Boris Palmer über „Mohrenköpfle“: „Bei Rassismus denke ich Mengele“
Tübingens OB findet den Begriff nicht rassistisch. Viele würden dabei nur an eine Süßspeise denken. Der Streit um Worte lenke von weit gravierenderen Problemen ab.
taz: Herr Palmer, in Tübingen gab es Streit, weil ein Konditor seine Süßspeise „Mohrenköpfle“ genannt hatte. In Ihrer Region ist dieser Ausdruck verbreitet, in Berlin wäre das undenkbar. Gehen die Uhren in der Provinz anders?
Boris Palmer: Im Schwäbischen hört sich das sicher anders an. Aber ich verstehe, dass sich auch bei uns Menschen dadurch verletzt fühlen. Sie sind in mein Büro gekommen und haben mir das eindrücklich geschildert. Das ist für mich Grund genug, den Begriff nicht mehr zu verwenden. Ich rate aber dringend davon ab, beim „Mohrenköpfle“ von Rassismus zu sprechen. Das führt nicht zu gegenseitigem Verständnis, sondern zu Gegenwehr.
Ist der Begriff nicht rassistisch? Man kann rassistische Begriffe im Munde führen, ohne sich dessen bewusst zu sein.
In der Debatte wird da leider nicht immer so fein differenziert. Wenn ein Begriff für viele, die ihn verwenden, keine rassistische Bedeutung hat, muss es doch auch eine Rolle spielen, wie er gemeint ist. Deshalb finde ich es falsch, gleich von Rassismus zu sprechen.
Warum?
Weil das Rassimus bagatellisiert und von weit gravierenderen Problemen ablenkt, etwa von Polizeikontrollen nach Hautfarbe. Jemandem Rassismus zu unterstellen ist, gerade in Deutschland, ein sehr harter Vorwurf. Wenn ich Rassismus höre, dann denke ich an Mengele.
47, Grünen-Politiker, ist seit 2006 Oberbürgermeister in Tübingen. Davor war er von März 2001 bis 2007 Abgeordneter im Landtag Baden-Württemberg.
Rassismus fängt ja nicht erst beim Massenmord an. Und gerade die Grünen haben doch immer viel Wert auf Sprache gelegt – und so zum Beispiel erfolgreich dazu beigetragen, das man heute nicht mehr von Ausländern spricht, sondern von Einwanderern. War das falsch?
Nein. Sprache bestimmt das Bewusstsein. Sicher war es richtig, dass Feministinnen darauf gepocht haben, dass Frauen in unserer Sprache gleichberechtigt vorkommen. Heute reden wir ganz selbstverständlich auch von Ministerinnen und Geschäftsfrauen. Die Methode hat aber Grenzen. Das große Binnen-I dagegen hat sich nicht durchgesetzt – auch in der taz nicht! Deswegen kann man doch nicht behaupten, dass in der taz nur Machos schreiben.
Sie haben kritisiert, Teile Ihrer Partei würden „den Kampf für Minderheiten mit einem Kampf gegen Mehrheiten verwechseln“. Sollen die Grünen nur für Dinge eintreten, die bei einer Mehrheit populär sind?
Nein. Wer gesellschaftlichen Wandel will, muss dafür kämpfen. Mehrheiten zu bekämpfen finde ich aber falsch. Das ist eine Frage des Habitus – wie ich auf die Mehrheit zugehe, die ich überzeugen will. Wenn ich denen sage, die sind eh alle Rassisten, dann machen die zu.
In Süddeutschland wurden bestimmte Feuerwerksknallkörper im Volksmund lange Zeit als „Judenfurz“ bezeichnet. Heute ist das tabu. Haben Politiker nicht die Aufgabe, aktiv am Sprachwandel mitzuwirken?
Ja doch. Ich sehe aber einen Unterschied zwischen diesen Begriffen. Ein „Judenfurz“ ist in keinem Kontext neutral. Im Sprachgebrauch vieler Menschen ist ein Mohrenkopf dagegen einfach nur eine Süßspeise, bei der man auch nicht entfernt an Menschen dunkler Hautfarbe denkt.
Müssen sich Minderheiten andere Parteien suchen, wenn sie Schutz vor diskriminierender Sprache suchen?
Im Gegenteil. Ich rate nur dazu, Minderheitenanliegen so vorzutragen, dass man Menschen überzeugt, statt sie vor den Kopf zu stoßen. Deshalb kann es besser sein, nicht jeder Erwartungshaltung zu entsprechen – auch wenn sie von einer Minderheit kommt, für die man sich einsetzt. Allein meine Weigerung, den Begriff komplett zu ächten, wurde mir so ausgelegt, als würde ich mich mit Rassismus gemein machen. Aber der besagte Konditor sucht jetzt einen neuen Namen für sein Produkt. Ich finde, dabei kann man es belassen.
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