Brasilien nach der Wahl: Bolsonaro räumt zögernd das Feld
Mit zeitlicher Verzögerung kündigte Brasiliens Präsident die Amtsübergabe an Lula da Silva an. Zu einer Gratulation konnte er sich nicht durchringen.

F ür zwei Minuten sprach Jair Bolsonaro, und dann war er auch schon wieder still. Stolze 45 Stunden nach Bekanntgabe der Ergebnisse trat Brasiliens Präsident vor die Presse. Am Sonntag hatte der Sozialdemokrat Luiz Inácio „Lula“ da Silva die Stichwahl gegen den rechtsradikalen Amtsinhaber gewonnen.
Bolsonaro blieb gezielt doppeldeutig. Im nationalistischen Duktus lobte er die Werte der Rechten: Gott, Vaterland, Familie und Freiheit. Doch Bolsonaro sagte auch, dass er sich immer an die Verfassung gehalten habe. Das stimmt nicht. Der notorische Antidemokrat ließ sich bei Pro-Putsch-Protesten blicken, beschimpfte Richter*innen, drohte Reporter*innen Schläge an.
Nach seiner Rede ließ Bolsonaro seinen Stabschef eine Erklärung vorlesen. Die Regierung werde die Amtsübergabe vorbereiten, hieß es. Einige haben nun die Hoffnung, dass alles reibungsloser über die Bühne laufen könnte als befürchtet. Allerdings: Bolsonaro sendete in der kurzen Rede auch wieder klare Signale an seine radikale Anhängerschaft. Er gratulierte weder Lula zum Wahlsieg, noch gestand er direkt seine Niederlage ein.
Und er richtete sich direkt an seine Fans, die derzeit im ganzen Land Straßen blockiert halten. Zwar rief er sie auch dazu auf, keine „Methoden der Linken“ anzuwenden, räumte aber gleichzeitig ein, dass „die populären Bewegungen“ Folge von „Wut und einem Gefühl von Ungerechtigkeit über den Wahlprozess“ seien. Mit Zweifeln am demokratischen System und platten Lügen mobilisiert Bolsonaro schon seit langem seine Wählerbasis.
Die Folgen davon sind verheerend: Viele Rechte glauben jede noch so absurde Lüge ihres Idols, schotten sich immer mehr in Parallelwelten ab und radikalisieren sich. So ist es auch kein Wunder, dass Bolsonaros Rede in rechtsradikalen Netzwerken gefeiert wurde und als Aufruf gesehen wird, die Blockaden gegen die Wahlergebnisse auszuweiten. Brasilien stehen heiße Tage bevor.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Prozess gegen Maja T.
Ausgeliefert in Ungarn
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Bundesregierung und Trump
Transatlantische Freundschaft ade
ifo-Studie zu Kriminalitätsfaktoren
Migration allein macht niemanden kriminell