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Bridge over Troubled Water

Vor dem Nato-Gipfel steht die Freundschaft zwischen Deutschland und den USA unter Druck. Merz setzt weiter auf Gespräche. Was aber, wenn auf der anderen Seite der Brücke keiner mehr zuhören will?

Symbole der Freundschaft: Militärfahrzeuge rollen im Rahmen einer Nato-Übung über deutsche Straßen Foto: Laetitia Vancon/nyt/redux/laif

Von Sabine am Orde und Anna Lehmann

Am letzten Sonntag im Februar sitzt Friedrich Merz in einem Studio des ZDF mit den anderen Parteivorsitzenden, es ist Zeit für die sogenannte Elefantenrunde am Abend der Bundestagswahl. Die Union hat schlechter abgeschnitten als von ihr erhofft, aber die Wahl hat sie gewonnen. Merz politischer Lebenstraum, Kanzler zu werden, geht in Erfüllung.

Das internationale Setting für seine Kanzlerschaft allerdings wird er sich anders vorgestellt haben. „Für mich wird absolute Priorität haben, so schnell wie möglich Europa so zu stärken, dass wir Schritt für Schritt auch wirklich Unabhängigkeit erreichen von den USA“, sagt Merz. Ob man beim Nato-Gipfel im Juni das Bündnis noch in seiner früheren Form antreffen werde, sei nicht klar. Und: „Ich hätte nie geglaubt, dass ich so etwas mal in einer Fernsehsendung sagen muss.“

Kurz zuvor hatte sich Donald Trump auf die Seite des russischen Präsidenten Wladimir Putin geschlagen und der Ukraine die Schuld an dem Krieg in ihrem Land zugeschrieben, eine klassische Täter-Opfer-Umkehr. Und ein Bruch mit allem, was Merz bislang für die Wertebasis des transatlantischen Bündnisses gehalten hat.

Friedrich Merz ist Transatlantiker durch und durch. Er ist mit der Westintegration durch Adenauer und dem Sicherheitsversprechen der USA aufgewachsen, war beruflich viel in den Staaten unterwegs und zehn Jahre lang Vorsitzender der Atlantik-Brücke. „Unser Bündnis zu Amerika war, ist und bleibt von überragender Bedeutung für die Sicherheit, die Freiheit und den Wohlstand in Europa“, so hatte er es noch Anfang Februar in einem Beitrag für die Atlantik-Brücke formuliert, obwohl Trump da bereits wieder im Amt war und das „Project 2025“ lange bekannt, das Skript für den autoritären Umbau der USA.

Umso forscher klang dann Merz’ Rhetorik wenige Wochen später, nicht nur im ZDF-Studio. Seitdem aber hat er sich auffällig heruntergedimmt. Anfang Mai sagt er auf seiner ersten Auslandsreise in Paris: „Wir wollen, dass die Amerikaner an Bord bleiben.“ Da klingt er fast ein bisschen wie sein Vorgänger Olaf Scholz, dem er oft Zögerlichkeit vorgeworfen hat. Willkommen in der Realpolitik des deutschen Regierungschefs. Europa kann auf die militärische Unterstützung der USA eben nicht verzichten, auf jeden Fall nicht kurzfristig.

Trump an Bord zu halten, in Europa, bei der Ukraine, in der Nato, an diesem Ziel richtet die Bundesregierung ihre Politik aus. Bemüht sich um Harmonie, betont das Gemeinsame, zeigt Handlungsbereitschaft. Merz reist gemeinsam mit anderen europäischen Regierungschefs nach Kyjiw und produziert starke Bilder, auch wenn die Drohungen gegen Moskau nicht unterfüttert sind. Außenminister Johann Wadephul spricht sich beim Treffen mit seinen Nato-­Kol­le­g*in­nen für eine drastische Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus, so ähnlich wie Trump es gefordert hat, auch wenn Wadephul 1,5 Prozent für Infrastrukturmaßnahmen mit einrechnen will. Und bei Merz’ Antrittsbesuch in den USA geht es vor allem darum, einen guten Draht zu Trump aufzubauen.

Ob das nützt? Das wird sich ab Dienstag zeigen, wenn die Staats- und Regierungschefs der Nato-Länder in Den Haag zusammenkommen. Es geht um die Zukunft des Verteidigungsbündnisses. Und auch um die Frage, was transatlantische Politik, die die Union so gern als Teil ihrer DNA bezeichnet, unter Trump überhaupt noch sein kann.

Will man Merz’ Blick darauf näher ergründen, kann Stefan Kornelius helfen, der Regierungssprecher, der früher Außenpolitikchef bei der Süddeutschen Zeitung war. Kornelius empfängt in seinem noch recht kahlen Büro im Bundespresseamt, zum Einrichten war bislang keine Zeit. Es ist Donnerstag, Kornelius ist gerade vom G7-Gipfel zurück, den Trump früher verlassen hat. Man müsse nüchtern auf die Beziehungen zu den USA blicken, sagt er. „Die transatlantische Rührseligkeit fand ich immer befremdlich. Es geht um Interessen, und das war schon immer so. So sieht es auch der Kanzler.“ In der Geschichte der amerikanischen Außenpolitik habe es immer isolationistische Zeiten gegeben. Man müsse um die USA als Partnerin kämpfen.

„Merz hat zu Trump einen erstaunlich guten Gesprächskanal gefunden, und den muss man nutzen.“ Auch gebe es intensive Kontakte zu Politikern in der Administration, wie Finanzminister Scott Bessent, die die deutschen Interessen teilen. Die Kontakte in den Senat seien ebenfalls wichtig. „Das zentrale Thema ist die nukleare Abschreckung. Da sind wir von den USA abhängig“, sagt Kornelius. „Die Priorität von Friedrich Merz liegt auf der Stärkung Europas.“

Anfang Juni steht Außenminister Wadephul in einem Atrium an Berlins Boulevard Unter den Linden, das Arthur-F.-Burns-Programm, das den Austausch deutscher und nordamerikanischer Jour­na­lis­t*in­nen über den Atlantik organisiert, hat zum Alumni-Treffen geladen. Zwischen Hauptgang und Dessert, so sagt es Wadephul selbst, hätten die Veranstalter eine Grundsatzrede zu den transatlantischen Beziehungen angekündigt. Dann versucht er mit Verweis auf seine norddeutsche Nüchternheit schnell, die Fallhöhe wieder zu reduzieren.

Man sehe eine ganze Reihe von Äußerungen und auch Handlungen der Trump-Administration, „die gegen grundlegende Fundamente unseres Miteinanders gerichtet scheinen“, sagt Wadephul. Er betont aber auch sein „Urvertrauen in unsere transatlantische Partnerschaft“ und spricht von einer „Sturmphase“, die man aushalten müsse. Deutschland, so rät er, solle – schon aus Eigeninteresse – „unsere Verteidigungsfähigkeit stärken, unsere Handelsinteressen wahren, unser Verständnis von Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit formulieren“. Die eigenen Interessen müssten klar und mit Selbstbewusstsein artikuliert werden. Dann sei er zuversichtlich, dass es zu „Einigungen im beiderseitigen Interesse“ kommen könne. Deutschland, so Wadephuls Fazit, müsse sich bemühen, „Brückenbauer im transatlantischen Verhältnis“ zu sein.

Auf der einen Seite eine Brücke zu bauen, während auf der anderen Seite deren Pfeiler in die Luft gejagt werden, ist allerdings kein leichtes Unterfangen.

Rachel Tausendfreund von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik ist Expertin für transatlantische Beziehungen. Dem wechselseitigen Verhältnis würde sie auf einer Skala von 1 bis 10 derzeit eine 4 geben. „Wobei ich das Verhältnis zwischen Merz und Trump positiver, nämlich mit einer 6, bewerten würde.“

Eine gute persönliche Beziehung sei wichtig, meint Tausendfreund. Doch das löse die strukturellen Probleme im transatlantischen Verhältnis nicht. Im Handelsstreit etwa brauche Trump die Zölle als Einnahmen, wie er es seinen Wählern versprochen hat. Auch sei Trump in seiner zweiten Amtszeit von einflussreichen Männern umgeben, die Gegner der transatlantischen Partnerschaft seien, wie Vize J. D. Vance, Verteidigungsminister Pete Hegseth und Stephen Miller, der inzwischen stellvertretender Stabschef ist. „Es gibt eine tiefsitzende Skepsis bei vielen Republikanern gegenüber der EU und den Eindruck, dass die USA die EU viel zu gut behandeln.“

Jürgen Hardt ist außenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, unter Angela Merkel war er vier Jahre lang Koordinator der Bundesregierung für die transatlantischen Beziehungen. Trump wurde damals zum ersten Mal gewählt. Schon damals, sagt Hardt am Telefon, habe er über die „Vertrautheitsillusion“ nachgedacht. Soll heißen: Viele Deutschen fühlten sich der Kultur und Lebensweise der Amerikaner so nah, dass man glaube, sie gut zu ­kennen. „Aber die Unterschiede sind viel größer als gedacht.“ Das zeige sich jetzt, in der ­zweiten Amtszeit Donald Trumps, umso deutlicher. Deshalb müsse man noch stärker in den USA für die eigenen Argumente und um Vertrauen werben.

Auf der einen Seite eine Brücke zu bauen, während auf der anderen Seite deren Pfeiler in die Luft gejagt werden, ist kein leichtes Unterfangen

Fragt man Hardt, ob eine deutsch-amerikanische Freundschaft mit den USA unter Trump noch möglich sei, dessen Plan sich doch gegen die gemeinsamen Werte richte, sagt er: „Ich glaube nicht, dass Donald Trump immer einen festen Plan hat. Auch scheint seine Neigung nicht besonders ausgeprägt, Plänen systematisch zu folgen.“ Oft sei auch nicht klar, wer sein Gehör findet. Das soll wohl heißen: Zur zielgerichteten Umsetzung des Projects 2025 fehlt Trump die Stringenz. Hardt weiß, wovon er spricht. Er hat Vertreter der Heritage Foundation im Januar zum Gespräch in den Bundestag eingeladen, das hat ihm scharfe Kritik eingebracht. Er selbst sagt: „Man muss mit allen sprechen, die in Washington Einfluss haben.“

Je länger man mit Hardt telefoniert, desto deutlicher wird, dass er in Trumps viel beklagter Unberechenbarkeit nicht nur ein Risiko, sondern auch eine Chance sieht. Man könne ihn eben auch auf seine Seite ziehen. Auf den Nato-Gipfel etwa blickt Hardt eher optimistisch. Weil sich die anderen Nato-Staaten wohl auf die geforderten 5 Prozent einlassen würden, könne Trump das als seinen Erfolg werten.

Kornelius, Wadephul, Hardt: Alle drei kennen sich aus und sind nicht naiv. Aber bei allen drei klingt eine gewisse Ratlosigkeit durch – und auch das Prinzip Hoffnung.

Grundsätzlich seien die transatlantischen Beziehungen stark, meint auch Expertin Tausendfreund. Es brauche mehr als vier Jahre um das Verhältnis zu kippen. Aber: „Trump hat es jetzt schon geschafft, das Fundament zu erschüttern, weil die Europäer sich fragen, ob die US-Amerikaner sie weiter schützen.“ In der kommenden Woche werden alle schlauer sein, ein bisschen zumindest. Verlassen auf diesen Schutz aber sollte man sich besser nicht.

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