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Boris Johnsons widersprüchliches ImageDie zwei Gesichter des Premiers

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Er ist konservativ wie chaotisch, konfrontativ und vernünftig. Beim Tory-Parteitag zeigte sich Boris Johnson in seiner ganzen Widersprüchlichkeit.

Welchen Boris mag sie am liebsten? Johnson mit Freundin Carrie Symonds Foto: reuters

W er ist der wahre Boris Johnson? Kaum ein Politiker spaltet sein Publikum so wie der britische Premierminister – und bei seiner Abschlussrede zum Parteitag der britischen Konservativen war für beide Seiten etwas dabei. Auch jenseits der auch nach dieser Rede offenen Frage, welchen Brexit-Kurs er konkret verfolgt.

Für die Johnson-Hasser, die ihn für einen gefährlichen, wenn auch eher dümmlichen Rechtspopulisten und Trump-Verschnitt halten, gab es deftige verbale Angriffe auf das britische Parlament als Reality-TV-Verschnitt. Dem Parlamentssprecher John Bercow wünschte Johnson, dass er den Hoden eines Kängurus als Dschungelshow-Strafessen verspeisen müsse. Und Labour-Chef Jeremy Corbyn wurde zum Favoriten erkoren – für den Fall, dass Großbritannien mal jemanden mit einer Weltraumsonde ins All schicken wolle.

Für die Johnson-Bewunderer, die ihn für einen eloquenten, wenn auch eher chaotischen Visionär einer innovativen und liberalen Politik halten, gab es die positive Beschwörung Post-Brexit-Großbritanniens als Land der Weltoffenheit, des Fortschritts und der Toleranz – „offen, nach außen gekehrt, global im Denken, dem Freihandel verpflichtet; ein Land, das wir mit besserer Bildung, Infrastruktur und Technologie zusammenführen; ein Land, wo man sein Leben leben kann und lieben kann, wen man will, solange man das Gesetz achtet und niemandem schadet; ein Land, das die Welt in sauberer grüner Technologie führt“.

Die zweite Kategorie überwog deutlich, was auch zum bisherigen Regierungshandeln Boris Johnsons passt. In seinen erst 70 Tagen im Amt hat der Premier keine rechtspopulistische Programmatik umgesetzt, sondern den klassischen liberalen englischen Konservatismus. Diesen hat er verpackt in populistische Rhetorik, mehr aber auch nicht – wenngleich das völlig ausreichte, um ihn in gigantische und auch selbstverschuldete Schwierigkeiten zu bringen.

Boris Johnson hat recht, wenn er dringend Neuwahlen fordert: damit die Briten sich entscheiden können, ob er sie weiter regieren soll

Die zwei Gesichter Johnsons sind politisch kein Widerspruch. Man kann für vernünftige Dinge eintreten und trotzdem alle denkbaren Gemeinheiten für angebracht halten. Man kann die ethnisch diverseste Regierung der britischen Geschichte bilden und trotzdem Konflikte mit Parlament und Justiz auf die Spitze treiben. Man kann staatliche Sozialleistungen massiv ausbauen und trotzdem Lobbyinteressen schützen. Man kann Freizügigkeit in der privaten Lebensgestaltung predigen und trotzdem beim eigenen Verhalten einen Skandal an den anderen reihen.

Über kurz oder lang stellt sich aber die Frage, ob diese Johnson-Variationen auf Macrons politischen Kunstgriff des „en même temps“ – also das gleichzeitige Verfolgen mehrerer gegensätzlicher Ziele, um jede Opposition zu durchkreuzen – im aktuellen Zustand Großbritanniens funktionieren. Die britische Politik ist gespalten und polarisiert wie lange nicht. Der britische Premierminister hat recht, wenn er dringend Neuwahlen fordert: damit die Briten sich entscheiden können, ob er sie regieren soll oder jemand anders.

Johnson irrt, wenn er sich bei solchen Neuwahlen für unwiderstehlich hält. Aber je früher die Briten an die Wahlurnen dürfen, desto besser.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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10 Kommentare

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  • Ich mag Johnson sehr, er ist witzig und eloquent, es macht oft Spaß ihm zuzuhören.



    Nur: Politiker sollte er nicht sein.

  • Seit 2016 hört und schaut man sich das billige Schmierentheater in GB an. Eine der ältesten Demokratien der Welt macht sich selbst lächerlich.

    Was meinen eigentlich die politischen Führungskräfte und rund 50% der Bürger in GB warum ihre Wünsche klaglos von 27 anderen EU-Ländern akzeptiert werden müssen ? Die Zeit des Empire ist vorbei.



    Sollen sie austreten und wenn sie gemerkt haben was sie sich selber angetan haben können sie ja nach 10 Jahren erneut einen Beitritt beantragen, aber dann natürlich zu den Bedingungen der EU.

    Die Verblendung ist wirklich enorm. Das einzige was dort funktioniert ist der Finanzmarkt in London. Wie lange der dort nachdem Brexit bleibt ist sehr fraglich. Die Autoindustrie, sämtlich Töchter ausländischer Konzern hat schon angekündigt Produktionen zu verlagern, die Landwirtschaft ohne EU kann einpacken, usw ......

    Sie kapieren anscheinend auch nicht daß sie ab 01.11. praktisch keine internationalen Verträge mehr haben - auf keinem Gebiet. Splendid Isolation !

  • Boris Johnson verfolgt seit langem die Projekte der Libertarians, und die Brexit-Kampagne ist seit langem als rechtspopulistisch bekannt, nicht nur Nigel Farage.



    in The Guardian von 24.11.2018 führt Nick Cohen aus, wie eine reaktionäre Elite diese Kampagne mit Lügen seit 2011 anführt:



    The scheming Brexit libertarians spin delusions that are trapping us all. TaxPayers’ Alliance, Jacob Rees-Mogg, Corbyn betrays the poor.



    Dominic Johnson behauptete am 1.10. in dem Artikel "Wer hat die Krone auf" dass eine EU-Mitgliedschaft Britanniens verfassungswidrig sei, weil EU-Recht über nationalem Recht stehe. Dann müssten alle EU-Mitglieder austreten.



    Und gleichzeitig möchte Dominic Johnson nicht, dass das britische Parlament so viel Macht wie bisher haben soll.



    Hier dazu Nick Cohen: www.theguardian.co...re-trapping-us-all

  • Na Mahlzeit

    Die zwei Gesichter der Doppel-Johnsons



    In der taz - bis zur Kenntlichkeit entstellt. Das hat frauman nicht alle Tage.

    kurz - You made my day. 👻 👻 👻

  • Nein, Herr Dominic Johnson, ich muss Ihnen widersprechen.



    man kann nicht gleichzeitig "für vernünftige Dinge eintreten und trotzdem alle denkbaren Gemeinheiten für angebracht halten".



    Mal abgesehen, dass mir nicht bekannt ist, wo B. Johnson schon real vernünftige Dinge geschaffen hat (im Grunde genommen gibt es derzeit nicht mehr als Ankündigungen und Versprechungen, auch und gerade im Bereich staatlicher Sozialleistungen und des Gesundheitswesens), wäre es auch so, dass B. Johnsons abstoßendes Verhalten per se alles andere diskreditiert.

    Wer so unseriös spricht (und sich verhält), den muss man zwar durchaus ernst nehmen (weil er eventuell gefährlich ist), aber kann ihn nicht als verlässlichen und ernsthaften Partner und Gestalter für voll nehmen.

    Ich habe von Anfang an nicht viel von B. Johnson gehalten. Aber die Bemerkung über die ermordete Abgeordnete Cox, die gegen den Brexit war, ihr Andenken würde geehrt, wenn man den Brexit nun schleunigst vollziehe, hat für mich dem Fass den Boden ausgeschlagen und den - ich muss es leider so drastisch sagen - widerwärtigen Charakter von von B. Johnson endgültig offenbart.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @jlMG:

      Widerspruch zum Widerspruch.

      Doch, es geht. Mit der Konsequenz, dass dann ein Krankheitsbild nach dem ICD 10 vorliegt. Die Varianten kann jeder selbst unter F.60 - 69 nachlesen.

      Dann ist aber die Fragestellung eine Andere: wo liegen die Grenzen für Staaten und Gemeinwesen, wenn sie von kranken Menschen regiert werden? Ein, wie wir wissen: nicht rein britisches Thema.

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    ""In seinen erst 70 Tagen im Amt hat der Premier keine rechtspopulistische Programmatik umgesetzt, sondern den klassischen """""liberalen englischen Konservatismus.""""""



    ==



    Umsetzung rechtspopulistischer Programatik durch Johnson:

    1.. Suspendierung des Parlaments.







    2..Richerschelte durch Boris Johnson - und zwar des Supreme Courts.







    3..Johnson hat die Queen angelogen hinsichtlich der dargelegten Gründe für die Prorogation - die Johnson damit begründet hat um die Rede der Königin vorzubereiten. Das Gericht hat demgegenüber festgestellt das die Suspendierung nicht den Rechtsgrundsätzen des Vereinigten Königreiches folgt.

    4..Der Austritt aus der EU ist keine Kleinigkeit wenn dieser denn stattfindet. -



    Das Parlament in dieser Frage auszuschalten geht konform mit dem politischen Ziel von Rechtspopulisten den politischen Willen einer Minderheit gegen die Mehrheit der Wähler durchdrücken zu wollen - wobei Johnson diktatorische Züge annimmt indem er versucht die Mechanismen der parlamentarischen Demokratie auszutricksen.

    5..Rechtspopulismus pur ist wenn ein Präsident oder Premiere überhaupt nicht mehr den Anspruch vertritt auch die Wähler vertreten zu wollen die ihn nicht gewählt haben. Beispiel: Sebastian Kurz, Österreich, dem populistische Züge nachgewiesen werden können - aber diesen Grundsatz einer parlamentarischen Demokratie eindeutig nach der Wahl vertritt.

    Diesen Grundsatz hat Boris Johnson völlig aufgegeben - und vertieft damit die Spaltung der Gesellschft - er vertritt nach den letzten Umfragen 34% der Wähler und wenn er mit den Rechtsradikalpopulisten von Niqel Farage zusammen geht vertritt diese Koalition ca. 45% der Wähler.

    Alle anderen - Plaid, SNP, Labour, Independents, Greens und Lib-Dems (1%, 4%, 22%, ,?, 5%, 23% = die Vertretung von ca. 55% der Wähler) stehen außerhalb jeglicher Entscheidungsmöglichkeit oder Mitspracherecht - die Kontrollpflicht des Parlaments



    schaltet der britische PM per Willkür aus.

    • @06438 (Profil gelöscht):

      Wenn alle Rechtspopulisten Arschlöcher (u.a.m) sein sollten, heißt das nicht automatisch, das alle Arschlöcher auch Rechtspopulisten sind.

      • 0G
        06438 (Profil gelöscht)
        @Sonntagssegler:

        Die Arschlochthese funktioniert bei Johnson nicht. Er wird von Politikern und Journalisten, die ihn kennen aber politisch aufs Schärfste ablehnen als sympathischer Typ beschrieben – besonders von Frauen.

        Die Rede des Rechtspopulisten Johnson auf dem Parteitag war ein Betrugsversuch um unbequeme Realitäten aus der Wahrnehmung der Realität zu streichen. Streichopfer sind die Gesetze des Landes, das gewählte Parlament, die EU und die Insel Irland – die Rede Johnsons klang wie nach einem Hurrikan willkürlich zusammengezimmert – Kohärenz und konservative Wertvorstellungen waren nicht zu entdecken.

        Die USA, China und Russland blieben fast ohne Erwähnung. Von Klimakrise, Migrationsdruck und Terrorismus war kaum ein Wort zu hören – man darf gespannt sein wie weit seine Ablehnung der Wahrnehmung der Realität eigentlich geht.







        Johnson erklärte herablassend und heuchlerisch dass er Europa auf den rechten Weg bringen möchte – er schauspielert, dass er sein Bestes versucht hat, um in der elften Stunde eine Austrittsvereinbarung abzuschließen. Realität und die Logik seines Ansatzes ist aber dass es unter Johnson keinen Deal geben wird. Bei den sogenannten Neuverhandlung geht es vielmehr um die Vorbereitung von Schuldzuweisungen nach dem 31. Oktober – und es geht den zu Rechtspopulisten gewendeten Tories darum Niqel Farage das Wasser abzugraben.

        Der einzige Grund für die Existenz der Tory-Partei ist die Bemühung, den Brexit zu vollziehen - Johnsons Prahlerei, „do or die“ sorgte während des Parteitages für Hochstimmung.

        Hinsichtlich der Aufrechterhaltung des Friedensprozesses in NI und hinsichtlich des Backstops ist die EU kohärent und konsequent – wobei Johnson, der sich schamlos an die pre-faschistische DUP (Koalitionspartner) in Manchester gewöhnt hat, weiterhin so tut, als wäre ihm Irland völlig egal.

        Jetzt verstanden das Rechtspopulismus „in different shades of brown“ derzeit in UK zu besichtigen ist?