Brasiliens Staatschef versagt in Amazonien: Regenwald vor "angekündigtem Tod"
Brasiliens Präsident Lula rudert beim Regenwaldschutz zurück - trotz neuer Rekorde bei der Abholzung.
PORTO ALEGRE taz Vor einer Woche ließen die neuesten Entwaldungszahlen in Amazonien sogar im Präsidentenpalast von Brasília die Alarmglocken schrillen. Von August bis Dezember 2007 dürften rekordverdächtige 7.000 Quadratkilometer Regenwald vernichtet worden sein, gab Umweltministerin Marina Silva bekannt. Tags darauf ordnete Staatschef Lula da Silva eine konzertierte Aktion an. "Wir werden die Mafiabanden bekämpfen, die die Natur zerstören, unsere Souveränität bedrohen und unsere Reichtümer rauben", versprach Justizminister Tarso Genro.
Dafür sollen 780 Bundespolizisten in die Region entsandt und 11 neue Stützpunkte eingerichtet werden. In den 36 am stärksten betroffenen Gemeinden sollten die Waldzerstörer von der staatlichen Kreditvergabe ausgeschlossen und ihre Ländereien konfisziert werden. Weil unklare Besitzverhältnisse die Strafverfolgung oft erschweren, müssen dort sämtliche Grundstücke neu registriert werden.
Seither überfliegen Reporter den "Bogen der Zerstörung" im Osten und Süden des brasilianischen Amazonasgebietes und bestätigen das, worauf Umweltschützer bereits seit einem halben Jahr vergeblich hingewiesen hatten: Die Rodungen gehen weiter, die Inspektoren der Umweltbehörden stehen auf verlorenem Posten, immer neue Schlachthäuser werden gebaut.
Doch die Betroffenen wehren sich. Gouverneur Ivo Cassol aus Rondônia beschimpfte Ministerin Silva. Zuvor hatte er eine Überraschungsrazzia der Umweltbehörde platzen lassen, indem er einfach den Inspektoren den vereinbarten Polizeischutz entzog. Im Bundesstaat Mato Grosso, der in den Zerstörungsstatistiken regelmäßig führt, sieht es es ähnlich aus. Die Weltraumbehörde, die ihre Zahlen nach der Auswertung von Satellitenbildern bekannt gegeben hatte, "lügt", schäumte Gouvereur Blairo Maggi, im Nebenberuf einer der größten Sojafarmer der Welt: "Wir möchten gerne wissen, in wessen Auftrag."
Ganz anders sieht das Mauro Armelin vom WWF Brasilien: "Durch die Ausweisung neuer Anbauflächen für Soja oder Zuckerrohr in anderen Landesteilen wird die Viehwirtschaft immer stärker nach Amazonien gedrängt." Ein guter Aktionsplan aus dem Jahr 2004 sei nur zu 40 Prozent umgesetzt worden, kritisierte Greenpeace-Aktivist Paulo Adário: "Die Regierung hat die Riesenchance vergeben, in Zeiten der Rohstoffflaute die Strukturmaßnahmen ihres eigenen Plans umzusetzen. Es ist die Chronik eines angekündigten Todes."
In den vergangenen fünf Jahren wurde zudem die Rinderzucht mit günstigen Staatskrediten von umgerechnet rund 512 Millionen Euro gefördert, errechnete das Forschungsinstitut Imazon. Die Weltbank gehört ebenfalls zu den Kreditgebern, dem Maggi-Konzern haben die deutsche KfW-Bankengruppe und die WestLB wiederholt unter die Arme gegriffen. "In den USA wird mehr Mais für Agrosprit angebaut und weniger Soja, deswegen steigen die Sojapreise", sagt Klimaforscher Daniel Nepstad. Hinzu komme der Klimawandel: "Wegen der ausgedehnten Trockenzeit gab es Ende 2007 ungewöhnlich viele Brandrodungen."
Und Lula? "Viel Lärm" um fast nichts, meinte der Präsident vorgestern, ein "kleiner Tumor" sei doch kein Krebs. Stänkernde Umweltschützer sollten doch erst "in ihren eigenen Ländern Bäume pflanzen", bevor sie die Regierung kritisierten.
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