Bremens Gesundheitssenatorin: „Die Fundamentalkritik an der Klinikreform teile ich nicht“
Mit Claudia Bernhard macht ausgerechnet eine linke Gesundheitspolitikerin eine Klinik dicht. Dazu verteidigt sie die umstrittene Krankenhausreform.
taz: Frau Bernhard, ich habe mal einen Spruch gehört: Wenn du als Politiker nicht wiedergewählt werden willst, dann schließe ein Krankenhaus.
Claudia Bernhard: Ja, den kenn ich.
ist seit 2007 Mitglied der Partei Die Linke und seit 2019 Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz in der rot-grün-roten Bremer Landesregierung.
taz: Sie haben im vergangenen Herbst verkündet, dass Sie eines der bekanntesten Krankenhäuser Bremens schließen werden.
Bernhard: Verlagern, nicht schließen. Wir verlegen die medizinischen Angebote an eine andere Bremer Klinik.
taz: Bei der örtlichen Presse sind Sie damit jedenfalls nicht gut weggekommen. Ausgerechnet eine linke Gesundheitssenatorin schließt ein Krankenhaus, hieß es da.
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Bernhard: Krankenhaus-Umstrukturierung ist kein einfaches Thema, das ist sehr emotional. Aber 2019 stand der kommunale Klinikverbund kurz vor der Insolvenz. Mindestens zweistellige Millionenbeträge wurden da jährlich reingebuttert, das halten Sie auf Dauer nicht durch.
Es gab nur die Frage: Riskieren wir den gesamten Verbund von vier städtischen Krankenhäusern, um alles so zu lassen wie bisher, oder wagen wir drastische Einschnitte bei einem einzelnen. Die Haltung „Alles richtig machen, aber nichts verändern“ lässt sich nur aus der Opposition gut vertreten. Als kommunale Politikerin muss ich dafür sorgen, dass hier die Kliniken auf Dauer überleben können.
taz: Ist das die Blaupause für das, was bundesweit in den nächsten Jahren kommen soll? Die Gesundschrumpfung durch die Krankenhausreform?
Bernhard: Die Krankenhausreform ist kein Sparprogramm und darf auch nicht als solches verstanden werden. Es geht darum, das Geld so zu verteilen, dass die Patientenversorgung verbessert wird. Das ist das A und O.
taz: Ist es das auch wirklich?
Bernhard: Wir haben eine Reihe von Interessengruppen, bei denen das Patientenwohl nicht immer nur an erster Stelle steht – das gilt für die niedergelassenen Ärzte, die Krankenkassen, die Träger der Krankenhäuser bis hin zum Bund. Alle haben mehr oder weniger eine ökonomische Schraube im Hinterkopf, und die macht die Versorgung nicht besser.
Die Finanzierung muss so gestaltet sein, dass es mehr ambulante Behandlungen gibt, die Hochleistungsmedizin konzentriert wird und gleichzeitig die Grundversorgung so breit und gut aufgestellt ist, dass sie auch in der Fläche funktioniert. Billiger ist das jedenfalls nicht, aber effizienter für die Patienten.
taz: Dass Krankenhausleistungen von zu vielen Standorten angeboten werden, das ist vor allem ein Problem in den Ballungsräumen. Haben Sie ein praktisches Beispiel aus Bremen?
Bernhard: An fünf bis sieben Standorten werden in Bremen Gefäßchirurgie oder orthopädische Eingriffe angeboten. Aus Effizienzgründen müsste das nicht sein. Aber die Krankenhausträger schauen natürlich, was für sie in der Akut- und Nachbehandlung lukrativ ist. Auch unsere städtischen Kliniken machen das so. Wir konnten auch nicht riskieren, dass bestimmte Behandlungen nur noch von privaten Kliniken angeboten werden. Damit wäre das Gesundheitsangebot gar nicht mehr beeinflussbar.
taz: „Links der Weser“ heißt die Klinik, die Sie schließen beziehungsweise deren Angebote verlagert werden. Das war doch mal ein sehr erfolgreiches Krankenhaus, oder?
Bernhard: „Links der Weser“ hatte lange Zeit schwarze Zahlen geschrieben, was bei einem Herz-Kardio-Schwerpunkt-Krankenhaus auch erwartbar ist. Aber auch dort gingen die Erlöse ab 2019 entgegen den Prognosen zurück. Man dachte, die Erlöse im Gesundheitsbereich, die Anzahl der Eingriffe würden immer weiter steigen. Aber spätestens 2019 stellte sich heraus, dass sie stagnieren beziehungsweise zurückfallen. Die Defizite wurden größer, schon da wurde es für die städtischen Träger bedrohlich.
Und dann kam die Coronapandemie, und die Menschen gingen nur noch ins Krankenhaus, wenn es unbedingt sein musste. Da kam der freie Fall, anders kann man das nicht sagen. Bis heute haben wir die schon 2019 schrumpfende Zahl an Behandlungen nicht wieder erreicht. Dazu kam die Energiekrise, die die Krankenhäuser als echte Energieschleudern besonders getroffen hat. Und die allgemeine Verteuerung. Und der Personalmangel. Diese Punkte zusammengenommen haben inzwischen dazu geführt, dass die Insolvenzen massiv gestiegen sind und drei Viertel der Krankenhäuser rote Zahlen schreiben.
taz: Während Links der Weser ins Minus rutschte, eröffnete eine Klinik, neu gebaut am Krankenhausstandort Bremen-Mitte.
Bernhard: Das ist genau der Punkt. Wenn wir Angebote verlagern, sind Umbauten notwendig. Es muss Geld ins System, dann sind auch Investitionen notwendig. Effiziente Medizin braucht nachhaltige Gebäude mit optimierten Wegen. Das können einige der alten Häuser nicht leisten. Ein Umbau von Links der Weser hätte einen hohen dreistelligen Millionenbetrag gekostet.
taz: Was genau ist passiert, als Sie im September 2023 die Verlagerung und Schließung von Links der Weser verkündet haben?
Bernhard: Wir haben die Pläne und die Gründe in einer großen Regionalkonferenz vorgestellt. Die war brechend voll und wurde auch via Social Media gestreamt. Ich war da mit dem Bürgermeister (Andreas Bovenschulte, SPD; Anm. der Red.) und dem Finanzsenator und wir wurden drei Stunden gezwiebelt. Das war keine angenehme Veranstaltung, und das ist ja auch klar: Da steckt viel Herzblut drin, Emotionen, Ängste.
taz: Nun ist Bremen zwar nicht riesig, aber was machen die Leute, die links der Weser wohnen – haben die dann nicht deutlich weitere Wege?
Bernhard: Es sind fünf Kilometer, einmal über die Brücke, bis zum Klinikum Mitte. Außerdem haben wir in einer Analyse festgestellt, dass ein Großteil der Patienten des Klinikums gar nicht aus der unmittelbaren Umgebung kommen. Sondern zum Teil sogar aus angrenzenden Bundesländern – die sich aber natürlich nicht an den nötigen Investitionskosten beteiligen. Wir wollen am Standort auch eine medizinische Anlaufstelle erhalten, ein ambulantes Zentrum.
Diesen Bedarf gibt es im Übrigen auch in anderen Stadtteilen, die noch nie eine Klinik hatten. Die Arztpraxen gehen ein, der Nachwuchs fehlt. Die ambulante Struktur müssen wir in der Gesundheitsplanung unbedingt mitdenken, das lässt sich gar nicht trennen von der Krankenhausplanung. Da muss der Bund auch schneller werden, um die sektorenübergreifende, niedrigschwellige Versorgung einfacher zu machen und finanziell zu unterstützen.
taz: Hat Bremen das Soll der Krankenhausreform jetzt schon erfüllt oder muss noch mehr verlagert werden?
Bernhard: Die ursprünglich geplanten Vorgaben des Bundes könnten weit drastischere Auswirkungen haben. Wenn ich das radikal durchdekliniert hätte, dann hätten wir hier im Stadtgebiet Bremen nur noch die Hälfte an Kliniken statt bisher zehn.
taz: Ist das der Kahlschlag, von dem die örtliche Presse schreibt?
Bernhard: Pauschal lässt sich das nicht beantworten. Die konkreten Vorgaben werden über die Verordnungen festgelegt, die Anfang 2025 definiert werden. Das Reformgesetz soll am Donnerstag durch den Bundestag, und ob es den Bundesrat im November passiert, ist offen. Ob Lauterbach für die Landesverordnungen, die für die Umsetzung des Gesetzes nötig sind, die Zustimmung der Bundesländer bekommt und wie die genau aussehen wird – das sind Fragen, die noch gar nicht beantwortet sind.
taz: Es gibt eine gemeinsame Stellungnahme der Bundesländer, in der sie sich gegen eine Einflussnahme des Bundes auf die Krankenhausplanung verwehren. Wäre es denn nicht viel einfacher für die Lokalpolitiker, wenn mehr Vorgaben vom Bund kommen?
Bernhard: Schon ganz zu Beginn meiner Amtszeit habe ich ein Gutachten zur Krankenhausumstrukturierung in Auftrag gegeben, weil klar war, so geht es nicht weiter. Dann habe ich versucht, die Leiter der Krankenhäuser alle an einen Tisch zu bekommen, damit sie sich in Sachen Kooperationen und Zusammenlegung freiwillig aufeinander zubewegen. Da gab es durchaus vorsichtiges Bemühen, aber letztlich fokussieren sich alle darauf, ihren Standort zu bewahren und abzuwarten. Dann kam Lauterbach mit seinen Reformplänen, und der Druck wurde größer. Das ist durchaus von Vorteil, ja.
taz: Man könnte etwas böse sagen: Die Bundesländer bestehen auf ihrer Krankenhausplanungskompetenz, haben sie aber seit Jahrzehnten nicht besonders gut wahrgenommen.
Bernhard: Dem würde ich nicht widersprechen. Man hätte schon viel früher anfangen können. Aber Wahlperioden sind kurz und Haushaltsperioden noch kürzer.
taz: Also wäre Ihnen mehr Steuerung durch den Bund gar nicht so unrecht?
Bernhard: Sie denken, eine zentrierte, staatliche Gesundheitsplanung wäre einfacher? Vielleicht. Dafür gibt es ja auch aktuelle Beispiele aus dem skandinavischen Raum. Aber man darf nicht vergessen: Das ist unglaublich teuer, das hat man schon in dem viel kleineren Land Dänemark gesehen. Der Bund beharrt außerdem darauf, dass die Länder die Investitionskosten mittragen, dann wollen wir natürlich auch mitbestimmen.
taz: Aber die Länder zahlen doch seit vielen Jahren nicht einmal die Hälfte der nötigen Investitionen. Oder ist das in Bremen anders?
Bernhard: Das kommt schon hin. Es gab mal vor längerer Zeit die Fiktion, dass die städtischen Kliniken so viel Gewinn machen, dass sich daraus die Baukosten für das neue Klinikum in Bremen-Mitte finanzieren lassen. Das hat sich nie bewahrheitet. Aber mal ehrlich: Glauben Sie, beim Bund würde das anders aussehen? Mit Schuldenbremse und Herrn Lindner im Nacken? Der Bund verlagert doch auch, wo er kann, die Kosten für die Umstrukturierung auf die Bundesländer und die gesetzlich Versicherten.
taz: Bei allen offenen Punkten und Detailkritik: Können Sie mit dem Reformgesetz, wie es jetzt im Bundestag beschlossen werden soll, leben?
Bernhard: Wenn die Reform jetzt scheitert, das wäre fatal. Dann wird es für uns Realpolitiker in den Ländern bezüglich jeglicher Veränderung sehr viel schwerer. Das Gesetz wird die Situation zumindest verbessern.
taz: Dem würden Ihre Linke-Parteikollegen im Bundestag aber widersprechen. Die üben Fundamentalkritik an der Reform. Auch bei den Ost-Wahlen stand auf den Wahlplakaten der Linken „Jede Klinik zählt“.
Bernhard: Ich teile die Kritik, dass die neue Finanzierung sich noch immer zu stark an Fallzahlen orientiert. Perspektivisch muss sich das ändern. Aber die Fundamentalkritik – man sollte den Krankenhäusern einfach das zahlen, was es kostet –, die teile ich nicht. Das Krankenhauswesen ganz frei von ökonomischen Zwängen halten zu wollen, das halte ich für naiv. Das funktioniert nicht, und zwar in keinem politischen System.
taz: Die Eigeninteressen aller Beteiligten sind auch im Reformprozess deutlich zu spüren.
Bernhard: Oh ja, da erwarte ich noch große Widerstände. Aber ich bin der Überzeugung, dass wir als kleines Bundesland hier gute Voraussetzungen haben, um die nötige Umstrukturierung beispielhaft zu realisieren.
taz: Zurück zum Spruch vom Anfang: Riskieren Sie Ihre Wiederwahl, weil Sie einen oder mehr Klinikstandorte verlagern und schließen müssen?
Bernhard: Es wurde schon im Wahlkampf 2023 versucht, gegen mich Stimmung zu machen, mit grenzwertigen Argumenten und ausgeprägten Anfeindungen. Hat nicht funktioniert.
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