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Bremens Finanzsenatorin über Länderfinanzen„Wir haben jetzt eine Perspektive“

Durch die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen kann sich Bremen ab 2020 wieder Politik leisten: Finanzsenatorin Linnert (Grüne) will nicht von Rettung sprechen

Wünscht sich möglichst viele Rechte für das Parlament: Bremens Finanzsenatorin Linnert (Grüne) Foto: dpa
Interview von Benno Schirrmeister

taz: Frau Linnert, ist Bremen jetzt gerettet?

Karoline Linnert: Es rettet uns kein höh’res Wesen, …

… aber eben die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen?

Gerettet – das Wort passt in diesem Zusammenhang nicht. Rettung ist über Geld allein gar nicht möglich. Wir haben jetzt eine finanzpolitische Perspektive, sodass wir einen Standard erreichen können, der auch in den anderen Bundesländern herrscht. Wir werden nicht weiter abgehängt. Es stellt sich allmählich wieder Normalität ein. Das würde ich nicht als Rettung bezeichnen.

Geldfragen

Die Umverteilung der Gelder zwischen finanzstarken und -schwachen Ländern ist durch die Verfassung geboten.

Die Neuordnung der föderalen Finanzbeziehungen war notwendig, weil die bisherigen Regelungen zum Länderfinanzausgleich und Solidarpakt nur bis 2019 gelten.

Ein radikal neues Modell haben die Länder und die Bundesregierung dafür im Herbst vorgestellt: Ab 2020 muss der Bund den Ländern jährlich gut 9,5 Milliarden Euro aus der Umsatzsteuer überweisen – plus einen Ausgleich fürs steigende Steueraufkommen.

Für Bremen wie auch das Saarland sieht die Neuregelung zudem Sanierungsbeihilfen von jährlich 400 Millionen Euro vor.

Bremen musste sich darauf verpflichten, daraus auch einen Teil seiner Kredite zu tilgen – mit einer Zahlung von jährlich 50 Millionen Euro, also einem Vierhundertstel seiner rund 20 Milliarden Euro Schulden.

Im Interview: Karoline Linnert

58, ist Diplom-Psychologin und seit 1991 Bremer Bürgerschaftsabgeordnete. Von 2000 bis 2007 war sie Vorsitzende der Grünen-Fraktion. Seit 2007 ist sie Finanzsenatorin und Bürgermeisterin.

Wenn bislang die Alternative hieß, von den Schulden erdrückt zu werden, scheint der Begriff doch so falsch nicht?

Das ist nicht mein Wort. Ich mache hier seit Anfang der 1980er Politik und hatte es stets mit Haushalten zu tun, in denen die jährlich neu gemachten Schulden von Jahr zu Jahr gestiegen sind. Da eine Trendwende hinbekommen zu haben und künftigen Generationen Probleme von geringerer Größe, als wir sie vorgefunden haben, zu hinterlassen, darauf bin ich stolz.

Die Linke hatte geunkt, Wohlverhalten zahle sich bei Bund-Länder-Verhandlungen ums Geld nicht aus. Ist das jetzt widerlegt?

Ich habe da nicht still in der Ecke gesessen und gehofft, dass wir nicht vergessen werden. Allerdings, und das ist vielleicht neu für Bremer Verhältnisse: Wir tricksen nicht. Wir halten uns an Verabredungen. Und wir haben es geschafft, darzulegen, dass die Anstrengungen, die Bremen unternimmt, um haushaltspolitisch wieder auf die Beine zu kommen, seriös sind und erfolgreich. Das war die Grundlage – nicht, dass wir artig waren.

Mittlerweile streitet Bremen darüber, was mit den 400 Millionen Euro Sanierungshilfe passiert. Die CDU will sie komplett in die Schuldentilgung stecken…

Ja, darüber habe ich mich gewundert. Das kann man nur fordern, wenn man hier auf absehbare Zeit nicht regieren möchte.

Sie halten das für keine tolle Idee?

Es ist einfach unmöglich! Wir müssen eine gute Schulversorgung sicherstellen, wir brauchen Geld zum Ausbau der Kindertagesbetreuung, es ist Fakt, dass Bremen auch beim Einkommenszuwachs im öffentlichen Dienst sehr zurückhaltend war. Wer sich den Zustand unserer Straßen und Brücken anschaut, wird erkennen: Da gibt es Nachholbedarf. Und vom Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) über die Gewerbeflächen bis zum Klimaschutz gibt es viel, wo wir zusätzliches Geld investieren müssen. Dafür werden wir einen Teil dieser 400 Millionen brauchen.

Aber in 50 Jahren schuldenfrei – das klingt doch schick?

Ich finde, das klingt eher nach Haushaltspolitik für allzu schlichte Gemüter: Der Staatsverschuldung stehen reale Werte gegenüber. Es ist sinnvoll, die Staatsverschuldung zu reduzieren – aber sie jetzt auf Biegen und Brechen auf Null zu bringen, ist es nicht. Das zentrale und richtige Anliegen war und ist, dass unsere Schulden nicht immer mehr werden, weil sie ein zu hohes Maß erreicht haben. Das haben wir mit der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen geschafft. Schulden zu tilgen, ist ein Ziel neben anderen, nicht das übergeordnete. Es steht neben dem Ziel, für eine vernünftige Infrastruktur zu sorgen, neben dem, ein gutes Bildungswesen zu garantieren, oder dem, den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz zu gewähren. Wer im kommenden Jahrzehnt regiert, wird zwischen den Aufgaben abwägen müssen. Ein Ziel absolut zu setzen, wäre falsch.

Zugleich macht der Bund-Länder-Kompromiss Vorgaben: Das Geld darf nur eingesetzt werden, um die Wirtschafts- und Finanzkraft des Standorts zu stärken. Ein Problem?

Die Gefahr besteht, dass man damit wieder zur Ausgaben-Politik der großen Koalition zurückkehrt und überdimensionierte Vorhaben anschiebt, wie das Musicaltheater, die Galopprennbahn oder den Spacepark.

Auch der Ökonom Rudolf Hickel warnt davor, diese Formulierung als Lizenz zum Betonmischen zu deuten. Aber erfüllen Investitionen in soziale Infrastruktur das Kriterium?

Selbstverständlich. Eine gute soziale, kulturelle und sportliche Infrastruktur zieht Einwohner an. Mehr Einwohner steigern die Wirtschafts- und Finanzkraft. Ein ausreichendes Angebot an Arbeitskräften, ein guter Naherholungswert, ein guter ÖPNV – das sind standortstärkende Maßnahmen. Es ist ein Ammenmärchen zu glauben, dass man quantifizierte Effekte einer einzelnen Maßnahme in der Steigerung der Wirtschaft- und Finanzkraft nachweisen könnte. Genau damit versuchte ja die große Koalition ihre überdurchschnittliche Investitionsquote zu rechtfertigen.

… für die besagten Großprojekte?

Das hat sich als volkswirtschaftlicher Irrweg erwiesen.

Die Grünen hatten schon damals etwas kitschig mit Kinderbildern plakatiert: „Das sind unsere Großprojekte.“

Ich finde das Plakat immer noch gut. Zumal die ja auch immer größer werden, die Kinder. Aber man darf tatsächlich die Bedarfe nicht einfach gegeneinander ausspielen. Wir benötigen nicht nur Bildungsinfrastruktur, sondern wir brauchen auch ein ausreichendes Angebot an Gewerbeflächen. Und niemand findet Löcher in den Straßen gut. Ich wünsche mir, dass wir das an der Sache entscheiden – und nicht anhand von ideologischen Labels zwischen guten und schlechten Investitionen.

Die Linke würde die Tilgung der Schulden dagegen am liebsten ganz der Inflation überlassen.

Wer nur auf eine Karte setzt, ist nicht so zukunftsfähig. Es kommt auf die Mischung an: Wahr ist, dass bei langfristig niedrigen Zinsen die fiskalischen Effekte der Schulden ziemlich gering sind. Es geht aber auch um etwas Psychologisches. Der Einstieg in die Schuldentilgung entspricht auch einem Wunsch, dass da mal etwas besser werden soll. Wir wollen ein Zeichen setzen, dass wir uns aktiv dafür einsetzen, dass unsere Schulden abnehmen.

Dieser psychologische Faktor verliert durch die Festschreibung in der Bund-Länder-Vereinbarung aber an Gewicht: Die Entlastung ist nicht so groß, wenn Bremen durchs Schuldentilgen bloß eine Pflicht erfüllt, wie sie sein könnte, wenn man freiwillig sein Geld abstottern würde. Waren Sie deshalb gegen die Festschreibung?

Nein. Dabei geht es um eine grundlegende Frage. Ich wünsche mir möglichst viele Rechte für das vom Volk gewählte Parlament. Und das bedeutet: Möglichst keine Festlegung von außen. Denn es kann Jahre geben, in denen diese 50 Millionen mit Leichtigkeit bezahlt werden können – aber auch solche, in denen das sehr viel ist oder sogar zu viel: Darüber zu entscheiden, was zum gegebenen Zeitpunkt das Beste ist, dafür werden Abgeordnete auch gewählt.

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