Plattform über die AfD zusammen.
Es waren viele, die Anfang des Jahres gegen die rechte Gefahr auf die Straßen gingen. Die Recherche der Investigativplattform Correctiv, wonach Rechtsextreme mit AfD-Politiker:innen in Potsdam die Vertreibung von Millionen von Menschen mit Migrationshintergrund planten, bewegte die Massen. Ob sie auch „die Republik verändert hat“, wie Correctiv-Journalist Marcus Bensmann in seinem Buch über die Pläne der AfD schreibt? Bei den Europawahlen jubelte die Rechtsaußenpartei jedenfalls über Zugewinne.
Dabei musste die AfD ihren EU-Spitzenkandidaten kurz vor der Wahl noch verstecken: Maximilian Krah stand zuletzt wegen möglicher Spionagevorwürfe gegen seine Mitarbeiter sowie wegen Verharmlosung der SS in der Kritik. Bensmann zitiert aus dessen Buch „Politik von rechts“, in dem Krah zu bedenken gibt, dass man 25 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in den nächsten zehn Jahren wohl nicht gegen ihren Willen aus Deutschland ausweisen könne. Den „Integrationsunwilligen“ könne man ihren Aufenthalt jedoch zumindest vergällen, indem man die „Heirat von ‚Importbräuten‘“ verhindere – also darüber bestimme, wer wen heiraten dürfe.
Krahs Buch, auch das schreibt Bensmann, werde im neurechten Antaios-Verlag im Doppelpack mit „Regime Change von rechts“ angeboten, einem Buch verfasst von Martin Sellner, einflussreichem Ideologen der Identitären Bewegung – einer Gruppierung, die offiziell noch auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD steht. Von Sellner stammt auch der „Masterplan“ zur „Remigration“, also der Vertreibung von Millionen von in Deutschland lebenden Menschen, den er in Potsdam vorstellte.
Menschenrechte gelten eher im Kontext
Vieles deute darauf hin, dass die AfD derartige Pläne schon seit Jahren verfolge, sagt Bensmann bei der Premiere seines Buchs am Sonntag im Berliner Ensemble. Immerhin habe die Partei schon 2016 in einem Grundsatzprogrammentwurf ein Beschneidungs- und Schächtungsverbot festgeschrieben, das später wieder gestrichen wurde. Bensmann belegt ferner, dass die AfD sich von der „Westbindung“ zugunsten eines vereinten „Eurasiens“ unter russischer Dominanz verabschiedet habe. In dem Fall stelle die massenhafte Vertreibung von Menschen auch kein rechtliches Problem mehr dar, denn Menschenrechte, so zitiert Bensmann Krah, seien „nicht absolut, sondern im Kontext der Gesellschaft zu definieren“.
Marcus Bensmann/Correctiv: „Niemand kann sagen, er hätte es nicht gewusst. Die ungeheuerlichen Pläne der AfD“. Galiani Verlag 2024, 256 Seiten, 22 Euro
Bensmanns Buch kommt ohne großen theoretischen Unterbau aus. Vielmehr stützt der ehemalige taz-Zentralasien-Korrespondent sich auf journalistische Recherchen von Correctiv sowie anderer Medien, zitiert mehrfach etwa Liane Bednarz, die auch die Buchpremiere Bensmanns moderiert. Die konservative Publizistin und Juristin bringt sich im Berliner Ensemble viel ein, erklärt und erzählt. Irgendwann überlegt sie laut, wie jemand wie Krah, der an der US-Eliteuniversität Columbia seinen Abschluss machte, sich überhaupt radikalisieren konnte. Immerhin brauche man Topnoten, um in New York zu studieren.
Kontrovers wird Bensmann, wenn er auf Parteiaustritte zu sprechen kommt. Ehemaligen AfD-Mitgliedern, sagt er, sollte der Weg zurück ins demokratische Lager geebnet werden. Er begründet seinen Appell zur Reintegration reumütiger Rechter ausgerechnet mit einem Verweis auf die Nachkriegszeit. Vielleicht sei es „eine der ganz großen Leistungen der Bundesrepublik gewesen“, schreibt Bensmann, dass diese „vormaligen Nazis“ in die Gesellschaft aufgenommen worden seien, „ohne dass sie den demokratischen Aufbau gefährden konnten“.
Dass NS-Kriegsverbrecher wie Friedrich Flick auch nach 1945 zu den reichsten Männern der BRD zählten, Flicks Sohn zudem den vielleicht größten Korruptionsskandal der bundesdeutschen Geschichte verantwortete, wird Bensmann wissen. Fritz Bauer dürfte in puncto „Gefährdung“ ebenfalls anderer Meinung gewesen sein.
Die „woke Überdrehtheit“ sei schuld
Bensmann verlässt in seinem Buch denn auch leider das Feld der Recherche und weiß den Aufstieg der AfD in zehn knappen Seiten zu begründen. „Die woke Überdrehtheit“, die dazu führte, dass einer der Heiligen Drei Könige heute nicht mehr von einem braun angemalten Kind gemimt werde, sei schuld. Ebenso die Grünen, die angesichts der Gasknappheit nach Ausbruch des Ukrainekriegs nicht „über ihren Schatten sprangen“ und die stillgelegten Kernkraftwerke ans Netz nahmen. Der Hinweis darauf, wer den Ausbau der erneuerbaren Energien jahrelang verschleppt hat, fehlt.
Leute, die das Binnen-I ablehnten, sollten nicht an den rechten Rand gedrängt werden, sagt Bensmann, Debatten darüber müssten im demokratischen Diskurs geführt werden. Eine Zuschauerin warnt daraufhin davor, sich Positionen der AfD zu eigen zu machen. Bekanntlich wählen die Menschen am liebsten das Original: Dass Olaf Scholz vom Cover des Spiegels tönte, „wir“ müssten „endlich im großen Stil abschieben“ hat der SPD bislang zu keinen erkennbaren Wahlerfolgen verholfen.
Dass es auch die CDU war, die die vielbeschworenen „Grenzen des Sagbaren“ verschoben hat, reißt Bensmann zumindest gegen Ende seines Buchs an. Wenn Friedrich Merz gegen Geflüchtete wettert, die sich beim Zahnarzt „die Zähne neu machen“, während „die Deutschen“ keine Termine kriegten, setze der CDU-Chef auf eine gefährliche Tonlage, so Bensmann. An anderer Stelle scheint der Autor pragmatisch: Wenn in irgendeinem Rathaus die CDU mal für einen AfD-Antrag stimme, werde die Brandmauer schon nicht brechen.
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