piwik no script img

Brasiliens Team nach der WM„Unser Fußball ist primitiv“

Nach zwei desolaten Spielen zum Ende der WM ist Luiz Felipe Scolari abgetreten. Ex-Weltmeister Tostão fordert eine „Revolution“ im brasilianischen Fußball.

Ohne ihn soll's besser laufen: Luiz Felipe Scolari. Bild: ap

RIO DE JANEIRO dpa | Luiz Felipe Scolari hat sein Amt als brasilianischer Fußball-Nationaltrainer niedergelegt und damit die überfälligen Konsequenzen aus einer für das brasilianische Team enttäuschenden Fußball-WM gezogen. Der brasilianische Verband CBF gab am Montagabend wie erwartet das Ende der Zusammenarbeit mit dem 65-Jährigen bekannt.

Scolari hatte tags zuvor seinen Rücktritt eingereicht, den der CBF akzeptierte. Damit endet die gescheiterte Mission Scolaris, der bei der WM 2002 noch mit der Seleção triumphiert hatte.

Drastische Veränderungen hat derweil die brasilianische Fußball-Legende Tostão gefordert. „Es müsste eine Revolution geben, alles müsste auf den Kopf gestellt werden, es bräuchte andere Persönlichkeiten mit einer anderen Vision, neue Trainer mit anderen Vorstellungen“, sagte der Weltmeister von 1970 und Kolumnist der Welt. Bei den Verbandsfunktionären, denen er eine Mentalität der Korruption vorwirft, sieht Tostão jedoch „überhaupt keine Bereitschaft zur Veränderung“.

Sportlich stellte der 67-Jährige dem Rekord-Weltmeister ein grottenschlechtes Zeugnis aus. „Unser Fußball ist primitiv. Es ist nicht der Fußball, der in den großen Clubs der Welt gespielt wird“, sagte er. Brasilien agiere mit „vielen Fernschüssen, vielen langen Bällen, viel Rennen, Zweikämpfen und Einzelaktionen.“ Das deutsche Team spiele hingegen „den modernen Fußball dieser Zeit. Mit vielen Pässen, mit Ballbesitz und Spielkontrolle, mit außergewöhnlichen Spielern im Mittelfeld“.

Brasilien ohne Fehler

Die Brasilianer hatten sich zuletzt mit dem 1:7 im Halbfinale gegen Deutschland – der höchsten Länderspiel-Niederlage überhaupt in der 100-jährigen Geschichte der CBF – und mit dem 0:3 gegen die Niederlande im Spiel um Platz drei blamiert. Der angepeilte sechste WM-Titel wurde klar verpasst.

Scolaris Vertrag wäre nach der WM ohnehin ausgelaufen. Er hatte zunächst dennoch nicht von einem Rücktritt reden wollen und mehrfach betont: „Wir hatten vereinbart, dass wir nach Ende des Wettbewerbs einen Bericht einreichen werden. Unsere Position wird vakant sein, und der Präsident und der Vorstand werden die WM analysieren.“

Der Chefcoach und sein Mitstreiter Carlos Alberto Parreira, Technischer Direktor beim WM-Gastgeber und Weltmeistermacher von 1994, hatten sogar ihre Arbeit wortreich verteidigt und wollten keine Fehler einräumen. Daraufhin waren sie von den Medien noch vehementer kritisiert worden. Nach Informationen der Sportzeitung Lance hat der komplette Stab mit Parreira und Co-Trainer Flavio Murtosa seine Demission erklärt.

Ein Ausländer als Trainer?

Hinter den Kulissen ging es beim CBF zuletzt ähnlich drunter und drüber wie auf dem Platz. Der designierte Präsident Marco Polo Del Nero hatte sich für einen Verbleib des einst so beliebten „Felipão“ ausgesprochen, zumindest für die nächsten Testspiele. Nach der Blamage im kleinen Finale sagte hingegen Noch-Verbandschef José Maria Marin, die Situation mit Scolari sei „unhaltbar“.

Als Nachfolgekandidaten gelten Adenor „Tite“ Bacci (zuletzt Corinthians São Paulo) und U 20-Nationaltrainer Alexandre Gallo. Die Zeit drängt für die Brasilianer: Am 5. September steht in Miami gegen Kolumbien das nächste Länderspiel an, danach geht es gegen Ecuador und im Oktober gegen Argentinien und die Türkei. 2015 steht die Copa América an und 2016 in Rio de Janeiro das olympische Fußball-Turnier.

Auch ein ausländischer Trainer ist ein Thema, wäre allerdings ein Novum in Brasilien. Scolari hatte sein Amt Ende November 2012 angetreten als Nachfolger des entlassenen Mano Menezes. Seine Bilanz lautete am Ende 19 Siege in 29 Spielen, sechs Unentschieden und vier Niederlagen. Die letzten zwei davon machten seine ganze Arbeit zunichte, auch wenn Scolari das lange nicht wahrhaben wollte.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!