Brasiliens Präsident auf China-Reise: Lulas Drahtseilakt in Peking
Beim Staatsbesuch von Brasiliens Präsidenten in China geht es um Geschäfte – aber auch um die Verschiebung der globalen Machtverhältnisse.
Angesichts der fulminant gestiegenen Handelsbeziehungen zwischen den zwei aufstrebenden Volkswirtschaften dürfte dies auch nicht weiter verwundern. Das bilaterale Warenvolumen beläuft sich laut chinesischen Angaben auf rund 170 Milliarden US-Dollar. Seit 14 Jahren in Folge ist die Volksrepublik zudem der wichtigste Wirtschaftspartner für Brasilien. Und nach dem Wirtschaftseinbruch während der Coronapandemie soll es hier nun neuen Aufwind geben.
Brasilien ist nach wie vor einer der wenigen Staaten, der gegenüber der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt einen positiven Handelsüberschuss verzeichnet. Das liegt vor allem an den massiven landwirtschaftlichen Exporten nach Ostasien. Doch umgekehrt tritt Peking in Lateinamerika zunehmend als wichtiger Investor auf: In Brasilien bauen chinesische Unternehmen Verkehrsinfrastruktur, liefern Technologie für den digitalen Wandel und errichten Werke für Elektroautos. Dass sich die wirtschaftliche Zusammenarbeit künftig weiter intensiviert, soll in den nächsten Tagen schriftlich festgehalten werden: Mindestens 20 bilaterale Abkommen hofft Lula in der Volksrepublik abschließen zu können.
In den USA hingegen wird Chinas wachsender Einfluss in Brasilien mit Argusaugen beobachtet. Vor allem befürchtet man, dass die beiden Staaten, die ihren bilateralen Handel zunehmend in Lokalwährungen durchführen, an der Dominanz des US-Dollars rütteln könnten. Für Xi Jinping ist es ein selbst erklärtes Ziel, den chinesischen Renminbi als globale Währungsalternative zu positionieren.
Argwohn in den USA
Vor allem ein Programmpunkt auf Lulas Chinaagenda dürfte in Washington besonders bitter aufstoßen: An diesem Donnerstag soll das Staatsoberhaupt ein Innovationszentrum des Netzwerkausrüsters Huawei besuchen – jene Firma also, die von den Vereinigten Staaten als Bedrohung für die nationale Sicherheit gewertet wird.
Damit setzt der 77-Jährige ein klares Zeichen, dass sein Land bei den Tech-Sanktionen der Amerikaner nicht mitziehen, sondern weiterhin mit beiden Seiten Geschäfte machen wird. All dies passiert allerdings koordiniert mit den USA: Vor seinem Chinabesuch hat Lula schließlich ein demonstratives Telefonat mit Joe Biden geführt. Es ist ein ambivalenter Drahtseilakt: Man orientiert sich zwar zunehmend an China, doch erkennt nach wie vor die Bedeutung der USA an. Dass Brasilien jedoch zwischen zwei Alternativen wechseln kann, stärkt deutlich die Verhandlungsposition des Schwellenlandes.
In Peking setzte die Staatsführung zweifelsohne darauf, Brasilien näher an sich binden zu können. „Angesichts einer turbulenten internationalen Lage haben China und Brasilien weitreichende gemeinsame Interessen“, schreibt Zhu Qingqiao, Chinas Botschafter in Brasilia, in der parteieigenen Renmin Ribao (Volkszeitung). Gemeinsam werde man für eine „multilaterale Weltordnung eintreten“.
„Alter Freund“
Während Lulas Vorgänger Jair Bolsonaro wegen seiner chinafeindlichen und globalisierungskritischen Rhetorik verachtet wurde, sieht man nun endlich wieder einen „alten Freund“ im Präsidentenamt. Auch außenpolitisch teilen beide Staaten viele Überzeugungen. Lula wie auch Xi Jinping fokussieren sich in ihren diplomatischen Bemühungen vorwiegend auf den globalen Süden, beide propagieren einen Multilateralismus und lehnen eine Hegemonie der USA ab.
Auch beim Ukrainekrieg haben sie eine ähnliche Position gewählt, wobei Chinas strategische Nähe zu Russland deutlich prominenter ist. Doch sowohl Peking als auch Brasilia wollen international als verantwortungsvolle Friedensmacht wahrgenommen werden. Xi Jinping schlug zuletzt einen 12-Punkte-Plan vor, der allerdings nicht über vage Formulierungen hinausging und in Europa als enttäuschend wahrgenommen wurde.
Lula empfiehlt als konkrete Verhandlungsgrundlage, dass Russland sämtliche neu eroberten Gebiete abtreten, jedoch die Kontrolle über die Krim behalten könnte. Bislang lehnt der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski das mit Verweis auf die territoriale Integrität seines Landes kategorisch ab. Experten rechnen zudem nicht damit, dass Lula während seiner Chinareise Xi dazu überreden kann, den Druck auf Wladimir Putin zu erhöhen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel