Böllerverbot zu Silvester: Freiheit für Knallerbsen
Ein Gericht in Niedersachsen hält ein pauschales Böllerverbot für unverhältnismäßig. Weitere Urteile könnten folgen.
Am Sonntag vor einer Woche beschlossen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die MinisterpräsidentInnen der Länder bei ihren Coronaberatungen auch ein bundesweites Feuerwerksverbot auf „publikumsträchtigen Plätzen“, die die Kommunen definieren sollen. Außerdem werde der Verkauf von Pyrotechnik vor Silvester „in diesem Jahr generell verboten.“ Die Beschlüsse der Bund-Länder-Runden sind aber nur politische Absprachen und nicht rechtlich verbindlich.
Zum Umsetzung beschloss Innenminister Horst Seehofer (CSU) im Lauf der Woche eine Änderung der Sprengstoff-Verordnung. Danach ist es im Jahr 2020 verboten, Feuerwerk der Klasse F2 an VerbraucherInnen zu verkaufen. Gemeint sind Raketen und Böller. Der Verkauf von Kleinstfeuerwerk der Klasse F1 – zum Beispiel Wunderkerzen und Knallerbsen – bleibt möglich. Am Freitag stimmte der Bundesrat der Verordnung zu.
Das Land Niedersachsen setzte die Bund-Länder-Beschlüsse in seiner Coronaverordnung besonders rigide um. Es verbot jeden Verkauf von Feuerwerkskörpern und pyrotechnischen Gegenständen, also auch von Wunderkerzen und Knallerbsen. Außerdem wurde landesweit das „Mitführen und Abbrennen“ von Feuerwerksgegenständen verboten, also auch von Wunderkerzen und Knallerbsen.
Kläger ist ein Wirtschaftsanwalt
Gegen diesen Teil der niedersächsichen Coronaverordnung klagte der Wirtschaftsanwalt Mark-Oliver Otto. An einem Feldrand auf dem Land seien an Silvester keine Menschenansammlungen zu erwarten. Otto erhob einen Normenkontrollantrag beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg.
In einem Eilbeschluss gab das OVG Otto am Freitag Recht. Es kippte das niedersächsische Feuerwerksverbot und das Verkaufsverbot als unverhältnismäßige Eingriffe in die „Handlungsfreiheit“ der Bürger und in die wirtschaftlichen Interessen der Feuerwerks-Industrie. So sei es nicht zu erwarten, dass das (An-)Zünden von Wunderkerzen und Knallerbsen zu Menschenansammlungen führe. Auch ein flächendeckendes Verbot von Pyrotechnik sei nicht erforderlich. Es hätte genügt, sich auf Orte zu beschränken, an denen es erfahrungsgemäß zu kollektivem Feuerwerk komme.
Der Schutz vor Verletzungen durch Böller und Raketen sei, so das OVG, ohnehin keine Maßnahme des Infektionsschutzes. Hierauf konnte das niedersächsische Feuerwerksverbot gar nicht gestützt werden. Vielmehr sei die Sprengstoff-Verordnung des Bundes, die nur ein Verkaufsverbot vorsieht, maßgeblich. Die Verletzungen durch Böller und Raketen führten auch nicht zu einer Belastung der COVID 19-Behandlungskapazitäten in den Kliniken, so die RichterInnen, wohl weil hier unterschiedliche Abteilungen betroffen sind.
Die Landesärztekammer und der niedersächsische Städte- und Gemeindebund forderten das Land umgehend auf, die Corona-Verordnung nachzubessern. Inzwischen hat auch das Land angekündigt, dass es ein Feuerwerksverbot erlassen will, das den Anforderungen des OVG gerecht wird. Voraussichtlich wird es sich auf das Abschießen von Raketen und Böllern beschränken und auch dies nur auf bestimmten von den Kommunen definierten Plätzen. Eine entsprechende Änderung der Landes-Coronaverordnung muss noch vor Silvester erfolgen. Das bundesweite Verkaufsverbot für Raketen und Böller war von dem OVG-Beschluss ohnehin nicht betroffen.
Feuerwerksindustrie verärgert
In anderen Bundesländern gibt es noch keine vergleichbaren Gerichtsurteile. Diese könnten aber noch kommen, denn auch andere Länder gingen über den Bund-Länder-Beschluss von voriger Woche hinaus. So heißt es etwa in der baden-württembergischen Coronaverordnung ganz pauschal: „Das Abbrennen pyrotechnischer Gegenstände ist im öffentlichen Raum verboten.“ Auch hier gilt das Verbot also flächendeckend und auch für Wunderkerzen.
Die Feuerwerksindustrie warnte unterdessen vor existenzbedrohenden Folgen. Sie erwirtschafte 95 Prozent ihrer Umsätze um Silvester herum. Marktführer in Deutschland ist das Unternehmen Weco aus Nordrhein-Westfalen, das weltweit 400 Personen beschäftigt und überwiegend im Ausland produzieren lässt, insbesondere in China.
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