Bremer Bauwagenplatz ausgespäht: Eigentümer von Monster-Tele gesucht
In Bremen ist der Bauwagenplatz Querlenker offenbar observiert worden. Der Bremer Senat dementiert, dass Stellen des Landes beteiligt waren.
„Die Nutzung eines links-alternativen Raumes zur Überwachung eines anderen links-alternativen Raumes ist eine bodenlose Frechheit“, kommentierte der anonyme Autor des Indymedia-Beitrags. Er vermutet, dass „die Bullen und/oder der Geheimdienst“ das Technik-Arrangement aufgebaut hätten. Es zeige, „wie unantastbar sich Repressionsbehörden in Bremen fühlen“.
Das in Bremen als „Papageienhaus“ bekannte Hochhaus gehört der städtischen Gesellschaft Immobilien Bremen. Im Keller und in den beiden untersten Geschossen residiert das queer-feministische Kulturprojekt P.ara. Die oberen Stockwerke stehen leer. In einer Wohnung im sechsten Stock hatten Unbekannte Indymedia zufolge „Überwachungskameras und andere Gerätschaften“ entdeckt, nachdem sie zuvor die Tür aufgebrochen hatten.
Fotos zeigen ein Teleobjektiv für 14.000 Euro
Dem anonym verfassten Artikel sind Fotos beigefügt, die eine Kabine aus schwarzem Stoff mit weißen Reißverschlüssen zeigen, die vor dem Fenster angebracht ist. Sie erinnert an die Tarnzelte, in denen sich Tierfilmer verbergen, um unauffällig ihre Aufnahmen machen zu können. Die Fotos zeigen auch ein schwarz abgedecktes Objektiv auf einem Stativ und eine Aufnahmeeinheit mit einem Aufkleber „ISO 409600 Extreme Sensitivitiy“. Auch von dem Objektiv selbst gibt es ein Foto. Es handelt sich offenbar um das Modell Sony SEL 600mm F4 GM OSS E-Mount. Kostenpunkt: rund 14.000 Euro.
Indymedia zufolge war auf der Wohnungstür mit Filzstift der Hinweis notiert: „Raum verschlossen durch Immobilien Bremen“ und dazu ein Name. Die Immobiliengesellschaft teilte auf Anfrage mit, dass das der Name eines Leerstandshausmeisters sei. Für weitere Auskünfte verwies der Pressesprecher Fabio Cecere wie auch die einschlägigen Senatsbehörden auf die Polizei.
Diese teilte mit, sie habe über die Internetveröffentlichung Kenntnis von einem Einbruchdiebstahl erlangt. Die Ermittlungen zu der Tat und den Tätern dauerten an. „Bremische Sicherheitsbehörden wurden nicht geschädigt“, versicherte die Polizeipressestelle. Konkretere Nachfragen könne sie nicht beantworten, hieß es.
Ebenfalls Nachforschungen anstellen will die Landesbeauftragte für den Datenschutz. „Dem werden wir nachgehen“, kündigte Imke Sommer an. Wer die Überwachung angeordnet haben könne, wisse sie nicht. Es gebe aber durchaus gesetzliche Grundlagen, auf deren Basis Sicherheitsbehörden eine derartige Überwachung anordnen könnten, wie etwa das bremische Polizeigesetz.
Der Kommentar auf Indymedia zeugt von großem Misstrauen gegenüber den staatlichen Stellen und setzt als gegeben voraus, dass diese die Überwachung angeordnet haben. „Die städtische Verwaltung kann nicht als neutrale Behörde betrachtet werden“, heißt es darin. Es müsse davon ausgegangen werden, dass sie grundsätzlich mit den Sicherheitsbehörden kooperiere und das auch Auswirkungen auf andere linke und alternative Räume habe.
„Welche Räume werden noch ausspioniert, in denen sich Menschen selbst organisieren und sich außerhalb von bestehenden Zuständen ausprobieren und kämpfen?“, fragen die Bewohner des Wagenplatzes in einer Stellungnahme. Auf dem Platz fänden subkulturelle Konzerte und politischer Austausch statt. „Seitdem wir wissen, dass wir überwacht worden sind, ist dieses Gefühl eines sicheren Rückzugsortes weg.“ Dass die Kontrolle durch staatliche Behörden in einer Stadt, in der man auf Schritt und Tritt von Kameras erfasst werde, nicht mal vor dem eigenen Zuhause aufhöre, „macht uns maßlos sauer“, heißt es in der Erklärung.
Auch das Zucker-Kollektiv, das im Rahmen einer Zwischennutzung das P.ara in dem gegenüberliegenden Hochhaus betreibt, fordert Aufklärung und verurteilt „die ohne unser Wissen durchgeführten Maßnahmen“. Ziel sei es, im P.ara einen Freiraum zu bieten. „Wir möchten gemeinsam Schutzräume für queere und marginalisierte Identitäten schaffen“, heißt es in einer Stellungnahme. Dafür brauche es Vertrauen, weshalb bei P.ara-Veranstaltungen alle Teilnehmer ihre Kameras abklebten.
Es verwundere nicht, dass linke und subkulturelle Räume im Fokus staatlicher Repression stünden, heißt es in dem Kommentar auf Indymedia. „Unabhängige Räume sind wichtig für linke Bewegungen, damit diese weiter für eine freie und solidarische Gesellschaft streiten können.“ Sie müssten vor staatlicher Kontrolle und Überwachung geschützt werden.
Kevin Lenkeit, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion
Daran schließt sich die leicht spöttische Warnung an, „dass die Repressionsbehörden ein drängendes Interesse daran haben, den schmerzhaften Verlust ihrer Überwachungstechnik aufzuklären“. Mit Durchsuchungen sei daher zu rechnen.
Die Linke in der Bremischen Bürgerschaft reagierte auf eine Bitte um Stellungnahme nicht. Björn Fecker von den Grünen gab an, die parlamentarische Kontrollkommission für die Geheimdienste sei über einen derartigen Vorgang nicht unterrichtet worden.
Kevin Lenkeit, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, räumte ein, dass eine Überwachung Unsicherheit schaffe. Deshalb müsse sie aufgeklärt werden. Gefahr gehe nicht nur von Rechtsextremisten und Islamisten aus, sagte Lenkeit und erinnerte an Anschläge gegen Fahrzeuge der Rüstungsschmiede OHB, der Bundeswehr und der Polizei in der jüngeren Vergangenheit, die Linken zugeschrieben werden. „Wir erwarten von den Sicherheitsbehörden, dass sie alle Extremisten im Blick haben“, sagte Lenkeit. Dabei erwarte er aber auch so viel Professionalität, dass die Maßnahme nicht entdeckt werde.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen