Online-Enzyklopädie Wikipedia: Der aussterbende männliche Schwarm
Koreanische Forscher haben die Wikipedia-Historie der letzten 14 Jahre analysiert. Ihr Fazit wirft ein düsteres Licht auf die Egalisierungsutopie.
Daejeon taz | Sie ist die bislang größte Kollaboration in der Menschheitsgeschichte: 70.000 ehrenamtliche Autoren schreiben in mehr als 100 Sprachen an der Online-Enzyklopädie Wikipedia mit. Schwer vorzustellen, dass wir einmal ohne sie auskommen sollten. Doch genau das behauptet Jinyhun Yun: „Wenn wir nichts gegen die wachsende Ungleichheit unternehmen, könnte Wikipedia schon bald zusammenbrechen.“
Die Alma Mater des 29-jährigen Physikers liegt rund anderthalb Autostunden südlich von Seoul. Das Korea Advanced Institute for Science and Technology (Kaist) gleicht einem akademischen Elfenbeinturm inmitten der koreanischen Vorstadttristesse: Die Ampelphasen sind hier länger als Zigarettenpausen, die Parkplätze so groß wie Fußballfelder. Nur gelegentlich sieht man Nerdtypen mit Hornbrille und Schlabberpulli auf dem menschenleeren Campus von der Mensa ins Labor eilen. Studentische Ablenkung: Fehlanzeige.
Vielleicht gilt deshalb die Kaist als Kaderschmiede für die naturwissenschaftliche Elite Südkoreas. Im Reuters-Ranking der innovativsten Unis weltweit hat sie es im Vorjahr als einzige nichtamerikanische unter die besten zehn geschafft. Die meisten technologischen Innovationen werden von Kaist-Wissenschaftlern entwickelt.
590 Millionen Änderungen
Genau hier hat nun im Januar ein junges Forscherteam um Jinyhun Yun die wohl fundierteste Wikipedia-Kritik vorgelegt. Sie ließen die gesamte Wikipedia-Historie zwischen 2001 und 2014 durch ihre Datenserver laufen: über 34 Millionen Artikel, fast 590 Millionen Änderungseinträge, zwei komplette Wochen Prozessorenarbeit. „Wir wollten anhand dieser Grundlage überprüfen: Nach welchen Mustern wird unser kollektives Wissen kreiert?“, sagt Jinhyuk Yun. In anderen Worten: Wie tickt Wikipedia?
Die Ergebnisse der Koreaner dürften den Betreibern in San Francisco kaum gefallen: Und das, obwohl auf den ersten Blick vieles für Wikipedia spricht.
Kurz nach seiner Gründung 2001 hatte man dem Onlinelexikon wenig Überlebenschancen zugetraut. Vor allem wegen der Ankündigung, dass jeder an den Artikeln mitwerken könne. Die Wikimedia-Foundation, die hinter Wikipedia steht, schreitet nur insofern ein, als dass sie besonders aktive Nutzer zu Administratoren ernennt. Sie können im Gegensatz zu normalen Autoren auch Artikel löschen.
Feministische AutorInnen
werden mit ein paar
Paragrafen abgespeist
Diese Niederschwelligkeit führte zum Aufstieg von Wikipedia und gleichzeitig zur bisher wohl öffentlichkeitswirksamsten Verifizierung der Schwarmintelligenzthese überhaupt. Mittlerweile ist längst hinreichend dokumentiert, dass Wikipedia zuverlässiger funktioniert als herkömmliche Nachschlagewerke wie etwa die Encyclopedia Britannica. Für Schüler besitzt Wikipedia ein De-facto-Informationsmonopol, Gerichte berufen sich inzwischen bei Urteilen darauf, und selbst wissenschaftliche Publikationen zitieren sie zunehmend. Die Egalisierungsutopie wurde breiter Konsens: Wikipedia würde mit der Zeit immer akkurater, immer demokratischer werden.
Ungleichheit wird stärker
Doch nun wiesen die Forscher aus Daejeon nach: Seit einigen Jahren kehrt sich die Entwicklung um wie ein zurückschwingendes Pendel: Die Zahl der Autoren begann zu schrumpfen, und mit ihnen wuchs der Einfluss einiger weniger. Taha Yasseri vom Oxford Internet Institute prägte erstmals den Begriff der „super editors“, die sich vor allem durch ihre exzessive Autorenschaft bei Wikipedia-Artikeln auszeichnen. Die Studie der koreanischen Forscher kommt nun zu dem Ergebnis: Diese Ungleichheit wird über die Jahre immer stärker werden.
Was die Autoren ebenfalls herausfanden: Ob Artikel häufig oder selten geändert werden, sagt nichts darüber aus, ob diese mit der Zeit schneller oder langsamer wachsen. Insgesamt ließen sich nahezu alle Artikel – je nach Häufigkeit der Änderungen sowie der durchschnittlichen Länge pro Artikel-Editierung – in vier Kategorien einteilen.
Die wohl interessanteste Erkenntnis betrifft aber jene Artikel, die häufig bearbeitet werden: Meist handelt es sich dabei um kontroverse Themen, etwa die Anschläge vom 11. September. Manchmal sind es aber auch scheinbar banale Fragen wie die Reihenfolge der Beatles-Mitglieder (alphabetisch geordnet oder nach Relevanz?). Solche Artikel werden oft im Sekundentakt geändert, nicht selten mehrere tausend Male im Jahr. In den Medien fanden sie unter dem Schlagwort „Wikipedia-Kriege“ Eingang in unseren Sprachschatz.
Sinkende Autorenzahlen
Aufgrund ihrer polarisierenden Natur üben sie zwar für Autoren einerseits den größten Reiz aus, sie aktiv mitzugestalten. Gleichzeitig jedoch sinkt bei jenen besonders häufig editierten Artikel die Anzahl an Nutzern mit der Zeit am drastischsten. In anderen Worten ausgedrückt: Die meistdiskutierten Artikel werden schlussendlich von einigen wenigen Individuen dominiert. Durch ihre Hartnäckigkeit bauen die „super editors“ einen elitären Zirkel auf – und schrecken potenzielle neue Autoren ab.
Forscher Yun betont, die Verdienste der „super editors“ nicht kleinreden zu wollen: „Kurzfristig sagt die Anzahl der Autoren an einem Artikel ja nichts über dessen Qualität aus“, sagt der Physiker. „Langfristig jedoch glauben wir, dass die Entwicklung der sinkenden Autorenzahlen zu einer existenziellen Bedrohung für Wikipedia wird.“
Der Journalistikprofessor Andrew Lih, Autor von „The Wikipedia Revolution“, führt diese Entwicklung vor allem auf den Siegeszug von Smartphones und Tabloids zurück. Seit acht Jahren in Folge schrumpft die Anzahl an freiwilligen Wikipedia-Autoren. Wikipedia habe es bislang nicht geschafft, seine Benutzeroberfläche in das Zeitalter des mobilen Internets zu transformieren. Gleichzeitig zeigen sich viele langjährige Wikipedia-Autoren als wenig kooperativ. In Grabenkämpfen versuchen sie, ihre Deutung des Zeitgeschehens zu behaupten.
Drastischer Gender-Gap
Zudem zeigt sich in Wikipedia noch immer ein drastischer Gender-Gap: Weit über 80 Prozent aller Kontributoren sind männlich, haben vorwiegend einen naturwissenschaftlichen Hintergrund und stammen aus den führenden OECD-Staaten. Dies zeigt sich auch an den Inhalten: Während oftmals feministische Autoren von internationalem Rang mit ein paar Paragrafen abgespeist werden, lassen sich mit den Biografien fiktiver Game-Charaktere ganze Buchkapitel füllen.
Lih befürchtet, es brauche einen öffentlichkeitswirksamen Knall, um die Notwendigkeit von grundlegenden Reformen auszulösen. Andernfalls könne Wikipedia in langsamen Schritten an Glaubwürdigkeit und Qualität verlieren – und langfristig dem Untergang geweiht sein.
In San Francisco sieht man die Dinge weitaus weniger dramatisch. „Ich würde bei den sinkenden Nutzerzahlen nicht von einem generellen Trend sprechen“, sagt Samantha Lien von der Wikimedia Foundation. Tatsächlich habe die Anzahl an Wikipedia-Autoren in den letzten anderthalb Jahren abgenommen, im selben Zeitraum konnte man jedoch unter den besonders aktiven Nutzern mit über 100 Artikeländerungen pro Monat einen leichten Zuwachs verzeichnen.
Handlungsbedarf bei Wikimedia
Offenbar hat man bei Wikimedia jedoch Handlungsbedarf erkannt: Derzeit werde untersucht, was engagierte Wikipedia-Autoren antreibt, aber auch, welche Hürden für potenzielle Autoren bestehen. Das visuelle Oberflächendesign sei bereits vereinfacht worden. Und in Zukunft sollen personalisierte Empfehlungstools, ähnlich wie die Werbeeinblendungen beim Surfen, auf den User abgestimmte Artikeleditierungen empfehlen.
Auf eine andere Gefahr haben die Macher aus den USA jedoch keinen Einfluss. Sie hat viel mit der Anfangsskepsis gegen das Schwarmlexikon zu tun: die Instrumentalisierung von Wikipedia als PR-Plattform. Bereits 2014 legte eine Studie des deutschen Investigativjournalisten Marvin Oppong offen, wie sowohl Unternehmen als auch Parteien und Einzelpersonen Inhalte systematisch und themenübergreifend manipulieren. „Die Wikipedia-Community vermag des Problems nicht Herr zu werden“, heißt es dort. Als Lösungsansatz gegen versteckte PR in Wikipedia forderte Oppong unter anderem Medienkompetenz-Kurse für neue Autoren, eine verstärkte Verifizierung von Wiki-Nutzern sowie Sanktionen für Verstöße gegen den Ethikkodex.
Erstmals im Jahr 2011 musste das französische Unternehmen Hi-Media 25.000 Euro Schadensersatz zahlen, nachdem es in einem Beitrag über „Micropayment“ einen Hinweis über einen konkurrierenden Anbieter gelöscht hatte. Im Mai 2012 folgte das erste juristische Urteil gegen verdeckte PR auf deutschem Boden.
Jeder weitere PR-Verdacht in Zusammenhang mit Wikipedia würde nur das Urteil bestätigen, das der Koautor der koreanischen Studie über das Onlinelexikon fällt: „Weil die Inhalte für die Menschheit so wertvoll sind, bin ich optimistisch, dass diese nicht einfach verschwinden werden“, sagt Sang Hoon Lee vom Elite-Institut Kaist: „Bei der Institution Wikipedia selbst bin ich mir da nicht so sicher“.
Leser*innenkommentare
nacktfee
Es gibt nur ein Korea: Kims Cola-Rot. Um aufzuklären, dass es hauptsächlich Männer sind, die ihr enzyklopädisch-geklautes Wissen verbreiten wollen, dazu bräuchte es keine Kaderschmiede. Die Machoattitüde des Löschens betätigen viele gerne in der virtuellen Welt. Änderungen, reine Löschlogik. Jemand behauptet etwas, konnte sagen: In der Taz stehts. So blieb’s deshalb stehen. Das hat mit Wissen nichts zu tun. Jemand sagte: Im Brockhaus stehts, daher blieb’s stehen. Da stand und steht sehr viel Blödsinn drin (die Geschichte ist da gnadenlos, überprüft doch mal schon jetzt einige Einträge, zu … -ismus zum Beispiel), hat mit der Wahrheit nichts zu Tun. Das Sozialistische Patientenkollektiv focht in den Anfangstagen der Wikipedia-Schnüffelkraken den Eintrag über das SPK mit denen aus. Kann man nachlesen. Wenn es nach den Schnüffelkraken gegangen wäre, wären nicht die, die dabei waren und sind gehört worden, sondern Bücher und Zeitungen, mit irgendwelchen Meinungen und ideologisch verbrämten Lügen, mit Meldungen der vermeintlichen Sieger. Falschheit über Falschheit. Nerds gegen die Revolution. Stubenhocker gegen politische Praxis.
SPK defeats Schnüffelkraken! Das ist der Anfang von Wirk-Wissen. Pathopraktik versus Realitätsverblendung. http://www.spkpfh.de/index_deutsch_elektronischer_Klassenkampf.html
Stefan Wagner
Wieso ist die 80%-Männerquote ein Problem? Kaum irgendwo ist der Zugang weniger reguliert, in the internet, nobody knows you're a female dog.
Ist der Fakt, dass es keine sichtbaren Zugangsbegrenzungen für Frauen gibt, nur ein Beweis dafür, dass die Decken eben gläsern sind?
Und wieso werden Artikel über feministische Theoretikerinnen nicht mit solchen über marxistische, christliche oder liberale verglichen, sondern mit fiktionalen Figuren eines komplett anderen Genres? Lasst mich raten: Weil der Vergleich keine spektakulären Unterschiede liefern würde? Was hält denn die Feministen davon ab Artikel über ihre Autoren zu schreiben, längere Artikel zu schreiben? Böse, weiße Männer aus Ex-OECD-Staaten?
Olaf Simons
Spannender Artikel. Eine Korrektur ist aber wichtig:
"Die Wikimedia-Foundation, die hinter Wikipedia steht, schreitet nur insofern ein, als dass sie besonders aktive Nutzer zu Administratoren ernennt. Sie können im Gegensatz zu normalen Autoren auch Artikel löschen"
Das ist falsch. Administratoren werden von den Wikipedianern, der "Community", in einem harten Wahlverfahren bestimmt. Die Wikipedia Foundation hat auf sie gar keinen Einfluss, und zwischen der Community und der Foundation herrscht ein massives Spannungsverhältnis.
Wikipedia organisiert sich tatsächlich was schreiben, löschen, und Umgang mit anstrengenden Benutzern angeht, selbst.
Rudolf Fissner
@Olaf Simons Und wie ist "sich selbst? Wieviele sind "sich selbst" Ein wählender Kern von 100 der es darf und macht? Wer steht politisch dahinter? Welche politischen Verknüfungen nach Außen gibt es? Welche politischen Gruppen - abgesehen von hoffentlich nicht vertretenden extremen Gruppen - sind nicht vertreten bzw. ausgeschlossen? Sieht es auf der Ebene genauso einseitig aus wie bei der Teilnahme von Frauen?
Rudolf Fissner
VieleArtikel mögen sicher besser sein als in der Enz. Britanica. Aber auch deren Tage sind gezählt und am Ende gibt es nur noch eine allein selig machende Enzyklopädie.
Kubatsch
Eine interessante Studie und guter Text.
Nur eine Sache ist...ähem...lustig:
"Gender-Gap: Weit über 80 Prozent aller Kontributoren sind männlich, haben vorwiegend einen naturwissenschaftlichen Hintergrund und stammen aus den führenden OECD-Staaten. Dies zeigt sich auch an den Inhalten: Während oftmals feministische Autoren von internationalem Rang mit ein paar Paragrafen abgespeist werden, lassen sich mit den Biografien fiktiver Game-Charaktere ganze Buchkapitel füllen."
Also über 80% der Wikischreiber sind akademische GamerNerds aus Industriestaaten!
mowgli
Eine "existenzielle Bedrohung" - wenn das nicht mal ne echt starke Ansage ist! Der Hang besonders gut ausgebildeter Leute, den Untergang herbeizureden, ist offenbar keiner, der sich nur auf das Abendland beschränkt.
Nun ja, ganz unbegründet ist er ja nicht, der Hang. Man kann nichts falsch machen damit. Die Weltreiche kommen und gehen. Nicht einmal die Encyclopedia Britannica ist heute noch, was sie mal war. Mit einer gewissen statistischen Wahrscheinlichkeit wird also auch die Wikipedia eines Tages verschwunden sein. Und es sollte mich sehr wundern, wenn nicht gerade ihre "Super-Editoren" und sonstige Manipulatoren ihrem Ab- bzw. Untergang beschleunigen. Es sind ja schließlich immer die selbsternannten Super-Menschen, die sich anmaßen, für alle anderen zu entscheiden – und zwar verkehrt.
Wir wissen alle: Dinge halten länger, wenn wir sorgsam damit umgehen. Nun hat der Mensch zu vielem einen angeborenen Hang. Zur Sorgsamkeit leider nicht. Wer sie nicht lernt, wenn er noch lernen kann bzw. will (Super-Menschen beispielsweise), der hat sie nicht. Und dann kann es manchmal verdammt schnell gehen mit dem Ende. Dass man für diese Erkenntnis eine halbe Elite-Uni monatelang denken lassen muss, finde ich, nun ja, erstaunlich.
Übrigens: Dass Artikel, die häufig geändert werden, ihre Nutzer abschrecken, spricht eher für die Schwarm-Intelligenz als dagegen. Ein Lexikon soll schließlich eine halbwegs stabile Basis für Entscheidungen liefern. (Ob nun in Bezug auf Feminismus oder virtuelle Spiele-Welten, ist eher sekundär, genau so wie die bloße Anzahl der entsprechenden Artikel). Ein Wissen aber, das nicht als gesichert gelten kann, weil es sich dauernd ändert bzw. stark umstritten ist, kann so eine Basis unmöglich bieten. Es gehört also nicht in ein Lexikon. Vielleicht sollten die Wiki-Leute dafür ein Extra-Projekt starten. Eins, aus dem die Artikels erst dann ins Lexikon wechseln dürfen, wenn sie halbwegs ausdiskutiert sind.
33731 (Profil gelöscht)
Gast
ich würde vermuten das diese "super editoren" einen weg gefunden haben wie man über wikipedia geld verdienen kann. das kann sein verdeckte oder offene PR, das kann aber auch schlicht und ergreifend erpressung ala orangemoody sein: http://www.independent.co.uk/news/uk/crime/wikipedia-rocked-by-rogue-editors-blackmail-scam-targeting-small-businesses-and-celebrities-10481993.html
das ist wikipedia gefordert gegen vorzugehen bzw eine technische lösung zu finden. so wie das jetzt ist ist das gefährlicher mist.
Christian
Ohne jetzt technische und soziale Probleme kleinreden zu wollen, am Ende gilt aber immer noch: "It's a wiki!" Wem der Artikel zu Autor XY zu kurz ist, der ist eingeladen, einen längeren und besseren zu schreiben.
Jost Maurin
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Wikipedia ist doch ein typischer Internethype: Erst haben alle davon gefaselt, wie demokratisch das sei, dass jeder Hinz und Kunz an einer Enzyklopädie schreiben dürfe. Die Ehrenamtlichen halten auch tatsächlich so lange durch, bis all die von Verlagen betriebenen Konkurrenten pleite sind und die bezahlten Autoren ihren Job verlieren (z.B. Brockhaus). Und dann hören auch die ehrenamtlichen Internet-Nerds auf, weil sie ja auch von irgendetwas leben müssen. Natürlich werden die, die heimlich von PR-Agenturen bezahlt werden, weiter schreiben. Am Ende gibt es statt wie früher mehrere Enzyklopädien nur noch eine - und die wird von Konzernen mit deren Propaganda durchsetzt. Am Ende ist das Enzyklopädiewesen also weniger demokratisch als zu Zeiten der Verlagsprojekte.
Christian
@Jost Maurin Wenn jeder hier und da mal einen Absatz schreibt, lässt sich das durchaus bequem neben einer Vollzeitstelle erledigen. Für manche soll Wikipedia sogar ein Hobby sein. Die schreiben dann ganze Artikel am Wochenende. Wieso das mit der Fähigkeit, sich zu ernähren kollidieren soll, haben Sie jetzt nicht wirklich herausgearbeitet.
Jost Maurin
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
@Christian Das zeigt doch gerade der Artikel: Die Zahl der Autoren fällt. Und ich glaube: Ein guter Lexikonabsatz schreibt sich eben nicht so nebenbei. Wenn er wirklich gut sein soll, muss man recherchieren und mitunter lange um präzise Formulierungen ringen. Das kostet Zeit.
LeSti
@Jost Maurin Also im Ideal hält der Schwarm für viele Themen Experten bereit. Für die ist ein Absatz dann tatsächlich nebenbei geschrieben. Weil man sich gerade ohnehin mit dem Thema beschäftigt, weil man für ein Fachlexikon (die gibts übrigens immer noch) gerade den gleichen oder einen ähnlichen Artikel schreibt. Weil man im Hobby für ein Thema Spezialist ist (Games, Briefmarken, Münzen, mittelalterliche Glasperlen, Barsche des Tanganijka-Sees, ...). Man muss dann natürlich immer noch überlegen, strukturieren usw. Aber man weiß den Gegenstand und wo man das eigene Wissen her hat.
Maximilian Blum
@Jost Maurin Ich glaube, Sie unterschätzen die Qualität und Quantität der Schwarm-Intelligenz. So schnell löst sich diese Kraft nicht auf, und sie ist selbst auf rein ehrenamtlicher Basis bereits so gewaltig, dass jede private Konkurrenz bisher eingeknickt ist. Wikipedia/Creative Commons sind nüchtern betrachtet real existierender Kommunismus. Es wird wahr was Engels postulierte: Der Mensch ist von sich aus voller Antrieb und Schaffensdrang. Was die Herausbildung von super-Editors betrifft: Das ist denke ich eine normale Entwicklung, Folge von Erfahrungswerten und Spezialisierung. Wikimedia steht allerdings in der Tat vor der Herausforderung, wie man diese Auoren-Hierarchien sichtbar und für neue Autoren verständlich macht. Und das Problem des akuten Frauenmangels unter den Autoren muss auch endlich ernsthaft angegangen werden! Das ist Vorsintflutlich und ganz und gar unkommunistisch :)
wirklich?
@Jost Maurin Vermutlich haben sie recht, trotzdem kann ich mich mit ihrer zynischen pessimistischen Sicht nicht anfreunden. :-(
Gesunder Menschenverstand
Danke für die knackige Analyse.
Das Verschwinden der gedruckten Enzyklopädien ist durchaus beängstigend.
Mustardman
Sie sind verschwunden, weil sie niemand mehr gekauft hat. Wann haben sie die letzte Enzyklopädie gekauft?
Und alles, was man an Wikipedia kritisieren kann, war da noch viel extremer: Es gab da NUR Supereditoren (nämlich die Redaktion), nichts war umstritten, weil einfach festgelegt wurde was drinstand und niemand es ändern oder kritisieren konnte, und das war rein kommerziell.
Mal ganz abgesehen davon, dass die Dinger verdammt teuer waren und bei weitem nicht jeder sich eine leisten konnte.
Wie so oft ist dieses Gemecker über Auseinandersetzungen in letzter Konsequenz ein Ruf nach weniger Transparenz und mehr Autorität.
Jost Maurin
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Sie wurden nicht mehr gekauft, weil es Wikipedia gratis gab.
Und weil es sich deshalb für die Verlage nicht mehr lohnte, die analogen Lexika digital weiterzuentwickeln (z.B. durch moderierte Ergänzungen durch den "Schwarm").
Natürlich gab es Supereditoren, aber eben mehrere Projekte, nicht nur eins (und das für die ganze Welt!).
Cededa Trpimirović
1. Wenn Wikipedianer mitbekommen, dass man eine Frau ist, wird frau blöd angemacht (selbst erlebt).
2. Zu vielen Themen ist schon viel geschrieben worden. Die meisten Leute besitzen das Spezialwissen nicht, um Ergänzungen zu machen. Ergänzungen sind übrigens viel schwieriger als etwas komplett alleine/neu zu schreiben.
(direkt dazu 3. Über NPC lässt es sich leichter schreiben als über Quantenphysik - man schreibt über das, was einen interessiert).
4. Viele Artikel brauchen lediglich tagesaktuelle Ergänzungen, wenn jemand abgewählt wird oder stirbt oder so wat. Solche Aktualisierungen sind todlangweilig, warum sollten sich Neuredakteure damit abgeben? Die schreiben auch lieber NPC-Artikel.
Cededa Trpimirović
Ich habe noch nie Enzyklopädien auf Papier gekauft, und zwar schon als es Wikipedia noch nicht gabt - rein aus finanziellen, aber auch aus Platzgründen.
Was ich allerdings mal gekauft habe, war Microsoft Encarta. Das war auch kommerziell, kostete aber nur $30 und nicht 3000.