Bolivien enteignet Energiekonzern: Streitkräfte besetzen Betriebe
Der spanische Konzern soll zu hohe Strompreise genommen haben. Laut Opposition will die Regierung aber nur von einem Korruptionsskandal ablenken.
BUENOS AIRES taz | Es war ein martialisch wirkendender Aufmarsch. Kaum hatte Boliviens Präsident Evo Morales am Samstag das Verstaatlichungsdekret für vier Tochtergesellschaften des spanischen Energiekonzerns Iberdrola unterschrieben, besetzten zum Teil vermummte Einheiten der Streitkräfte die Einrichtungen der Filialen. An die Fassaden hängten sie Transparente mit der Aufschrift „Nacionalizado“. Insgesamt 700 Soldaten sicherten Einrichtungen in La Paz und Oruro.
Bei den Gesellschaften handelt es sich um zwei Energieversorger, eine Investment- und eine Dienstleistungsfirma. Die Energieunternehmen Electricidad de La Paz S. A.und die Empresa de Luz y Fuerza Eléctrica de Oruro S. A. sind für die Stromversorgung in den gleichnamigen Landesbezirken und Städten La Paz und Oruro mitverantwortlich.
Mit der Viererkombination geht die gesamte Kette von der Erzeugung bis zur häuslichen Stromversorgung an den Staatskonzern Empresa Nacional de Electricidad.
Die Provinzen vernachlässigt
Die Begründung für die Enteignung: Die Unternehmen hätten die Provinzen vernachlässigt. „Wir sehen uns dazu verpflichtet, gerechte Tarife und eine gleichwertige Versorgung sowohl in den urbanen als auch in den ländlichen Regionen zu gewährleisten“, sagte Morales.
Vizepräsident Álvaro García Linera rechnete vor, dass die Kilowattstunde in der Metropole La Paz nur 0,60 Bolivianos kostet, auf dem Land aber 1,50 Bolivianos. Linera kündigte an, der spanische Konzern werde innerhalb von 180 Tagen „angemessen“ entschädigt.
Die spanische Regierung forderte neben einer Entschädigung auch, dass Bolivien für mehr Rechtssicherheit sorgen müsse, wenn es weiterhin ausländische Investoren im Land wolle.
Für die bolivianische Opposition ist das Ganze aber ohnehin nur ein Ablenkungsmanöver. Derzeit müssen sich hohe Regierungsmitglieder mit Korruptionsvorwürfen auseinandersetzen. Die Movimiento sin Miedo, die bis vor zwei Jahren noch eine Verbündete von Präsident Evo Morales war, spricht von „Nebelkerzen“. Die Regierung versuche, die eigentlichen Probleme des Landes zu verschleiern.
Erpressungsversuche
Der Skandal schwelt seit Wochen. Öffentlich geworden war er, nachdem ein wegen mutmaßlichen Drogenhandels und Steuerhinterziehung inhaftierter Geschäftsmann erklärt hatte, man habe ihm angeboten, ihn gegen eine entsprechende Geldzahlung wieder aus der Haft zu entlassen. Die Urkunde dazu werde von „höchster Stelle“ ausgestellt.
Der Inhaftierte beteuert nicht nur seine Unschuld; er ist inzwischen auch davon überzeugt, dass man ihn nur eingesperrt habe, um ihn dann zu erpressen. In den Skandal sind mittlerweile 14 Mitglieder der Administration von Präsident Morales involviert.
Der Vorwurf der Ablenkung ist nicht neu. Schon als Morales im Mai angeordnet hatte, ein Tochterunternehmens des spanischen Stromkonzerns Red Eléctrica Española zu verstaatlichen, hieß es, er habe damit nur von den schweren Konflikten mit den Gewerkschaften und indigenen Organisationen ablenken wollen.
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