Kommentar Amazonien: Präsident Lulas unhaltbarer Spagat

Der Raubbau am Regenwald in Amazonien geht unvermindert weiter. Die Verantwortlichen für die Umweltzerstörung beliben ungeschoren.

"Eine Kerze für Gott, eine andere für den Teufel" - diese brasilianische Volksweisheit hatte sich Luiz Inácio Lula da Silva schon 2002 zur obersten Maxime seiner Regierungspolitik erkoren. Oder, wie neulich sein Vorgänger Cardoso anerkennend und boshaft zugleich anmerkte: "Lula weiß, was Ausgleich bedeutet: Im Wahlkampf verteidigt er das Volk, an der Regierung erfreut er die Oberschicht".

Übertragen auf die Amazonienpolitik bedeutet dies: Als glaubwürdige, aber machtlose Advokatin für den Regenwald und seine BewohnerInnen schickt der brasilianische Staatschef Umweltministerin Marina Silva vor, selbst bleibt er jedoch oberstes Sprachrohr des Agrobusiness.

Lulas jüngste Weigerung, trotz erdrückender Beweise Viehzüchter oder Sojafarmer für die wieder beschleunigte Urwaldzerstörung verantwortlich zu machen, ist da nur konsequent. Geht es nach dem Präsidenten, soll im Amazonasgebiet fast alles beim Alten bleiben. Sein Verbündeter, der Soja-Gouverneur Blairo Maggi, bleibt ungeschoren, ebenso der Devisenbringer Rinderwirtschaft. Die Ausweitung neuer Anbauflächen für die Agrospritproduktion in anderen Landesteilen wird auch künftig für Druck sorgen, ebenso die perverse "Agrarreform", durch die mittellose Siedler seit gut 30 Jahren zur vordersten Front der Urwaldrodung gemacht werden.

Die weitere Erschließung der artenreichen Region durch Staudämme und neue Verkehrswege steht auch nicht zur Debatte. Das Großkapital feiert, zeitgleich sind dutzende indigener Völker existenziell bedroht. Während im größten Süßwasserreservoir der Welt sauberes Trinkwasser und Abwasseranlagen ein Luxus für wenige bleiben, träumt Lulas Minister für "strategische Angelegenheiten" von Flussumleitungen in den mitteltrockenen Nordosten Brasiliens.

Klimaforschern zufolge könnte Amazonien in wenigen Jahren unwiderruflich "kippen". Die von der Regierung angekündigten Gegenmaßnahmen reichen nicht aus. Solange Lula nicht einsieht, dass ein radikales Umsteuern auch im langfristigen Interesse Brasiliens liegt, muss der Druck von außen verstärkt werden - und zwar so, dass es der Raubbau-Allianz wehtut.

GERHARD DILGER

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