Bremer Brechmittel-Prozess: Am Ende kein Urteil
Das Verfahren um den Brechmittel-Tod von Laye Condé in Bremer Polizeigewahrsam ist eingestellt. Auch der dritte Prozess endet, ohne Unrecht festzustellen.
BREMEN taz | Das Bremer Brechmittel-Verfahren ist eingestellt. Das gab das Landgericht Bremen am Freitag bekannt. Es war die mittlerweile dritte Auflage des Prozesses um den Tod von Laye Condé. Der aus Sierra Leone stammende Condé war im Januar 2005 an den Folgen der Zwangsvergabe von Brechmitteln in Polizeigewahrsam gestorben. Angeklagt war der Polizeiarzt Igor V.
Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Nebenklägerin einigten sich nun auf eine Einstellung unter der Auflage, dass der Angeklagte V. 20.000 Euro an die Mutter des Opfers zahlt. Eine Revision oder Berufung sind nicht möglich.
Als Arzt des Beweissicherungsdienstes hatte V. dem gefesselten Condé Wasser über eine Nasensonde eingeflößt, auch nachdem Condé nicht mehr ansprechbar war und ein Notarzt herbeigerufen wurde.
Die Brechmittel-Prozedur wurde in Bremen jahrelang eingesetzt, um bei vermeintlichen Dealern verschluckte Drogen-Kügelchen sicherzustellen. 1992 hatte Bremens langjähriger Bürgermeister Henning Scherf (SPD) als Justizsenator dafür die rechtliche Grundlage geschaffen. 2006 erklärte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Prozedur für Folter.
Ausschlaggebend dafür, dass nun alle Verfahrensbeteiligten einer Einstellung zustimmten, war die Erkrankung des Angeklagten. Bereits seit Ende September war der Prozess unterbrochen: Igor V. ist in stationärer psychiatrischer Behandlung – laut Gutachten auch eine Folge der langen Dauer des Verfahrens. Ob V. überhaupt wieder verhandlungsfähig würde, war nicht abzusehen.
Fast neun Jahren lang und an insgesamt 58 Verhandlungstagen saß V. auf der Anklagebank. Zwei Mal endete der Prozess für ihn mit einem Freispruch, zwei Mal revidierte der Bundesgerichtshof das Urteil, bezeichnete es im Juni 2012 als „fast grotesk falsch“.
Im aktuellen Prozess war mit dem ehemaligen Bürgermeister Scherf erstmals ein politisch Verantwortlicher als Zeuge geladen. Statt Reue zu zeigen, bezeichnete er die Folter als „Beweissicherung-Alltag“ und leugnete, die Probleme der Brechmittel-Vergabe gekannt zu haben. Dabei hatte etwa das Bremer Anti-Rassismusbüro bereits 1995 mit einer umfassende Broschüre dazu eine öffentliche Debatte angeschoben, zwei Mal debattierte die Bremische Bürgerschaft noch vor Condés Tod.
Bis zuletzt hatte die „Initiative in Gedenken an Laye Condé“ auf ein Urteil gehofft. Die AktivistInnen verweisen auf die Verantwortlichen in Regierung und Justiz: Etwa auf die Rolle des damaligen Leitenden Oberstaatsanwalts Jan Frischmuth, der 1995 verfügte, eine Weigerung von Ärzten, Brechtmittel zu vergeben, könne als Strafvereitelung gewertet werden.
Oder auf den heutigen CDU-Fraktionsvorsitzenden Thomas Röwekamp, der als damaliger Innensenator sagte, „Schwerstkriminelle“ müssten „nun mal mit körperlichen Nachteilen rechnen“ – als Condé bereits im Koma lag.
Für Volker Mörchen von der Initiative ist die Einstellung des Verfahrens daher „pikant“: „Am Ende steht, was von Anfang an zu befürchten war: Eigentlich ist niemand so richtig verantwortlich.“ Bestehen bleibe die Frage, „wieso nicht von vornherein die Polizisten und die Auftraggeber genauso auf der Anklagebank Platz nehmen mussten“.
Mörchen fordert weiterhin vor allem eine politische Aufklärung und Verantwortungsnahme der Beteiligten: „Ein Wort des Bedauerns gegenüber der Familie des Getöteten ist seit Langem überfällig“, so Mörchen.
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