Britische „Daily Mail“ und Wikipedia: Nicht mehr als Quelle zugelassen
Die Boulevardzeitung „Daily Mail“ ist keine zulässige Quelle der englischsprachigen Wikipedia mehr. Der Vorwurf: falsche Berichterstattung.
„Schlecht überprüfte Fakten“, „Sensationshascherei“, „erlogene Geschichten“ – diese Eigenschaften attestieren die Autor*innen der englischsprachigen Wikipedia der britischen Boulevardzeitung Daily Mail. Seit Anfang Januar hat die Community intensiv über den Umgang mit dem Blatt diskutiert – und entschied am Mittwoch, das Medium nicht mehr als Quelle für Wikipedia-Artikel zu tolerieren, berichtet der Guardian.
Es war eine Konsensentscheidung, dass die Daily Mail „generell unzuverlässig ist und ihr Gebrauch als Quelle generell untersagt ist, vor allem dann, wenn verlässlichere Quellen vorliegen“, heißt es in der Entscheidung der Autor*innen. In Zukunft soll ein Filter Verfasser*innen von Artikeln warnen, wenn sie sich auf die Daily Mail beziehen wollen.
Die mehreren tausend bereits existierenden Artikel mit Daily-Mail-Bezug sollen nun von Community-Mitgliedern überprüft und die Quellen durch verlässlichere Nachweise ersetzt werden.
Das 1896 gegründete Blatt ist die britische Zeitung mit der zweitstärksten Auflage – übertroffen nur von der Boulevardzeitung The Sun. Ihre Berichterstattung hat in der Vergangenheit wiederholt zu Kontroversen geführt. Dem Blatt wird Rassismus und Homophobie ebenso vorgeworfen wie falsche Berichterstattung.
Im November 2015 etwa veröffentlichte die Zeitung eine Karikatur, in der Geflüchtete gemeinsam mit Ratten die Grenze zur Europäischen Union passieren. Immer wieder gibt es Berichte über falsch dargestellte wissenschaftliche Erkenntnisse.
Eine kontroverse Diskussion
Die Artikel auf Wikipedia werden von Mitgliedern der Community verfasst, überprüft und gegebenenfalls editiert. Der Vorschlag, die Daily Mail auf eine schwarze Liste zu setzen, kam am 7. Januar von einem Mitglied mit dem Nutzernamen „Hillbillyholiday“. Darin heißt es, die Verwendung der Daily Mail könne „ausschließlich dann akzeptiert werden, wenn es eine nachweisliche Notwendigkeit dafür gäbe, diese anstelle einer anderen Quelle zu nutzen“. Bisher ließen zahlreiche Autor*innen beim Verfassen und editieren den Verweis auf das Blatt nicht zu. Die Zeitung sei „Müll, zweckfrei und einfältig“, schreibt Hillbillyholiday. Eine Ausnahme solle es nur geben, wenn die Daily Mail selbst Gegenstand des Wikipedia-Artikels sei.
Die Diskussion innerhalb der Community war kontrovers. Zwar stimmten die meisten Nutzer*innen darin überein, dass die Daily Mail keine den Standards entsprechende Quelle ist. Einige Nutzer*innen führten aber an, dass ohnehin jedes Mitglied angehalten sei, verantwortungsvoll bei der Wahl der Belege vorzugehen. Und andere unseriöse Quellen seien von der Entscheidung nicht betroffen. Tatsächlich gibt es bisher keine Liste mit verbotenen Quellen.
Das Argument, dass die Daily Mail im Sport etwa durchaus verlässlich sei, konterten Befürworter*innen damit, dass es auch in diesem Bereich andere Quellen gebe – „und wenn nicht, dann hat es wahrscheinlich nicht stattgefunden“.
Die Entscheidung betrifft nur die englischsprachige Wikipedia. Ob es Auswirkungen auf die deutschsprachige Community geben wird, kann Jan Apel nicht sagen. Er ist Pressesprecher von Wikimedia, der Stiftung hinter Wikipedia. Seines Wissens nach ist es die erste Entscheidung dieser Art.
Apel will nicht mutmaßen, wie es nun weitergeht. Von der Entwicklung der Relevanzkriterien der deutschsprachigen Wikipedia wisse er aber, dass diese in vielen Fällen ebenfalls in Folge von Einzelentscheidungen entstanden seien.
Die Daily Mail stand bis Redaktionsschluss nicht für eine Stellungnahme zur Verfügung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann