Bodo Ramelow in Chile: Reise in ein zerrissenes Land
Thüringens Ministerpräsident Ramelow besucht Chile, begleitet von einer großen Wirtschaftsdelegation. Die interessiert vor allem eines: Lithium.
Teil der Delegation ist Alexa Hergenröther, Geschäftsführerin des Unternehmens LiVERDE AG aus Sondershausen. Sie unterschreibt in Santiago einen Kooperationsvertrag mit dem chilenischen Unternehmen RJR für die Gewinnung von Lithium im Salar de Maricunga, einem Salzsee in der Atacama Region im Norden des Landes. „Grünes Lithium für Europa aus chilenischen Ressourcen“ heißt das Gemeinschaftsprojekt. Es soll nach Fertigstellung 50.000 Tonnen Lithiumhydroxid im Jahr produzieren, ausreichend für 1,5 Millionen Elektrofahrzeuge pro Jahr, sagt Hergenröther stolz.
Aber die Lithiumgewinnung in Chile ist nicht frei von Kritik. Denn für die Gewinnung wird lithiumhaltige Sole aus der Wüstenerde an die Oberfläche gepumpt, das Wasser verdampft unter der heißen Sonne und zurück bleibt Lithiumkarbonat, das anschließend weiterverarbeitet werden kann. Dieser Prozess kann die empfindlichen Ökosysteme in der trockensten Wüste der Welt aus dem Gleichgewicht bringen, in der Flamingos, Guanacos und Eidechsen leben.
„Die Lithiumextraktion ist die falsche Lösung für die Klimakrise“, sagt Francisca Fernández von der Bewegung für das Wasser und die Territorien MAT. „Sie vertieft eine kolonialistische Beziehung, die Ausbeutung der Natur und Vertreibung von Indigenen mit sich bringt“, sagt die Anthropologin. Die europäischen Länder würden so die sozialen und ökologischen Kosten ihrer Lebensweise auf den Globalen Süden verlagern. Fernández wird sich am Samstag mit Ramelow treffen.
Ähnliche Fragen in Thüringen und in Chile
Der Thüringer Regierungschef ist auf die Kritik gefasst. „Wir brauchen ein System, das die Natur nicht als Wegwerfmodell behandelt. Dieselben Fragen stellen wir uns in Thüringen auch.“ Er spricht vom Kali-Bergbau in Thüringen und den Altlasten, die ökologische Schäden verursachen. Das dürfe in Chile nicht passieren. „Es darf hier nicht einfach nur weggebuddelt werden und einfache Arbeit entstehen, sondern es muss eine Wertschöpfung entstehen. Das heißt, es geht nicht nur um den Rohstoff Lithium, sondern es geht auch um Batterientechnologie“, sagt Ramelow.
Zur Zeit exportiert Chile aber den Rohstoff und nicht die Batterien. Und das wird sich in absehbarer Zeit wohl nicht ändern, da internationale Freihandelsabkommen das Land in der Rolle des Rohstoffexporteurs verankern. Am Dienstag, als Ramelow bereits in Chile war, befürwortete der chilenische Senat nach einer jahrelangen Debatte die Transpazifische Partnerschaft TPP11, ein Freihandelsabkommen mit Ländern wie Australien, Japan und Singapur.
Soziale Bewegungen hatten gegen das Abkommen protestiert, weil es Umweltstandards aufweiche und die Demokratie durch private Schiedsgerichte gefährde. Der linke Präsident Gabriel Boric hatte sich zu seiner Zeit als Parlamentsabgeordneter noch gegen die Verabschiedung ausgesprochen, als Präsident hätte er die Abstimmung im Senat verhindern können.
„Der Präsident hat die sozialen Bewegungen ignoriert“, sagt Lucía Sepúlveda von der freihandelskritischen Organisation Chile Mejor Sin TLC. „Diese Abstimmung hat einen Bruch verursacht, mit den sozialen Bewegungen und innerhalb seiner eigenen Koalition.“ Auch mit der EU hat Chile ein neues Freihandelsabkommen ausgehandelt. Die Verhandlungen fanden während der rechten Regierung von Sebastián Piñera statt, während Polizisten bei Protesten auf den Straßen auf Protestierende schossen. Das Abkommen muss jetzt noch vom Parlament verabschiedet und von Boric unterzeichnet werden. Die EU-Länder wollen sich so den Zugang zu chilenischen Rohstoffen wie Lithium und Kupfer sichern. „Diese Freihandelsabkommen vertiefen das Exportmodell, das in Chile die Umwelt zerstört“, so Sepúlveda.
Ramelow unterstützt kritische Stimmen in Chile
Bodo Ramelow teilt die Kritik in Chile. Er sei für internationale Handelsabkommen, aber die privaten Schiedsgerichte, vor denen Investoren Staaten verklagen können, würden ihm Bauchschmerzen bereiten. „Private Schiedsgerichtsverfahren, die sich außerhalb jeder rechtsstaatlichen Norm befinden, die Länder nur noch zu Statisten von ökonomischen Interessen machen – das halte ich für einen inakzeptablen Rahmen“, sagt er.
Er habe sich für Chile als Ziel seiner Auslandsreise entschieden „wegen des jungen Präsidenten, der sich aufmacht, um dieses Land wieder zu versöhnen und über den Prozess der neuen Verfassung neue Impulse geben will“. Am 4. September hatte in Chile eine Mehrheit den Entwurf für eine neue Verfassung abgelehnt, die soziale Rechte und Umweltschutz garantiert hätte. Den verfassungsgebenden Prozess hatte die soziale Revolte 2019 angestoßen. Auch wenn der erste Anlauf gescheitert sei, sei gerade das eine Chance zur demokratischen Verstärkung, so Ramelow. „Das hat mich neugierig gemacht“, sagt er.
Präsident Boric kündigte zwar an, dass es trotzdem eine neue Verfassung geben werde, aber sicher ist das nicht. Rechte Abgeordnete drohen ihm, den Prozess zu blockieren, wenn er die Unterzeichnung des Freihandelsabkommen TPP11 noch länger hinauszögert. Der politische Handlungsspielraum des jüngsten Präsidenten Chiles ist begrenzt: Seine Koalition hat keine Mehrheit im Parlament und er verliert an Rückhalt in der Bevölkerung.
Thüringens Ministerpräsident will sich auf seiner Reise außerdem mit den Folgen der Menschenrechtsverletzungen der Pinochet-Diktatur beschäftigen. Und er will sich einem besonders dunklen Kapitel der deutschen Geschichte in Chile stellen: der deutschen Sektensiedlung Colonia Dignidad.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung
Serpil Temiz-Unvar
„Seine Angriffe werden weitergehen“