Bremer Mehrheit für Rot-Grün schrumpft: Die Opposition wird größer
Susanne Wendland ist aus den Grünen und der Fraktion ausgetreten. Nun hat die Regierung in der Bürgerschaft nur noch einen Sitz Mehrheit.
Die 40-jährige, in Thüringen geborene Politikwissenschaftlerin spricht in ihrer Austrittserklärung von einem „tiefen Vertrauensverlust“ und wirft der Partei vor, „im Kampf um den Machterhalt“ die grünen Grundsätze „zu verraten“: Immer mehr Angst bestimme das politische Handeln. Die Entscheidung habe sie „viel Kraft und Zeit“ gekostet.
In der Vergangenheit ist Wendland vor allem durch ihren Widerstand gegen eine geschlossene Unterbringung für straffällige Flüchtlingsjugendliche aufgefallen. SPD und Grüne hatten diese – auf Drängen der Sozialdemokraten – im Koalitionsvertrag gemeinsam beschlossen. Mittlerweile ist das Projekt aber vom Tisch: Wendlands Position hat sich am Ende durchgesetzt. Ihre abweichende Meinung dazu sei innerhalb der Grünen-Fraktion „nicht respektiert“ worden, sagt Wendland nun: „Mein Mandat konnte ich bei Gewissensfragen nicht immer frei ausüben“.
Diesen Vorwurf könne sie „wirklich nicht nachvollziehen“, entgegnet Schaefer, die statt dessen von „viel Wertschätzung“ für Wendlands Widerstand gegen ein geschlossenes Heim spricht. Das Projekt war innerhalb der Grünen von Anfang an umstritten, Partei und Fraktion fühlten sich aber an den Koalitionsvertrag gebunden – auch dann noch, als ExpertInnen bei einer Anhörung die geschlossene Unterbringung mehrheitlich ablehnten.
Streitpunkte Überwachung und Offshore-Terminal
Schaefer war „überrascht“ von Wendlands Rückzug und ist „menschlich enttäuscht“, wie sie der taz sagte. Wendland habe sich bereits seit 13 Monaten ohne nähere Angaben nicht mehr für die Fraktion engagiert und sich auch an keinen Debatten beteiligt, etwa zum grünen Votum für mehr staatliche Überwachung im öffentlichen Raum, das Wendland nun kritisiert. An Plätzen wie der Domsheide oder dem Marktplatz ergebe eine dauerhafte Videoüberwachung „wegen der vielen Menschen Sinn“, sagte Fraktionvize Björn Fecker im März bei der Vorstellung eines neuen Positionspapiers der Grünen – auch wenn Kameras keine Straftaten verhindern könnten.
Auch das ihrer Meinung nach „unsinnige“ Offshore-Terminal Bremen (OTB), das rot-grün in Bremerhaven plant, führt Wendland als Grund für ihren Austritt an – ein „fadenscheiniger“ Grund, wie Schaefer findet: Gerade die Grünen-Fraktion dränge immer wieder darauf, den OTB angesichts der veränderten Rahmenbedingungen abermals „sorgfältig zu prüfen“. Zuletzt hatte das Oberverwaltungsgericht den Baustopp für den OTB bestätigt: Eine „Klatsche“ für rot-grün, sagt Wendland: „Richter haben entschieden und nicht die Politik“.
Susanne Wendland (parteilos)
Die Grünen verlören immer mehr „ihre linken Wurzeln“ und ihren „progressiven Kampfgeist“, resümiert Wendland. Auch in Bremen bewegten sich die Grünen „in einem kuscheligen Raum des Machterhalts“ und hätten sich „dem Mainstream angepasst“. In die Linkspartei eintreten will sie derzeit aber nicht.
Bei den Grünen war sie aber schon länger nicht mehr wohl gelitten: Aus der Fraktion gab es wiederholt Kritik an Wendlands fehlendem Arbeitseifer. Auch sei sie „keine Teamplayerin“, hieß es immer wieder. Auf der Liste für die letzte Bürgerschaftswahl durfte sie deswegen auch nur auf Platz 31 kandidieren – ins Parlament zog sie ein, weil sie über 2.000 Personenstimmen bekam.
Fürs rot-grüne Regieren erwartet Schaefer keine negativen Konsequenzen: „Mehrheit ist Mehrheit“. Und es gebe bei SPD und Grünen auch „keine weiteren Wackelkandidaten“, bei denen ein Austritt aus Partei und Fraktion zu befürchten sei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin