Brand im Autonomen Jugendhaus: Wo die Bühne war, ist alles verkohlt
Das Autonome Jugendhaus Bargteheide steht nach einem erneuten Brand möglicherweise vor dem Aus. Ob es ein rechter Anschlag war, ist noch unklar.
Das Plexiglasdach ist halb geschmolzen. Auf dem Boden liegen verkokelte Polsterreste und Paletten unter Ascheflocken. Drumherum ist rot-weißes Flatterband gespannt. An den Türen des bunt bemalten Flachbaus kleben Zettel: „Gebäude gesperrt. Kein Zutritt.“
Das AJH ist ein kleiner Containerbau unter Bäumen. Er wird auch Blechbüchse genannt und liegt am Rand von Bargteheide an einer viel befahrenen Straße. Ursprünglich als Geflüchtetenunterkunft gebaut, beherbergt der Bau seit 2005 das selbstverwaltete, antifaschistische AJH, das es seit 1984 gibt. Vor zwei Wochen hat es hier gebrannt. Verletzt wurde niemand.
Am Mittag des 17. Juni, ein Dienstag, entdeckten Passant*innen Feuer im Außenbereich. Es brach an der Außenbühne aus und griff auf das Dach des Containerbaus über. Die Feuerwehr war mit 50 Kräften im Einsatz, die den ganzen Nachmittag brauchten, um den Brand zu löschen. Das Dach der Container mussten sie aufsägen. Seitdem darf das Gebäude nicht betreten werden.
Kriminalpolizei ermittelt in alle Richtungen
Was das Feuer ausgelöst hat, ist noch unklar. Von den im Jugendhaus Aktiven war niemand auf dem Gelände. Eine natürliche Ursache hat die Feuerwehr ausgeschlossen. Die Kriminalpolizei ermittele in alle Richtungen, sagt sie der taz.
Piet, 16, schiebt sich und seinen Roller am Rand von Bauzäunen vorbei aufs Gelände. Er ist im AJH aktiv und kommt direkt von der Schule her, wie an vielen anderen Tagen auch, zum Rumhängen, Kickern, zum Plenum. Im AJH gibt es keine Sozialarbeitenden. Alles wird von Jugendlichen selbst verwaltet.
Der älteste Aktive ist Arthur, 22. Er rollt einen Einkaufswagen heran, der zum Sitz umgebaut ist. Zusammen schauen die beiden auf die verkohlte Außenbühne und trinken Limo. Sie heißen eigentlich anders und wollen ihre Identität schützen.
Arthur war als Erster der Aktiven am Brandort. „Ich war zu Hause am Chillen und hab den Rauch gerochen“, sagt er. Er sei sofort hergerannt. Piet kam als Zweiter. Später hätten sie zu fünfzehnt vor dem brennenden AJH gestanden. Als das Feuer unter Kontrolle war, habe der Einsatzleiter ihnen erlaubt, eine Anlage aus dem Backstagebereich im Container zu retten. „Ich hab gesehen, wie die Wasser reingepumpt haben und das überall reingelaufen ist, und da wusste ich: Das ist scheiße!“, sagt Piet ernst.
Das Löschwasser habe viel zerstört, unter anderem Lichttechnik, eine Stichsäge, eine Bohrmaschine, Kabel, Flyer, Sticker – und möglicherweise das Archiv. Dokumente aus 41 Jahren AJH-Geschichte, darunter alte Festivalplakate, Plenumsbücher und Fotos, lägen gerade auf dem Dachboden einer ehemals Aktiven. „Zum Trocknen“, sagt Arthur und zeigt ein Foto auf seinem Smartphone. Inwieweit das Archivmaterial zu retten ist, sei noch nicht absehbar. Ihr jährliches Sommerfestival Ende Juli mussten die Jugendlichen jedenfalls absagen.
Rechtsextreme Schmierereien und ein Angriff
Der aktuelle Brand am AJH war zwar der verheerendste, aber nicht der erste in den vergangenen Monaten. Schon am 1. Januar dieses Jahres hatte es auf dem Außengelände gebrannt, davor am 26. Mai 2024. In beiden Fällen war niemand auf dem Gelände.
Die Brände reihen sich in eine ganze Welle von Vandalismus-Fällen ein, die vor rund eineinhalb Jahren begannen, schätzen Arthur und Piet. Mindestens viermal wurden Fenster eingeworfen, ein Zaun wurde umgetreten und der Container beschmiert. Die Polizei ermittelt in insgesamt zehn Fällen von Sachbeschädigung gegen unbekannt.
Dazu kommen einige rechtsextreme Angriffe. Zuletzt tauchten Anfang April mehrere große, mit Wandfarbe gemalte Hakenkreuze am Gebäude auf. Fotos davon liegen der taz vor. Wenige Tage später stand „444“ an einer Wand, ein Code, der für „Deutschland den Deutschen“ steht. Im Februar vergangenen Jahres belagerten etwa 15 Rechtsextreme das Zentrum, warfen Böller und griffen Personen an. In einigen Fällen ermittelte der für politische Straftaten zuständige Staatsschutz, nicht aber beim jüngsten Brand.
„Keiner glaubt mehr an Zufall“, sagt Arthur. Aber auf die Frage, wer hinter dem Feuer vor zwei Wochen stecken könnte, antworten er und Piet zurückhaltend. „Könnten Leute gewesen sein, die gar nichts gegen das AJH haben, einen blöden Fehler begangen haben und getürmt sind“, sagt Piet. Und dann gebe es noch die andere Antwort, die vielleicht auch viele Leute hören wollten: Faschos. „Ich tue mich schwer, das zu sagen, weil es halt in beide Richtungen gleich wahrscheinlich ist“, sagt Piet.
Sicher ist derzeit eins: Die Zukunft des Autonomen Jugendhauses steht akut auf der Kippe. Ob das Gebäude, das der Stadt gehört, gerettet werden kann, wird ein Gutachten der Versicherung erst in den kommenden Wochen zeigen.
Sollte es abgerissen werden müssen, sieht es schlecht aus. Denn neu gebaut werden darf auf dem Gelände aus baurechtlichen Gründen nicht. Besonders tragisch: Nur wenige Wochen vor dem Brand hatte die Stadt dem Jugendhaus 320.000 Euro für eine dringend notwendige Sanierung zugesichert.
Ein anderes Gebäude will die Stadt dem Jugendhaus nicht zur Verfügung stellen. Es gebe kein geeignetes Objekt, schreibt die Bürgermeisterin Gabriele Hettwer (parteilos) auf taz-Anfrage. Die vor zwei Jahren von Jugendlichen besetzte leerstehende Villa Wacker sei jedenfalls nicht geeignet. Kurzfristig könne die Stadt den Jugendlichen das Jugendkulturhaus und Räume des städtischen Jugendzentrums zur Verfügung stellen.
Konkrete Solidarität fürs AJH kommt indes von vielen anderen Stellen. Die Autonomen Zentren im Umland, das Juki 42 in Ahrensburg und das Inihaus in Bad Oldesloe, veranstalten Soliparties, damit das AJH laufende Kosten bezahlen kann. Ehemals Aktive kommen zum Plenum oder spenden Geld. Ein Bioladen im Ort hat ein Banner herausgehängt. Ein offener Brief fordert Unterstützung von der Stadt. Der Fanladen des FC St. Pauli hat ein altes Trikot verkauft und den Erlös gespendet. Was Arthur und Piet am Ende noch sagen wollen: „Dass wir uns nicht unterkriegen lassen.“
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