Bremer Klimaschutzprogramm: Verhakt im Verkehr

Als besonders ambitioniert gilt Bremens Klimaschutzziel. Dafür braucht es eine Verkehrswende. Doch was ist auf Bremens Straßen bislang passiert?

Menschen mit Fahrrädern auf einer merhspurigen Straße, über ihnen hängt ein Transparent mit der Aufschrift "Verkehrswende jetzt - Fahrradstraßen überall"

Lässt trotz Enquetekommission noch auf sich warten: Verkehrswende in Bremen Foto: Michael Bahlo/dpa

BREMEN taz | Natürlich gebe es Umstände, die dem grünen Verkehrsressort in Bremen die Umsetzung einiger Klimaschutzmaßnahmen erschweren, sagt Jens Tittmann, Sprecher der grünen Mobilitätssenatorin Maike Schaefer. „Es ist jedes Mal ein ausgesprochen emotionaler Akt, der sowohl auf dem politischen Feld ausgetragen wird als auch medial.“ Immer dann, wenn es um den Wegfall von PKW-Stellplätzen gehe, um Tempobeschränkungen oder weniger Auto-Spuren.

Dennoch bekennt sich der Senat zum Ziel Klimaneutralität bis 2038: Die im Februar beschlossene „Novellierung des Bremischen Klimaschutz- und Energiegesetzes“ basiert nach Senatsangaben auf den Empfehlungen der Enquetekommission „Klimaschutzstrategie für das Land Bremen“. Maike Schae­fer zeigte sich damit zufrieden – sie ist nicht nur Senatorin für Verkehr und Mobilität, sondern auch für Klimaschutz.

Die Enquete-Kommission, bestehend aus Abgeordneten und Expert*innen, wurde von allen Fraktionen der Bürgerschaft eingesetzt und hat über fast zwei Jahre eine ausführliche Klimaschutzstrategie für Bremen entwickelt. Sie legte ihren Abschlussbericht im Dezember 2021 vor. So etwas gab es bislang in keinem anderen Bundesland.

Der Verkehrssektor ist für rund 20 Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Nicht nur deswegen ist er eine vielversprechende Stellschraube beim Kampf gegen den Klimawandel. Sondern auch, weil „die öffentliche Hand hier deutlich mehr Möglichkeiten der Einwirkung hat“ als in Sektoren, die – wie beispielsweise der Konsum – in privater Hand liegen oder stark abhängig von Bund und Europäischer Union sind – wie Energie- und Industriesektor. So steht es im Abschlussbericht der Kommission.

Fahrradrouten sind noch nicht mal in Betrieb, längst wird schon dagegen gewettert

Das Kapitel über Mobilität und Verkehr ist mit mehr als 70 Seiten das längste im Bericht. Die Vision: sichere, attraktive, klimaneutrale Mobilität. Für die Überprüfung sind Ziele für den Sektor formuliert. „Kurzfristig“ soll zum Beispiel der PKW-Bestand pro 1.000 Ein­woh­ne­r*in­nen in Bremen von 428 auf 380 und in Bremerhaven von 447 auf 400 Autos sinken; und die CO2-Emissionen pro Wagen um 20 Prozent. Auch der Anteil der E-Autos am Bestand ist definiert, ebenso der Anteil der verschiedenen Verkehrsträger – so soll der Anteil von ÖPNV und Rad „kurzfristig“ um je 2 Prozent steigen, auf 22 und 16 Prozent. Und die Nutzung des eigenen Autos soll natürlich sinken.

Es ist nicht immer messbar, ob und wie sich diese Daten im letzten Jahr verändert haben – viele werden nicht jedes Jahr erhoben, schon gar nicht so kurzfristig. Eine positive Entwicklung hat die Bremer Innenbehörde zu vermelden: Der Anteil der E-Autos im Land Bremen ist um rund 38 Prozent gestiegen – bei fast stagnierender Zahl an Autos. Nun ist dieser Wert aber von Anfang 2022. Mit einer blitzartigen Wirkung des Enquete-Berichts hat das also nichts zu tun.

Überhaupt kann ja auch kein politisches Organ diese formulierten Ziele einfach so umsetzen – dafür braucht es konkrete politische Maßnahmen. Doch auch diese haben die Mitglieder der Enquete aufgeschrieben – auf knapp 50 Seiten.

Eine kurzfristige Maßnahme: die „wirkungsvolle Überwachung der Einhaltung von Höchstgeschwindigkeiten“. Bislang habe die Polizei aber keine neuen Überwachungsgeräte angeschafft, schreibt das zuständige Innenressort der taz. Das sei jedoch geplant. Zunächst solle ein „Blitzeranhänger“ angeschafft werden, der mobil ist und „insbesondere auch in Baustellenbereichen“ aufgestellt werden kann.

Der Bericht empfiehlt zudem, Tempo 30-Regelungen so weit es geht auszudehnen. Das Land solle sich auch auf Bundesebene dafür einsetzen, die rechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Kommunen eigenständig Tempo 30 anordnen können. Das steht im Bericht, trotz eines Sondervotums der CDU: Die Fraktion befürchte durch Tempo 30 „Reisezeitverluste“ im ÖPNV und Nachteile für den Logistikverkehr auf der Straße. Auch die FDP ist dagegen: Es gebe „widersprüchliche Erkenntnisse“ darüber, ob dies zu einer Minderung der CO2-Emissionen führe.

Laut Jens Tittmann habe es seit einem Jahr keine neuen Tempo 30-Zonen in Bremen gegeben, „außer in Neubaugebieten“. Für die Straßen, die aktuell nicht darunter fallen, sei Bremen jedoch „wegen der Straßenverkehrsordnung die Hände gebunden“. Jedoch habe die Ver­kehrs­mi­nis­te­r*in­nen­kon­fe­renz der Länder Ende März einen Beschluss gefasst und das Bundesverkehrsministerium um Volker Wissing (FDP) aufgefordert, die Straßenvekehrsordnung (StVO) zu verändern – wie es die Enquete vorschlägt. Dies habe Bremen mit initiiert.

Tittmanns Ressort hält Tempo 30 im Gegensatz zu CDU und FDP für sinnvoll. Am Osterdeich – das ist die lange Straße parallel zur Weser, die auch am Stadion vorbei führt – sehe man, dass der ständige Wechsel von Tempo 30 und 50 zu einem „Flickenteppich“ führe. Die StVO verhindert hier ein durchgängiges Tempo 50, aber Altenheim, Schule oder Kita führen zu kurzen Abschnitten mit Tempo 30. „Autofahrer sind verunsichert und gestresst.“ Mit durchgängigem Tempo 30 wüssten die Leute wenigstens, woran sie sind, sagt Tittmann.

Mehr An­woh­ne­r*in­nen­par­ken und höhere Parkgebühren, gestaffelt nach Antriebstechnologie der Autos, stehen ebenfalls in der Liste der politischen Maßnahmen. Eine Erhöhung der Parkgebühren wurde bereits Ende 2022 vom Senat beschlossen. „Die Enquete hat Bremen Ansehen gebracht“, sagt Tittmann, im Bericht stünden jedoch Dinge, „die wir ohnehin schon machen“.

Parken für Be­woh­ne­r*in­nen gibt es bereits in Bremen, neue Bereiche seien laut Tittmann seit Veröffentlichung des Berichts aber nicht dazu gekommen. Im Stadtteil Findorff sei man mit der Planung am weitesten – jedoch hat es bei dem Thema im Ortsbeirat kürzlich ordentlich Stress gegeben, eine Einführung steht kurzfristig nicht an. Zumal auch die Beiräte im Mai neu gewählt werden.

Klagen gegens Gehwegparken

Da das Thema auch mit dem lästigen, eigentlich verbotenen aber geduldeten Gehwegparken zusammenhängt, stehe das gerade still, sagt Tittmann. Alle warteten auf das Urteil vom Bundesverwaltungsgericht zu dem Verfahren, in dem Bremer Bür­ge­r*in­nen gegen Maike Schaefers Ressort klagen und einfordern, dass sie etwas gegen die vielen Autos auf den Gehwegen unternimmt. Beide Parteien sind inzwischen in Revision gegangen. Die Klä­ge­r*in­nen bekamen zwar in erster und zweiter Instanz recht, wollen die Behörde aber noch weiter unter Handlungsdruck setzen. Und die Verkehrsbehörde, erklärt Tittmann, wolle die Entscheidung – die politisch eigentlich dem grünen Kurs entspricht – in der höchsten Instanz forcieren, weil das Urteil „Auswirkungen für ganz Deutschland“ habe.

Wo heute Autos stehen, könnten auch Fahrräder parken. Im Bremer Stadtkern baut die Behörde daher seit März „etwa 660 Fahrradanlehnbügel auf heutigen Kfz-Stellplätzen“, also 1.320 zusätzliche Fahrradparkplätze – zwei pro Bügel. Bis Mitte Mai sollen diese stehen.

Ebenfalls von der Enquete empfohlen: Bre­me­r*in­nen bei Abgabe des Führerscheins zwei Jahre kostenlos ÖPNV fahren lassen, spezielle ÖPNV-Angebote für Zugezogene, eine Ausweitung des Jobtickets.

Letzteres ist im vergangen September passiert, erzählt Andreas Holling, Sprecher der Bremer Straßenbahn AG (BSAG). Nun braucht eine Firma lediglich 20 teilnehmende Mitarbeitende, um für diese das Monats­ticket für knapp 50 Euro zu erhalten. Seit September gibt es zudem das neue TIM-Ticket: Mit diesem fahren Jugendliche, Azubis oder jene, die ein Freiwilligenjahr machen, für 30 Euro im gesamten Gebiet des Verkehrsbundes Bremen/Niedersachsen. In der Diskussion sei zudem, sagt Holling, das Stadtticket für Menschen, die Transferleistungen beziehen, zu erweitern – generell auf „Menschen mit wenig Geld“.

Das ab Mai deutschlandweit erhältliche 49 Euro-Ticket ist laut Holling auch ein Vorteil für Bremer Pendler*innen: Für Menschen aus Bremerhaven oder dem Bremer Umland sei dies ein „deutlicher Preisnachlass“. Auch der geplante Ausbau der Straßenbahnlinie 8 sei für Pend­le­r*in­nen gut.

Was der Enquete-Bericht auch noch fordert: den Ausbau der Radpremiumrouten gemäß des Verkehrsentwicklungsplans der Stadt aus dem Jahr 2014. Das Thema habe „richtig Fahrt aufgenommen“, sagt Tittmann. Bei der langen Radpremiumroute von Blumenthal nach Hemelingen, einmal quer durch die ganze Stadt, sei man „sehr weit“. Teilweise sei gebaut worden, teilweise „einfach Strecken als Fahrradstraßen ausgewiesen“. Und eine Unterführung unter der großen sogenannten „Erdbeerbrücke“, die Rad­fah­re­r*in­nen die Ampel oberhalb der Weser ersparen soll, sei geplant.

Ein Bauabschnitt einer anderen Route hat Am Wall, einer Straße nahe der Innenstadt, sogar für die Einrichtung einer Einbahnstraße gesorgt. Statt der Autos dürfen jetzt auf einer Spur Fahrräder fahren. Viele behaupteten, so Tittmann, dass die neue Route Am Wall noch gar nicht genutzt werde. „Die ist aber noch im Bau, und der Hauptanschluss wird außerdem die Fahrradbrücke aus der Neustadt sein, die es noch gar nicht gibt.“ Doch es werde jetzt schon dagegen „gewettert“.

Die FDP beschreibt ebendiese Fahrradspur in ihrem Wahlprogramm als „absurd und abenteuerlich“; sie solle daher „schnellstmöglich wieder für den Autoverkehr genutzt werden“. Überhaupt werde der Weiterbau „von den sogenannten Radpremiumrouten“ abgelehnt, „solange der Erhalt der bestehenden Radwege nicht gesichert ist“. Für die FDP sind alle Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt; die Innenstadt müsse daher „auch für Autofahrer“ gut erreichbar bleiben.

Wenn die CDU nach der Wahl am 14. Mai Regierungsverantwortung hätte, würde sie „Rad- und Fußwege schnellstens sanieren, Ladeinfrastruktur ordnen und nach Bedarf schwerpunktmäßig voranbringen, Fahrradrouten zügig planen und umsetzen, Brücken sanieren und mindestens die erste Fahrradbrücke über die Weser umgehend auf den Weg bringen“. So schreibt es Hartmut Bodeit, verkehrspolitischer Fraktionssprecher, der taz. Zudem würde man gern den ÖPNV besser ausstatten. Bodeit kritisiert, die Umsetzungen der Maßnahmen aus dem Enquete-Bericht seien bislang „nur zögerlich bis gar nicht umgesetzt“ worden.

Wie sieht es denn aktuell aus, mit dieser Wunschliste der CDU? Sprecher Tittmann sagt, bei der ersten Fahrradbrücke über die Weser im Osten der Stadt, in der Nähe zur A1, sei man im Planfeststellungsverfahren. „Wir rechnen mit einer Fertigstellung bis Ende 2027.“ Und die Brücke im Zen­trum, von der Neustadt zum Osterdeich, werde bis 2027 fertig.

ÖPNV-Personal ist schwer zu finden

Den Wunsch der CDU, mehr Personal für den ÖPNV einzustellen, teilt Andreas Holling von der BSAG. „Wir würden vor allem gerne die Taktung erhöhen.“ Doch mit dem demografischen Wandel und dem Ausbildungsstau während der Pandemie sei dies nicht so einfach. „Wir müssen die Menschen finden und dann noch ausbilden.“

Die Enquete schlägt für die Umsetzung der ganzen Maßnahmen natürlich auch mehr Personal in den Behörden vor. In Maike Schaefers Haus „sind bereits zwei Klimamanager eingestellt“, sagt Tittmann – ein*r beschäftige sich jedoch ausschließlich mit dem Thema Bau, das auch in der Verkehrsbehörde angesiedelt ist. Zudem sei eine neue Abteilung gegründet worden, für die gerade vier Menschen gesucht würden.

Am Geld scheint es bei der künftigen Umsetzung augenfällig nicht mehr zu scheitern: Schon Anfang des Jahres kündigte der Senat an, insgesamt drei Milliarden Euro zur Bekämpfung der Klima- und Energiekrise sowie für die Zukunftsfähigkeit der bremischen Wirtschaft bereitstellen zu wollen. Am Dienstag beschloss der Senat, die ersten 400 Millionen Euro aus diesem Topf für Klimaschutzprojekte festzulegen: Als größter Einzelposten soll die energetische Sanierung der Bremer Krankenhäuser mit 130 Millionen Euro finanziert werden. Und 32 Millionen Euro sind nun für den Ausbau des ÖPNV fest reserviert.

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