Brandanschlag in Bautzen: Rechte Spuren
Ein zur Flüchtlingsunterkunft umfunktioniertes Hotel wird kurz vor Eröffnung Ziel eines Brandanschlags. Es ist nicht das erste Mal. Eine Spurensuche.
U nweit von Talsperre und Campingplatz liegt auf einer leichten Anhöhe das Spreehotel in Bautzen. Der moderne zweigeschossige Bau mit großen Glasfenstern und 80 Betten liegt im Stadtteil Burk. Die Gegend gilt als Naturerholungsgebiet. Doch wie Urlauber werden sich die bis zu 200 Asylbewerber wohl kaum fühlen, die ab Ende November in das leerstehende Hotel einziehen sollen. Unbekannte hatten dort am 28. Oktober einen Brandanschlag verübt. Wer dahintersteckt, ist noch unklar. Vermutlich hat es einen politischen Hintergrund. In der Stadt kam es immer wieder zu rechten Ausschreitungen.
Fünf Tage nach dem Brandanschlag sieht man am Spreehotel Handwerker ein und aus gehen. Durch die großen Fenster sieht man sie werkeln. Äußerlich wirkt das Hotel, das schon im vorigen Flüchtlingsstrom von 2014 bis 2017 als Unterkunft genutzt wurde, unversehrt. Die Spuren des Brandanschlags sind zumindest an Fenstern und Fassade schnell beseitigt worden. Die ersten Fotos zeigten noch zerstörte Scheiben, verbogene Fensterholme und Rauchspuren an der Außenwand. Der Zugang zum Hotel ist versperrt, und das Landratsamt gibt zur Art der Brandschäden keine detaillierte Auskunft. Auch die Schadenssumme ist unbekannt.
Am frühen Morgen des 28. Oktober ging bei der Rettungsleitstelle Bautzen ein Feueralarm ein. Nur sieben Minuten später kam die Feuerwehr, konnte den Brand schnell löschen. Vier Hotelmitarbeiter, die hier übernachteten, retteten sich und blieben unverletzt. Sehr schnell erschienen auch Oberbürgermeister Karsten Vogt, Landrat Udo Witschas und Sachsens Innenminister Armin Schuster (alle CDU) am Tatort. „Dafür müssen sie büßen“, drohte der Innenminister den Tätern und versprach eine baldige Aufklärung. Ministerpräsident Michael Kretschmer bezeichnete den Anschlag als „widerwärtige Tat“.
Anfang November sind neben Handwerkern auch 14 Kleintransporter vor dem Hotel zu sehen. Ob diese den Ermittlungen oder nur einer nachträglichen Gebäudesicherung dienen, ist von den ansonsten freundlichen Polizeibeamten nicht zu erfahren. Der AfD-Landtagsabgeordnete Frank Peschel, im Mai Bautzener Kandidat bei den Landratswahlen, forderte einen Polizeicontainer vor dem Hotel. Nicht, um künftig hier lebende Flüchtlinge zu schützen, sondern weil er sich um das „Sicherheitsgefühl“ der Anwohner sorgt.
Es ist nicht der erste Anschlag auf das Spreehotel: 2016 hatten drei junge Männer mehrere Molotowcocktails gegen das Gebäude geworfen. Damals lebten bereits Flüchtlinge dort, es wurde aber niemand verletzt. Das Terrorismus- und Extremismus-Abwehrzentrum des Landeskriminalamtes ermittelte im Anschluss. Die drei Täter wurden gefunden und zu Bewährungsstrafen verurteilt.
Mit dieser Vorgeschichte fragt man sich: Hätte das für die Unterbringung von Asylbewerbern zuständige Landratsamt nicht vorsichtiger sein müssen, als es nach geeigneten Flüchtlingsunterkunften suchte? Sprecherin Frances Lein im Landratsamt weicht solchen Fragen nicht aus. Sie schildert zunächst die Probleme durch die Aufnahme von 3.900 UkrainerInnen, für deren Unterbringung das Spreehotel zwar nicht vorgesehen war. Aber da auch der Andrang aus „klassischen“ Herkunftsländern wieder steige, habe man das Hotel dennoch für zwei Jahre vom Eigentümer gemietet. Die Betreuung sollte die Arbeiterwohlfahrt AWO übernehmen.
Eine besondere Gebäudesicherung wurde bereits besprochen, verrät die Sprecherin. Polizeistreifen seien angesichts des bevorstehenden Einzugs auch häufiger vorbeigekommen. „Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht, das hat auch der nach wie vor ungeklärte Brand des Husarenhofs 2016 gezeigt“, sagt sie.
Der Großbrand des Husarenhofs am 21. Februar 2016 verstärkte den negativen, ausländerfeindlichen Ruf Bautzens erheblich. Auch hier sollten wenige Tage später Asylbewerber untergebracht werden. Ein Wachschutz war aktiv, konnte den Anschlag aber nicht verhindern. Fast der gesamte Dachstuhl brannte ab. Die Ermittlungen gelangten nie über die Vermutung einer Brandstiftung hinaus. Zwei Jahre später stellte die Generalstaatsanwaltschaft Dresden sie ein. Die Brandruine wurde vergangenes Jahr abgerissen.
Im November 2016 wurden allerdings zwei damals 21-jährige Männer zu zweieinhalb und drei Jahren Haft verurteilt. Sie gehörten zu einer großen Menge teils alkoholisierter Schaulustiger, die laut Polizeibericht das Brandgeschehen „mit abfälligen Bemerkungen und unverhohlener Freude“ kommentierten. Sogar Kinder sollen dabei gewesen sein. Die Menge skandierte Rufe wie „Wir wollen kein – Asylantenheim“ und behinderte teilweise die Löscharbeiten. Die beiden Verurteilten fielen durch besondere Aggressivität und körperlichen Widerstand gegen Polizeibeamte auf. Später kommentierte ein Mitarbeiter einer Baufirma aus dem Bautzener Oberland die Inspektion der Brandschäden in einem Handyvideo mit „Sieg Heil! Gute Arbeit!“.
Der Name „Husarenhof“ fällt am unweit vom Spreehotel gelegenen Parkplatz noch einmal. Ein junger Mann äußert sich offen, aber unpolemisch. Man solle nicht gleich wieder die ganze Stadt in Verruf bringen. „Beim Husarenhof ist auch nie klar geworden, wie es war“, verweist er auf den bemerkenswerten Fehlschlag aller Ermittlungsversuche. Hier am Spreehotel seien angeblich nicht einmal Fensterscheiben eingeworfen worden. Der Brand könnte also im Inneren des Gebäudes entstanden, ja vielleicht sogar gelegt worden sein. Wie damals vermuten einige auch jetzt einen versuchten Versicherungsbetrug des Eigentümers.
Solche „alternativen Fakten“ verdrängen die damaligen Unterstützungsrufe, als das Haus brannte. Und sie verdrängen die aktuelle Bestätigung des Landratsamtes, dass am Spreehotel „Fenster eingeschlagen und durch diese mutmaßlich die Brandsätze geworfen wurden“.
Sie stehen jedoch exemplarisch für die Bautzener Wagenburgmentalität, für den lokalpatriotischen Wunsch, die Stadt gegenüber dem in den vergangenen Jahren entstandenen Ruf zu rehabilitieren. Der ultrakonservative Bauunternehmer Jörg Drews reagierte beim taz-Porträtgespräch im Vorjahr auch allergisch auf die Unterstellung eines ausländerfeindlichen Stadtklimas. Beim Husarenhof-Brand sei nichts bewiesen, die Umstände völlig ungeklärt, beteuerte er.
Hassbekundungen und Übergriffe
Doch der Anschlag 2016 fand in einer Zeit statt, in der Hassbekundungen, Übergriffe auf Ausländer und Demonstrationen auf der sogenannten Platte, dem Kornmarkt in Bautzen, zum Alltag in der Stadt gehörten. Aus dem gleichen Misstrauen gegenüber allem Neuen und Andersartigen heraus avancierte Bautzen später zu einem sächsischen Zentrum der Kurz-, Klein- und Querdenker, der Impfkrieger und nun der gezeigten Russlandfahnen.
Ähnlich wie im mecklenburgischen Groß Strömkendorf überrascht der Anschlag auf das Bautzener Hotel deshalb nicht wirklich. In dem Ort bei Wismar stand am 20. Oktober eine malerische Flüchtlingsunterkunft mit dem regionaltypischen Reetdach in Flammen. Tage zuvor war sie schon mit Hakenkreuzen beschmiert worden. 14 ukrainische Kriegsflüchtlinge und drei Helfer konnten sich retten. Die Wiederaufbaukosten werden auf 7 Millionen Euro geschätzt.
Daniel Trepsdorf vom Regionalzentrum für demokratische Kultur beobachtete damals, „dass die Stimmung in Mecklenburg-Vorpommern langsam kippt“. Dagegen setzte sich eine Mahnwache in Wismar zur Wehr. Auch am Brandort gab es Solidaritätsbekundungen und Hilfsaktionen. Zu einer solchen Demonstration hatte auch die Bautzener Linke aufgerufen. Etwa hundert Bürger kamen auf den Kornmarkt, darunter Oberbürgermeister Karsten Vogt (CDU). Schwarzgekleidete Personen störten allerdings mit Zwischenrufen.
Ob ein Zusammenhang zwischen dem Anschlag auf das Spreehotel und einer Bürgerversammlung drei Tage zuvor besteht, bleibt derzeit noch eine Vermutung. Auch die AfD hatte eine Protestkundgebung organisiert. Bedenken und Kritik der Anwohner gegenüber den Geflüchteten seien bei solchen Diskussionen üblich, hält das Landratsamt Bautzen dagegen.
Bautzener Lokalpatriotismus mag für den ein oder anderen verständlich wirken. Denn dem äußeren Anschein nach gibt es allen Grund, auf das Stadtbild stolz zu sein. Vor allem das Viertel zwischen Reichenturm, Wasserkunstturm, Rathaus, dem Petridom und der Ortenburg ist eine touristische Perle. Für die Altstadt kam das Ende der DDR gerade rechtzeitig, um einen Flächenabriss zu verhindern. Auch das Villenviertel oder die Schilleranlagen vermitteln den Eindruck einer organisch strukturierten freundlichen Stadt. Sogar die DDR-typische Plattenbausiedlung um die Salvador-Allende-Straße wirkt vergleichsweise einladend. Aber entsprechen die Bewohner ihrem Stadtbild?
Lutz Hillmann, Intendant des an den Schilleranlagen gelegenen Deutsch-Sorbischen Volkstheaters, mag kein Statement zu Protokoll geben und winkt nur ab. Die Stadt ruiniere ihren Ruf hartnäckig selbst, gibt er sich fatalistisch. Hillmann konstatiert auch eine wachsende Müdigkeit und Unlust der 38.000 Einwohner, sich brisanten Themen überhaupt noch zu stellen. Mit dem „Reichsbürger“-Monolog hat er ein stimulierendes Stück im Spielplan, aber auch hier lasse das Interesse nach.
Hillmann hat etwas gegen den Ruf einer spießig-restaurativen Kleinstadt getan. Seit 2018 gibt es das Thespis-Zentrum, eine Art interkultureller Bautzener Bürgerbühne zum Mitmachen. Gleich um die Ecke, dreihundert Meter vom Volkstheater entfernt, ist „Thespis“ auf zwei Etagen zu finden. Geleitet wird das Zentrum seit Mai von Georg Genoux, einer stattlichen Erscheinung, die äußerlich russischen Stereotypen nahekommt. Jedenfalls kennt sich der Theatermann durch seine biografischen Erzähltheaterprojekte in Moskau, Kiew oder Sofia besser aus als in seiner Heimatstadt Hamburg. Erst 2018 entdeckte er die Oberlausitz für sich.
Nur fünf Tage vor dem Spreehotel-Anschlag endete das von Thespis getragene jährliche Theaterfestival „Willkommen anderswo“. Die AfD hatte in letzter Minute im Stadtrat die Freigabe von Fördermitteln an das Festival blockiert. Sind die Bemühungen um friedliche Nachbarschaft, gar Integration in Bautzen gescheitert? Genoux beschreibt es zwar auch als seine Aufgabe, „in Bautzen Mauern aufzubrechen“. Aber er missioniert nicht, schon gar nicht Menschen, „denen es den Boden unter den Füßen weggezogen hat“.
Wie ein Reporter spricht er Bürger auf der Straße, in der Konditorei, in der Kneipe an. Da trifft er ebenso auf empfängliche Menschen wie auf Dickschädel. „Mir begegnen trotzdem Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft, auch wenn jeder Zweite rechts denkt“, schätzt er seine Nachbarn ein. Auf diese Weise hat er auch AfD-Wähler kennengelernt, die den Brandanschlag verurteilen. Der Dialog und die Arbeit mit ihnen brauche Zeit und Geduld, meint Genoux.
Im gleichen Sinn spricht auch seine Mitarbeiterin Steffi Seurich, die überhaupt nicht Bautzen-typisch mit Punkfrisur, vielen Tattoos und Piercings aussieht. Im Erdgeschoss beginnt gleich ihr Sprachkurs mit Geflüchteten. Aus eigener Erfahrung weiß sie, „wie das ist, wenn einem das Haus mit Hakenkreuzen beschmiert wird“. Dennoch will sie zuhören, plädiert sogar für Akzeptanz anstelle pauschaler Etikettierungen.
Bei vielen entdeckt sie latente Angst vor so ziemlich allem, der wenig abhelfen könne. „Nicht Feuer mit Feuer bekämpfen“, formuliert sie schon beinahe christlich. Das Thespis-Zentrum hat in vier Jahren noch keine Übergriffe hinnehmen müssen. Die jüngere Generation radikalisiere sich jedoch auch in Bautzen, beobachtet Seurich, vor allem über Musik wie den „Neuen Deutschen Standards“ des Rappers Chris Ares.
Langjährige Erfahrung lehrt, dass man an Bautzener schwer herankommt, dass sie ungern über Politik oder ihre Stadt sprechen, entweder mauern oder resignieren sie. Und mit einem Stadtwohltäter wie Jörg Drews will man sich schon gar nicht anlegen, so rechts er auch sein mag. Das Rathaus will sich auf eine Journalistenanfrage hin nicht äußern. Aus einem aber sprudelt es heraus, wie der Brunnen auf dem Markt vor dem prächtigen Rathaus. Eckart Riechmann kommt sportlich gekleidet mit dem Lastenfahrrad zum Treff. Er ist Vorsitzender des SPD-Ortsvereins, beriet zwei Jahre den ehemaligen Oberbürgermeister Alexander Ahrens in Migrationsfragen, spricht aber vor allem für das 2016 gegründete Bündnis „Bautzen bleibt bunt“.
Eckart Riechmann, Vorsitzender des SPD-Ortsvereins
„Der Rassismus kommt auch aus der Stadt“, widerspricht er der auch von Landrat Witschas vertretenen Wagenburg-These, Fremdenfeindlichkeit sei importiert oder von Medien erfunden. „Sie müssen nur einmal mit einer Geflüchteten durch die Stadt gehen – keine zehn Meter, und Sie hören eine abfällige Bemerkung!“ Für Riechmann eine Folge der Vernachlässigung politischer Bildung in den 1990er Jahren, als die Sachsen nur auf den Ersatzkönig und Erlöser Kurt Biedenkopf starrten. Bis heute sei auch an Schulen das Desinteresse spürbar. Die Stadt habe in der Jugend- und Sozialarbeit große Lücken hinterlassen, in die eine bestens organisierte Rechte gestoßen sei.
Die anhaltenden Auseinandersetzungen in der Stadt hätten zu Müdigkeit und zum Rückzug in die eigene Echokammer anstelle eines Dialogs geführt, konstatiert Riechmann. Dennoch wollen er und das Bündnis nicht aufgeben, auch wenn beispielsweise zu einer SPD-Bürgersprechstunde niemand erscheine. „Erkennen, erklären, handeln“, mit diesem Dreiklang glaubt der studierte Bauingenieur doch einen Teil der Stadtgesellschaft erreichen zu können. Er setzt dabei auf kulturbürgerlich-liberale Schichten, die man in Städten der Größe Bautzens erwarten kann.
Die geflüchteten Frauen im Thespis-Zentrum sind nach dem Anschlag nicht verängstigter als davor, erzählt Seurich. Anders klingt es bei Riechmann: Dieser berichtet von jungen migrantischen Helfern, die den Umzug ins Spreehotel vorbereiteten und sich nun schockiert zurückgezogen haben. Dennoch erklärte Landrat Udo Witschas (CDU) nun vor dem Kreistag, dass ab dem 29. November wieder Migranten in das Gebäude einziehen sollen.
Bis dahin könnten die Schäden an einem Zimmer und im Keller beseitigt werden. Auch wenn ausschließlich Familien zur Unterbringung vorgesehen waren, soll Sicherheitsbedenken der Anwohner künftig mit einem regelmäßigen Gesprächsformat begegnet werden. Weil der Landkreis bei der Aufnahme von Asylbewerbern inzwischen an seine Kapazitätsgrenzen stößt, hat der Landrat beim sächsischen Innenministerium um einen Aufnahmestopp gebeten.
Über Ermittlungsstände schweigt das Landeskriminalamt. Zwei Wochen nach dem Anschlag regt dieses Thema in Bautzen auch niemanden mehr sonderlich auf. So, wie der Brand des „Husarenhofs“ nur noch eine Episode mit Fragezeichen geblieben ist.
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