Boom von Motoryachten: Im Reich der Freizeitkapitäne
Motoryachten sind im Trend, auf dem Wasser wird es enger. Auch auf einem stillgelegten Arm der Elbe in Hamburg ist das so. Ein Besuch bei den Liegeplätzen.
N atürlich, unter der Woche ist jetzt nicht so viel los auf der Dove-Elbe. Auf dem kleinen Uferweg führt eine Frau ihren großen zotteligen Hund aus, die Leine schleift über den Boden, nein, er tut nichts, sagt sie. Vögel steigen aus dem Schilf auf, eine kleine Landzunge führt raus aufs Wasser, und da, in einer Bucht, die vorher nicht einsehbar war, schaukeln sie dann auf dem Wasser: Motoryachten.
Es sind nicht viele, die sich an diesem Vormittag an der Stelle eingefunden haben, die den schönen Namen „Rentnerbucht“ trägt. Still liegen sie da, das Wasser glitzert, an einem Boot weiter draußen hat ein kleineres festgemacht, die Besucher kommen an Deck, hoch auf den mit einem Sonnensegel überspannten Aufbau, von dem man alles im Blick hat.
Die Boote, die hier vor Anker liegen, sind keine Superyachten, wie sie in den großen Werften in Hamburg und in Bremen zu sehen sind. Die Yachten hier kreuzen nicht über die Weltmeere und sie haben keine Crew an Bord. Die Yachten hier sind gerade so groß, dass ein Rentnerpaar draufpasst und vielleicht noch sein Besuch.
Schon vor dem Boom der Branche in den letzten Jahren war die Dove-Elbe ein Eldorado für Motorboote. Vor den Badestegen auf der anderen Seite, auf der sogenannten Rentnerstrecke, fahren sie an schönen Sommertagen in einer Art Prozession vorbei, mit Menschen an Deck, die Gläser in der Hand halten und den Badenden zuwinken, die aufpassen müssen, nicht zu weit rauszuschwimmen.
Dass dieser Seitenarm der Elbe bei Bootsbesitzern so beliebt ist, liegt an der Tatenberger Schleuse, die das für die Elbe bei Hamburg typische Auf und Ab der Gezeiten abhält. Auf der Dove-Elbe gibt es fast keine Strömung, sie wirkt eher wie ein idyllischer See, nur eben mit Anschluss an die Elbe.
Genau deswegen ist sie für die Boote auch ein idealer Liegeplatz, und so reiht sich hier an der Dove-Elbe ein Yachtverein an den anderen. Oft liegen die unzugänglich hinter Zäunen, an denen Schilder mit der Aufschrift „Nur für Mitglieder“ befestigt sind. Manchmal aber ist es auch möglich, näher heranzukommen.
Der Bootsclub Biber zum Beispiel liegt zwar etwas versteckt, aber das Gelände ist nur mit einfachen Parkplatzschranken gesichert, eine vorne, eine hinten. Vor einem Schuppen sitzen auf Campingstühlen einige Mitglieder im Schatten einer überdachten Terrasse und schauen aufs Wasser, von einem Fahnenmast weht die Vereinsfahne. „Den haben wir selber aufgebaut“, sagt Friedrich Gehring, den sie hier „Fiete“ nennen. In seiner Stimme schwingt Stolz.
Friedrich Gehring trägt einen Strohhut, in dem keck eine Feder steckt. Sein Boot, die „Lobster“, liegt in Sichtweite am ersten Steg auf der rechten Seite, ungefähr in der Mitte. „Sehen Sie, das mit dem blauen Verdeck!“
Auf der „Lobster“ ist er seit vielen Jahren mit seiner Frau unterwegs, an die Müritz sind sie damit schon gefahren, nach Potsdam und Berlin. Am Tegeler See sind sie beide Ehrenmitglied in einem Anglerverein, bei dem sie einmal auf einer Reise untergekommen sind, dabei angeln sie gar nicht. Vor Kurzem waren sie bei der Hochzeit einer Frau eingeladen, die sie dort kennengelernt haben, als sie zwei war. „Das ist wie eine Familie“, sagt Friedrich Gehring.
Wenn die Gehrings mit dem Boot unterwegs sind, bewegen sie sich in einer Welt der Wasserstraßen, mit Flüssen und Kanälen, die alle untereinander verbunden sind, mit Schleusen und Brücken, unter denen das Boot durchpassen muss.
Ihres, ein alte englische Barkasse aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, die sie mit festem Stoff umspannt und damit regenfest gemacht haben, ist flach genug und passt überall durch. Der weiteste Weg, den sie zurückgelegt haben, ist nach Amsterdam, dorthin geht es die Elbe runter, vor Cuxhaven in den Hadelner Kanal bis Bremerhaven, von dort die Weser hoch und weiter die Hunte nach Oldenburg, wo der Dortmund-Ems-Kanal abzweigt, „und dann auf der linken Seite kommt ein kleiner Kanal mit Schleuse“, sagt Friedrich Gehring, „da fährt man noch zwei Kilometer, bis ein Schild kommt, dass hier die niederländische Grenze ist“.
Auf ihren Fahrten bleiben die Gehrings meistens auf dem Boot, denn sie haben ja alles: Kühlschrank („12 Volt“) und Kochecke, gemütliche Sitzbank mit ausklappbarem Tisch im Heck, sogar ein kleiner Fernseher lässt sich aufklappen, wobei sie den jetzt gar nicht so oft einschalten. Sie löst Kreuzworträtsel, er liest, überall sind kleine Schubladen, natürlich selbst eingebaut, wie auch der Motor, ein Dreizylinder, der sich in einem großen Holzkasten im Vorraum befindet, liebevoll klopft Friedrich Gehring darauf.
Ein bisschen sieht das Boot aus wie ein altes Wohnmobil, unter Deck ist eine sehr gemütliche Koje, und so reisen sie dann, ganz langsam, mit nur wenigen Knoten, denn schnell ist das alte Boot mit seinem Stahlrumpf nicht und soll es auch gar nicht sein. „Unterwegs sieht man Tiere“, sagt Bärbel Gehring versonnen. Nachts sei es wunderbar, auf dem Wasser zu schlafen, „das schaukelt so schön“.
Einige Tage später, es geht aufs Wochenende zu, ist rund um die Dove-Elbe schon mehr los. Der Parkplatz des Hamburger Yachtclubs, nur wenige hundert Meter vom Bootsclub Biber entfernt, füllt sich, unten auf den Stegen herrscht ein Kommen und Gehen.
„Das hier ist der schönste Yachtclub Hamburgs“, sagt Dieter Zimmer, der Hafenmeister. Von hier oben, der Terrasse des italienischen Restaurants aus, das zum Yachtclub gehört, lässt sich die ganze Bucht überblicken, und wirklich, überall liegen Boote. 180 Liegeplätze haben sie, 30 Namen stehen auf der Warteliste.
Dieter Zimmer führt durchs Restaurant, vorbei an weiß gedeckten Tischen, hinein in den Vereinsbereich: rustikales Holz im Versammlungsraum, dann ein winziges Kabuff, das als Geschäftszimmer dient, dahinter die Räume des Vorstands mit Sitzmöbeln aus Leder.
Der Hamburger Yachtclub ist ein gemeinnütziger Verein, ein paar hundert Euro kostet ein Liegeplatz pro Saison. Ein paar tausend Euro kostet der Unterhalt einer der schönen weißen Yachten, die hier an den Stegen liegen. Der Neuanschaffungspreis würde in die Hunderttausende gehen, aber: ein neues Boot kauft hier keiner. „Das kann sich keiner leisten“, sagt ein Vereinsmitglied, das den Hügel hinauf in die Geschäftsstelle gekommen ist. Seine Yacht will er lieber nicht besichtigen lassen. „Sie wissen doch, der Sozialneid!“
Ein Problem, sagt er, seien natürlich die alten Motoren. Bei 2x200 PS rauschen locker mal 40 Liter Diesel in der Stunde durch, dazu gehört dann ein 1.000-Liter-Tank. Aber es gebe ja inzwischen alternative Treibstoffe aus verflüssigtem Erdgas, besser als Diesel seien die auf jeden Fall. Die meisten hier tanken das, auch wenn es teurer ist, und auch noch nicht eine endgültige Lösung. Aber was sollen sie machen? Motoren umrüsten? Viel zu teuer.
Trotzdem ist so ein Boot auch ein Traum, den man sich erfüllt, da sind sich hier alle einig. Anja Gubatz zum Beispiel, die in der Geschäftsstelle arbeitet, als einzige hauptamtliche Kraft des Vereins, hat sich zusammen mit ihrem Mann ein Birchwood geholt, ein irisches Rauwasserboot und eine Art Mercedes unter den Booten, 14 Meter lang, 1996 gebaut. In der Größe gab es nur noch ein Exemplar in Kroatien, das haben sie herbringen lassen.
Sie haben sich überlegt, ob es so groß sein muss, aber, sagt Anja Gubatz, sie wollte es wegen ihrer Eltern, die hätten sie ja überhaupt erst zum Bootfahren gebracht. Jetzt seien die Eltern alt, ihr eigenes Boot sei ihnen zu viel geworden. Da möchte sie genug Platz haben, die beiden mitzunehmen.
Ein Jahr hätten sie und ihr Mann damit zugebracht, das Boot, das in keinem guten Zustand war, wieder herzurichten. Es sei einfach viel Arbeit, die anderen nicken vielsagend. Im Prinzip, sagt Dieter Zimmer, müsse man sich entscheiden: entweder ein Haus mit Garten oder ein Boot, beides zusammen gehe nicht.
Auch Dieter Zimmers Boot ist ein Birchwood, 22 Jahre alt, und sieht picobello aus. Im Inneren ist ein dicker, flauschiger Teppichboden verlegt, das Boot wirkt wie ein großes Wohnzimmer mit Soflandschaft, nur dass es ganz oben mit der Flybridge noch einen zusätzlichem Steuerstand hat, auf dem man alles überblicken kann.
Es sei schon merkwürdig, sagen sie im Hamburger Yachtclub, aber die Boote würden tatsächlich immer größer, das falle durchaus auf. Warum, können sie nur vermuten. Vielleicht, weil ein paar Meter mehr dann gar nicht mehr so viel teurer sind und man dann, wenn man das Geld schon mal aufgebracht hat, lieber gleich das größere nimmt?
Schon vor Jahren gab es Aktionen von Klimaaktivisten am Bodensee, die unter dem Motto „Motorboot macht Klima tot“ gegen das zunehmende Verkehrsaufkommen von Motoryachten demonstrierten. Von solchen Aktionen haben sie beim Yachtclub Hamburg bisher allerdings noch nichts mitbekommen. Und vom Emissionshandel der EU, mit dem bei den großen Passagier- und Frachtschiffen eine Umrüstung erzwungen werden soll, sind „Freizeitboote“ bisher ausgenommen.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Für Dieter Zimmer jedenfalls geht es bald wieder los mit dem Boot, Elbe-Lübeck-Kanal, bei Travemünde raus und dann die Küste hoch.
„Es ist schon komisch“, sagt er, „aber das Bootfahren selbst langweilt mich. Ich liebe das Ankommen und die Hafenatmosphäre.“
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