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Bodenseefelchen werden immer seltener und magerer Foto: Gian Ehrenzeller/Keystone/picture alliance

Bodenseefischer in NotNicht sauber, sondern rein

Wilhelm Böhler ist Bodenseefischer. Wenn er die Netze einholt, zappeln immer weniger der begehrten Felchen darin. Denn das Wasser ist viel zu klar.

D ie Zahlen sind brisant und im Detail noch nicht veröffentlicht. Doch die bayerischen Bodenseefischer sind schon mal vorgeprescht und haben die entscheidende Ziffer auf ihre Internetseite gepackt. Jetzt ist sie raus: 204 Tonnen.

So viel haben alle Bodenseefischer zusammen im vergangenen Jahr am großen Obersee gefangen. So wenig müsste es eigentlich heißen. 204 Tonnen Fisch, das ist nicht nur mickrig, das ist historischer Tiefststand. Auch am kleineren Untersee werden die Zahlen nicht besser ausfallen. Damit steht fest: 2019 war für die 70 verbliebenen Fischer am größten deutschen See das schlechteste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen, also seit 110 Jahren. Davor hatten die Jahre 2015 und 2018 die Negativstatistik angeführt. Es geht immer noch weiter bergab für Blaufelchen, Barsch, Seeforelle und Co. Und für die Fischer, die letzten ihrer Art.

Dia hont nix zom Fressa!

Wilhelm Böhler, Fischer, über die abnehmenden Fischbestände

Zwei von ihnen, Wilhelm Böhler aus Hemmenhofen am Untersee und Stefan Riebel von der Insel Reichenau, stehen in Böhlers Fischerei und machen ihrer Wut und Verzweiflung Luft. Hinter ihnen hängen ein Dutzend feingewirkter Netze und, nicht ohne Symbolkraft, zwei Rettungsringe. Böhler ringt um Worte, die Stimme vibriert, die Botschaften sind kurz und heftig. Es geht – natürlich – vor allem um die Felchen, die berühmten, großartigen Vorzeigefische des Bodensees. Der Bestand schrumpft in rasantem Tempo. Die jetzt im Sommer gefangenen Fische müssten eigentlich kugelrund und fett sein, doch sie sind mager und ausgezehrt. „Dia hont nix zom Fressa!“, platzt es aus Böhler heraus. Die Fische hungern, der See bietet zu wenig Nahrung, vor allem kaum noch Plankton. Deshalb wachsen sie langsamer, bleiben kleiner, vermehren sich schlecht. Beim Ausnehmen wird die Hungerkur sichtbar: Magen und Därme der Fische sind meistens leer, so leer wie oft die Netze der Fischer.

Das Jahr 2019 war gleich in doppelter Hinsicht ein historisches Jahr. Die stark zurückgegangenen Fänge sind nicht nur Negativrekord. In der Statistik wurden die Felchen erstmals vom Barsch (Egli) überholt, der jetzt im Ranking die Nummer eins am See ist. Und noch ein Novum: Im Jahr 2018 war die jährliche Laichfischerei der Felchen komplett ins Wasser gefallen, das Wetter war zu stürmisch. Beim Laichfischen werden im Winter die mit Laich vollgestopften Weibchen gefangen und „abgestreift“, um ihre Eier zu gewinnen. Es ist eine Art Fischmassage, bei der man mit den Händen den Laich aus dem Bauch herausdrückt. Die Eier werden in großen Bottichen gesammelt – rötlich glänzend wie kostbare Perlen. Sie werden befruchtet und bleiben in den Brutanstalten, wo Larven und Jungfische, fern von allen Räubern, geschützt heranwachsen, bis sie als „Besatzmaßnahme“ zurück in den See kommen.

Schon im 19. Jahrhundert wurden am Bodensee die ersten Felchen besetzt. Damals konnte man die Jungfische buchstäblich mit Seewasser füttern. Lichtquellen am Ufer lockten Plankton an, man musste das Wasser nur noch abpumpen und an die Fischbrut verteilen. Heute müssen selbst Jungfische in der Brutanstalt mit zugekauftem Futter versorgt werden.

Die Fischer: zu alt und nicht systemrelevant

Was die Fischer am meisten trifft, ist das Gefühl des Ausgeliefertseins. Stefan Riebel schüttelt immer wieder den Kopf: „Ich hab’s aufgegeben“, sagt er, es sei sinnlos, die Politik, Behörden oder Öffentlichkeit überzeugen zu wollen. Jedes Jahr hätten die Fischer weniger im Netz, jedes Jahr geben mehr den Beruf auf. Der Altersdurchschnitt liegt inzwischen bei über 60 Jahren – zu alt, um in der digitalen Informationswelt der neuen sozialen Medien Remmidemmi zu machen. Außerdem ist die Fischerei am Bodensee weder systemrelevant noch stellt sie eine wichtige Wählergruppe dar. Hart formuliert: ein Auslaufmodell. Ohnmächtig müssen die Fischer zusehen, wie die wunderschöne Seenlandschaft ihre wichtigsten Bewohner verliert: die Fische. Vor allem die Felchen.

Dabei gehören sie zum Bodensee wie die Kuh zur Alm, der Schlapphut zu Udo Lindenberg. Blaufelchen sind eine von vier Felchenarten, emsige Schwimmer mit richtig muskulösem Fleisch. Anders als Sand- und Silberfelchen leben Blaufelchen nur in wenigen europäischen Seen in größeren Beständen. Hier am Bodensee hatten sie bisher ihr Wohnzimmer, ihr größtes Verbreitungsgebiet, ein Alleinstellungsmerkmal auch für den Tourismus.

Der Bodensee

Größe Der Begriff Bodensee bezeichnet zwei Seen und einen sie verbindenden Fluss­abschnitt des Rheins: den Obersee den Seerhein und den Untersee. Der Bodensee ist mit 536 Quadratkilometern das drittgrößte Binnengewässer Mitteleuropas. Die maximale Tiefe beträgt 251 Meter.

Anrainer Seine Anrainer sind Deutschland (Baden-Württemberg und Bayern), Österreich und die Schweiz. Die gesamte Uferlänge beträgt 273 Kilometer.

Nutzung Die Nutzung und Ausbeutung des Bodensees wird von den Anrainerstaaten gemeinsam geregelt. Als Koordinierungsrat fungiert unter anderem die 1959 gegründete Internationale Gewässerschutzkommission für den Bodensee. (taz)

Feriengäste, die jetzt im Sommer am Seeufer in der Sonne sitzen, wollen vor allem eines: Bodensee gucken und Fisch essen. Das können sie auch. Doch drei von vier Bodenseefischen kommen inzwischen aus Finnland und Kasachstan, aus Island, Russland oder vom Gardasee. Fischhändler verteilen die per Flugzeug und Lkw importierten Fische an die Gastronomie. Auftauen, braten, rauf auf den Teller, fertig ist der Bodenseefisch. Manchmal steht verschämt „nach Bodenseeart“ auf der Speisekarte. Doch die meisten Restaurants lassen die Touristen in dem Glauben, der verspeiste Bissen sei vor Kurzem noch vergnügt im Bodensee geschwommen. Zander wird jetzt überall angeboten, ein im See ausgesprochen seltener Fisch.

„Früher“, sagt Wilhelm Böhler, „haben wir allein am Untersee in guten Jahren mehr als 200 Tonnen Felchen gefangen, jetzt sind wir bei maximal 40 Tonnen.“ Die Geschichte, die Böhler und Riebel erzählen, erinnert ein wenig an die biblischen Plagen, es ist die Geschichte vom Untergang eines jahrhundertealten Berufs. Die Plagen: viel zu sauberes Wasser, der Kormoran, der Stichling, die Quaggamuschel, die Erdüberhitzung, die Klärwerke, die Politik. Wobei Wasser, Klärwerke und Politik meist in einem Atemzug als gemeinsames Übel benannt werden.

Schlechte Aussichten: Fischer auf dem Bodensee Foto: Gian Ehrenzeller/Keystone/picture alliance

Auch Kormoran, Stichling und Quaggamuschel könnte man in einen Topf werfen – die neue natürliche Pest. Kurz gesagt: Alle drei haben sich heftig vermehrt und bedrohen die Fischbestände. Die Kormoranschwärme fressen inzwischen fast genau so viel Fisch, wie die Berufsfischer fangen, während die Invasion der Quaggamuscheln die wenigen Algen aus dem Wasser filtert. Und die Stichlinge, die als Speisefisch nicht infrage kommen, fressen junge Felchen. Alle drei sind, genau wie die Klimaveränderung, zusätzliche Übel zur eigentlichen Hauptplage: die fast sterile Wasserqualität.

Übertriebene Sauberkeit?

Der Kampf für sauberes Seewasser hatte vor 50 Jahren Fahrt aufgenommen. Damals war der Bodensee zwar keine Kloake, aber alles andere als sauber. Der See drohte umzukippen. Zu viel Dünger, zu viel Arznei, zu viel Waschpulver, zu viel Dreck. Der Östrogengehalt soll so hoch gewesen sein, dass die Fischbestände verweiblichten. Nur noch zwei von fünf Fischen waren Männer. Der Phosphatgehalt lag bei fast 90 Mikrogramm je Kubikmeter Wasser. Die Fische fanden zwar reichlich Nahrung, doch das Wachstum der Algen war so heftig, dass sie auf den Grund sanken und den Fischlaich erdrückten. Das alles im größten Trinkwasserspeicher Europas für fünf Millionen Menschen.

Also wurde der Gewässerschutz verschärft, Kläranlagen im Einzugsgebiet wurden ausgebaut, Reinigungsstufen zur Phosphatfällung installiert. Als Folge ging der Eintrag von Nährstoffen, insbesondere von Phosphaten, immer weiter zurück. Ein Ende der Reinigungswut ist nicht in Sicht. „Heute werden die Kläranlagen erneut aufgerüstet“, heißt es auf der Homepage der Bodensee-Wasserversorgung.

Rückstände aus der Industrie und aus Arzneimitteln sollen noch besser entfernt werden, aber auch der Phosphatgehalt könnte weiter schwinden und damit auch das Nährstoffangebot. „Die hören einfach nicht auf, es geht immer so weiter“, sagt Böhler und blickt hilfesuchend zur Decke. Warum kann der Bodensee nicht auf 10 Mikrogramm eingestellt werden, heißt es in einem Positionspapier der Fischer. Das würde für die Fische reichen und der See wäre trotzdem sauber.

Die Menschheit übertreibt es, zuerst mit der Verschmutzung, dann mit der Reinigung

Wilhelm Böhler, Fischer

Inzwischen ist der Phosphatgehalt, je nach Gebiet, auf 5 bis 7 Mikrogramm gesunken. Der See, klagen die Fischer, sei fast klinisch rein. „Die Menschheit übertreibt es immer, zuerst mit der Verschmutzung, dann mit der Reinigung.“ Das beinahe sterile Wasser bringe keine Vorteile mehr, gesunder Menschenverstand sei jetzt gefragt. Wilhelm Böhler formuliert es so: „Mit Riesenaufwand wird immer mehr Phosphat ausgefällt, das wird dann teuer entsorgt, um gleichzeitig mit Flugzeugen aus immer größeren Entfernungen Fische einzufliegen, die als Bodenseefisch verkauft werden.“ Das sei nicht nur Betrug. Das sei auch für Umwelt und Klima blanker Irrsinn.

Eine Besuchergruppe ist zum See gelaufen, die Sonne ist herausgekommen. Sanft wiegt sich das Schilf, das Wasser kräuselt sich im Sommerwind, zwei Enten stecken den Kopf ins Wasser. Am Ufer im feinen Sand liegt Böhlers Boot. „Das ist kein Boot, das ist eine Gondel“, spottet der Kollege von der Insel Reichenau. Es ist ein kleines Boot, aber ausreichend für die ohnehin schrumpfende Beute. Böhler fängt seine Fische nach alttestamentarischem Vorbild. Er fährt raus, wirft seine Kiemennetze ins Wasser und holt sie etliche Stunden später wieder rein. Einzige Technik ist der Außenborder. Böhler besitzt weder Handy noch Unterwasserdrohne noch sonstiges Gerät zum Orten der Fische. Dafür hat er Erfahrung und Leidenschaft für seinen Beruf, man könnte mit etwas Pathos von Liebe reden. Vier Gastronomiebetriebe hat er früher beliefert, jetzt nur noch einen: den Grünen Baum in Moos.

Dort regiert Patron Hubert Neidhart, noch so ein Bodenseeverrückter, der jeden Fisch mit Vornamen kennt. Neidhart, Mitglied der Köchevereinigung von Slow Food und engagiert bis in die grauen Haarspitzen, ist einer der wenigen, der den Fischern auch die Weißfische abkauft, jene unbeliebten grätenreichen Flossentiere. Man muss mit diesen Fischen in der Küche umgehen können. Neidhart kann es. Er kocht Fischklößchen, Fischcremes und seine berühmte Fischsuppe nur aus Weißfischen. Jetzt steht das Süppchen vor uns und attackiert den Gaumen mit markanter Schärfe. Es wird begleitet von klassischer Knoblauchcreme und angerösteten Weißbrotcroutons. Und es macht mit dem intensiv feinen Fischgeschmack seinem Ruf alle Ehre. Die Gäste löffeln im Takt, Neidhart strahlt und zippelt an seiner Baskenmütze.

Immerhin ein Hecht: In den Netzen bleibt immer weniger hängen Foto: Gian Ehrenzeller/Keystone/picture alliance

Weißfische als Ersatz fürs Felchen? Die Antwort liefert das Preisschild. Für das Kilo Weißfische werden von der Gastronomie nur 2,50 Euro bezahlt, für Blaufelchen sind es 20 bis 25 Euro. Der Grüne Baum hat auch Karpfen und vor allem Welse im Angebot, die hier bis zu 20 Kilo auf die Waage bringen. Festes Fleisch, gut gebraten, eine wohlschmeckende Alternative zum Flugzander aus Osteuropa. Neidhart will dem Bodensee unbedingt die Treue halten und keine anonymen Importfische braten. Er unterstützt die Initiative der Schutzgemeinschaft Bodenseefisch. Die will künftig echten Seefisch als original Bodensee-Wildfang deklarieren und so von den meist in Aquakultur aufgezogenen Importfischen absetzen. Gute Idee. Noch ist aber unklar, ob die Initiative bei den Fischern genügend Unterstützung findet. Viele haben resigniert, sehen das Ende ihres beruflichen Wegs vor sich.

Es droht die Fischfarm

Die Alternative rückt immer näher, am Horizont droht die Fischfarm. Werden die Bodenseefische bald in den Netzkäfigen der Aquakultur schwimmen? Zuchtfische brauchen kein Plankton im Wasser, ihnen ist auch die Erdüberhitzung egal. Sie werden gefüttert wie Schweine und Hühner. Ihre Futterpellets enthalten Soja, Raps und Fischmehl. Das Blaufelchen ist fürs Netzgehege zwar ungeeignet, aber das Sandfelchen, heißt es, habe sich in Finnland bewährt. Die Pläne für 12 Netzgehege an zwei Standorten liegen schon in den Schubladen.

Die Befürworter haben im Jahr 2017 eine Genossenschaft gegründet, die Fischereiforschungsstelle Langenargen hat eine Studie vorgelegt. Flächenbedarf und „Einbringtiefe“ der Netzkäfige sowie der Fischertrag von bis zu 600 Tonnen – alles ist berechnet. Aber noch sind die Netzkäfige am Bodensee verboten.

Für den Fischer Böhler wären sie die „absolute Katastrophe“. Seine Kollegin, Berufsfischerin Elke Dilger, hat die Argumente gegen die Zuchtfische zusammengestellt. Aquakultur, sagt sie, funktioniere nicht ohne Chemie und Arzneimitteleinsatz. Die Krankheiten der Zuchtfische würden auf die Wildpopulationen übertragen, Futtermittelreste und Exkremente würden das Wasser verunreinigen. Und wo bleibe die Qualität des natürlichen Nahrungsmittels Fisch, wo bleibe das Tierwohl? Zudem seien die Zuchtfische genetisch degeneriert und könnten bei Fluchten ihr Genmaterial in die Wildbestände einbringen. Die Fischer am See sind ohne Ausnahme gegen das Fischfarming, ebenso mehr als 30 Umwelt-, Naturschutz- und Anglervereine. Dass die Wildfänge dann als Premiumprodukt weiterverkauft werden könnten, überzeugt niemanden.

Es ist spät geworden. Der beliebteste See der Deutschen schimmert silbern und ruhig im Abendlicht. Wilhelm Böhler ist rausgetuckert und hat sein Netz ausgeworfen. Morgen früh um 4.30 Uhr wird er es einholen. In aller Stille. Und ganz archaisch. Nur der Fischer in seinem Boot, das Netz und die zappelnde Beute. Die letzten Tage hatte Böhler sogar Glück mit den Felchen. Ob es so bleibt? Ein bisschen Hoffnung fährt immer noch mit in der Gondel.

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19 Kommentare

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  • Zitat: „Das sei nicht nur Betrug. Das sei auch für Umwelt und Klima blanker Irrsinn.“

    Ist es auch Wahnsinn, hat es doch Methode - oder so ähnlich. (Shakespeare, England, 1564 - 1616)

    Der aktuelle Irrsinn (Fisch-Import, Phosphat-„Entsorgung etc.) rechnet sich nun mal. Genau wie sich der Irrsinn davor gerechnet hat (Phosphat- und Schwermetall-Eintrag etc.) und wie sich der Irrsinn danach rechnen wird (Fischfarmen etc.).

    Solange große (und ständig größer werdende) Zahlen den meisten Menschen heiliger sind als alles andere, hat die Natur halt nichts zu lachen. Sie nennen das Fortschritt, habe ich mir sagen lassen.

    Aber gut, wer sich nur auf die eigene Leidenschaft (Fisch) kapriziert und alle anderen ungestört machen lässt (Politik), der muss halt auch mit 60 noch „Warum?“ fragen. Vor allem, wenn sich auch in seinem Kopf vor allem Zahlen überschlagen.

  • Das Wasserrecht ist das "schärfste Schwert" im Natur- und Umweltschutz. Um den Bodensee (internationales Gewässer mit 3 Anrainerstaaten) mit Phospaht aufzudüngen müssten von den finanziellen und technischen Herausforderungen abgesehen die Eu-Wasserrahmenrichtlinie außer Kraft gesetzt werden.



    Solange es die Eu gibt, ist das aber nahezu unmöglich.

    Worum geht es also?



    Meines Erachtens soll die Diskussion dahin gelenkt werden, dass es die "Wahl" gibt:



    -Entweder wir düngen jetzt den Bodensee auf, oder wir richten Fischfarmen ein.



    Die logische Konsequenz ist dann, dass es halt Fischfarmen im Bodensee gibt. (weil hey! Ihr wolltet ja nicht, dass wir den Tümpel aufdüngen!!!)

    Das lenkt davon ab, dass der Bodensee Gewässerökologisch auf einem guten Weg ist, und es eine dritte Option gibt:



    - Nicht aufdüngen, und keine Fischfarmen einrichten.

    (Und ja, das ist bitter, wenn man in einer traditionellen Fischerfamilie aufgewachsen ist und sich jetzt umorientieren muss. Und der Frust ist auf persönlicher Ebene absolut verständlich)

  • Die Moral ist ganz einfach: Tiere töten zahlt sich nicht aus. Es gibt auch andere Arten, sich zu ernähren.

  • Auch ein "klinisch sauberes", also klares und nährstoffarmes Gewässer, ist nicht frei von Biozid-Rückständen aus der Landwirtschaft, Schwermetallen und anderen Giften, die z.B. nach Regenfällen über die Zuflüsse von kontaminierten Oberflächen eingespült werden und sich im See wegen der verringerte Fließgeschwindigkeit ablagern und anreichern. Den Fischen mag diese Art von Gewässerbelastung vorerst nicht direkt etwas ausmachen, wohl aber den Kleinlebewesen, von denen sie sich ernähren. Eine besondere Bedeutung kommt hier dem allgemeinen massiven Rückgang der Insektenwelt zu. In der Tat filtern z.B. Mückenlarven Algen etc. zu ihrer Ernährung aus dem Wasser, von denen finden sie jedoch in tieferen Wasserschichten nach wie vor reichlich. Somit ist der Aspekt der generellen Vergiftung der Insektenwelt durch Glyphosat & Co. ein erheblich bedeutender Faktor.

    Mit anderen Worten: Auch ein See mit wieder schmutzigerem Wasser wird das alte Fischparadies nicht wieder herstellen.

  • Die Fischereilobby macht nur das, was ihre Aufgabe ist; ähnlich wie der Bauernverband (also Jammern, um weitermachen zu dürfen wie bisher). Ich habe die TAZ bisher nicht als Erfüllungsgehilfen solcher Lobbyisten angesehen. Die Sicht eines Gewässerökologen wäre da auf jeden Fall zu erwähnen gewesen.

    • @Axel Donning:

      Ist wohl eher eine Sommerloch-Meldung: Schon vor 4 Jahren ist in der TAZ ein Artikel mit gleicher Stoßrichtung erschienen.

      taz.de/Zu-wenige-F...Bodensee/!5363935/

      Im Grunde geht es den Lobbyisten längerfristig sehr wohl darum, den Weg für Aquakulturen frei zu machen. Die Herabsetzung der hohen Umweltstandards im Einzugsbereich des Sees wäre damit nur ein Nebeneffekt, welcher der Wirtschaft grundsätzlich willkommen wäre.

      Was die Fischereilobbyisten auch verschweigen: Vor der großen Welle der Phosphat-Überdüngung (ging einher mit dem Aufkommen von Waschmitteln) gab es im Bodensee noch viel mehr Fisch- und speziell Felchenarten, die aber alle mit der Phosphat-Überdüngung des Sees nicht klarkamen und längst ausgestorben sind. Nur die fischereifreundlichen oberflächenlebenden Arten konnten sich dagegen überproportional durchsetzen und begründeten erst den wirtschaftlichen Aufschwung der Bodenseefischerei, dem heute nachgetrauert wird. Durch das nun wieder saubere (aber keinesfalls unbelastete) Wasser des Sees pendelt sich lediglich tendenziell ein Zustand ein, wie er vor ca. 100 Jahren im See normal war, wird diesen aber aus Gründen anderer Umweltbelastungen nicht mehr erreichen. Auch die jüngsten Klimaeinflüsse spielen eine Rolle: Das Wassertemperatur in den oberen Schichten ist deutlich gestiegen, das bekommt den dort üblichwerweise lebenden Fischen und Kleinstlebewesen gar nicht gut und sie sind nicht auf ein Leben in den tieferen, kühleren Wasserschichten angepasst. Die Bewohner dieser tieferen Schichten jedoch sind wegen der dort nach wie vor hohen Belastungen aus hundert Jahren Eutropierung ausgestorben, bzw. dort ist nach wie vor kein Leben möglich.

      Sollten nun durch wieder mehr Phosphat im Wasser die Oberflächenfische gefördert werden, verschlimmert sich der Zustand in den tieferen Wasserschichten weiterhin und führt natürlich auch zu erhöhter Belastung ab dem Ausfluss des Sees bis zum Delta von Waal und Rijn.

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Ohne Überdüngung der Welt, sprich Ammoniak-Synthese, wären wir drei Milliarden weniger.

  • Wenn man sich mit Gewässerbiologie so schlecht auskennt, wie offenbar der Autor, sollte man besser vorher den Rat von unabhängigen Fachleuten einholen.



    Die Einschätzung interessengeleiteter Berufsfischer kann man dann entsprechend kennzeichnen und eigenen Rechercheergebnissen gegenüberstellen.



    Angesichts der desaströsen Gewässsersituation in Deutschland von einem „ klinisch” sauberen Gewässer zu fabulieren, das durch ( unzureichende) Umweltschutzmaßnahmen und natürliche Freß“feinde“ wie den verhassten Kormoran zerstört wird, ist schon ein starkes Stück Journalismus. Hätte ich allerdings in der TAZ nicht erwartet.

  • Mit leider stark steigender Tendenz werden leider überall in Deutschland vormalige Naturgewässer an Angelvereine verpachtet und von diesen binnen kürzester Zeit zu Fischmastkloaken umfunktioniert. Jahrzehnte hat es gedauert, die Folgen von Industrie und unzureichender Klärung von Haushaltsabwässern zu beseitigen, schon werden die sauberen Gewässer wieder leichtfertig aufgegeben um klamme kommunale Kassen zu füllen oder vermeintliche Instandhgaltungsaufgaben an vermeintliche Naturfreunde abgeben zu können.

    In der Schweiz ist der Besatz mit standortfremden Fischarten und auch die Aufzucht der Fischbrut auchtochthoner Arten in Labors unter Umgehung von Evolutions- und Selektionsbedingungen längst verboten.

    Das Problem der Bodenseefischer bzw. des Fischbestandes ist ungleich komplizierter als von Lobbyisten kolportiert und hängt mit dem empfindlichen natürlichen Gleichgewicht des Sees und der Zuflüsse zusammen.

    Nährstoffe allein, also Überdüngung bringen noch lange nicht den Fischbestand früherer Jahre zurück, sondern haben den See schon mehrmals an den Rand des Umkippens gebracht. Noch heute bestehen viele Meter der tieferen Schichten des Sees aus quasi biologisch totem Faulschlamm.

    Die Kleinlebenwesen, die auch die Nahrung der Fische darstellen, benötigen in entscheidenden Entwicklungsphasen Uferregionen mit natürlicher Vegetation und natürliche Flussläufe mit Flachwasserzonen, Sand- und Kiesbänken.

    Zum Glück ist die Grundstimmung am Bodensee gegen Fischmastanlagen:

    baden-wuerttemberg.../januar/23728.html

  • Faszinierend! Anscheinend kann man die Natur und ihr natürliches Gleichgewicht nicht wieder herstellen, auch wenn es noch so gut gemeint war.

  • Ein nährstoffarmer Bodensee ist nicht der "Naturzustand", sondern Resultat der Regulierung des Rheins und seiner Zuflüsse. Die regelmäßigen Hochwasser-"Katastrophen" fehlen, welche große Mengen an Nährstoffen in den Bodensee schwemmen würden.

    • @weaver:

      Sorry, aber dafür hätte ich gern mal einen Beleg. Zudem würde ich sagen, dass gerade die "Regulierung" zu Hochwasserkatastrophen geführt hat - es sei denn, Sie schließen die Schaffung von Retentionsräumen in der Flussaue mit ein. Zu dieser gab es allerdings kaum eine Alternative.

      • @Axel Donning:

        Früher gab es im Oberlauf und bei den Zuflüssen keine Regulierung, also änderten die Flüsse bei Hochwassern ihren Lauf durch die bewaldeten und belebten Aulandschaften und spülten viel Biomasse in den See.

        • @FancyBeard:

          Ihre Aussage passt allerdings keineswegs zur Geschichte des Sees, welcher laut Aussage des UBA erst in den 50er und 60er Jahren stark eutrophierte. Mir ist nicht bekannt, dass die "Flussregulierung" da zurückgenommen worden wäre. Abgesehen davon, dass Ihre Aussage jeder Logik spottet. Hier mal ein Auszug der Seite des UBA, denen man nicht vorwerfen kann, schlecht zu recherchieren: "Der Bodensee (Baden-Württemberg/Bayern) ist der wohl am besten erforschte See Europas. Seine frühzeitige Eutrophierung in den 50er bis 80er Jahren konnte durch wohlorganisierte internationale Bemühungen gestoppt und in Teilen rückgängig gemacht werden. Dank der relativ geringen Austauschzeit verminderten sich die Phosphorkonzentrationen recht schnell und kontinuierlich, die Reaktion des Phytoplanktons bestand jedoch zunächst nur in einer Umstrukturierung der Zönose bei gleichbleibender Primärproduktion. Erst etwa zehn Jahre nach Verringerung der Phosphorkonzentration, ab 1990, wurde eine eindeutige Verminderung der Primärpoduktion beobachtet. Die Maßnahmen zur Reduzierung der P-Frachten konzentrierten sich zunächst auf die Verbesserung der Abwasserbehandlung. Diese Nährstoffquelle ist inzwischen weitestgehend ausgeschaltet, weitere Bemühungen konzentrieren sich jetzt auf die Reduzierung der diffusen Quellen."

  • 9G
    92290 (Profil gelöscht)

    Völlig absurd.



    Ich kann irgendwie kein Mitleid mit Fischern haben.



    Wieso nicht einfach die Fische in Ruhe lassen und was anderes essen?



    Ist ja nicht so, dass wir in Not wären. Es gibt Nahrung im Überfluss und überall wird gejammert, dass Fischbestände schrumpfen. Wenn es eh schon wenige sind, muss man die übrigen dann noch auffuttern. Warum? Weil es Tradition ist?

    • @92290 (Profil gelöscht):

      "Wieso nicht einfach die Fische in Ruhe lassen und was anderes essen?" Erinnert mich an den Satz, den man Marie-Antoinette in den Mund gelegt hat: Wenn die Menschen kein Brot haben, warum essen sie dann keinen Kuchen?



      Aber ernsthaft: Jetzt wird der Fisch aus den überfischten Meeren bzw. aus fragwürdigen Fischmastbetrieben sonst wo her importiert. Damit sollten wir wohl zu erst aufhören und uns auf weniger Masse aus heimischen Beständen konzentrieren.

  • Schon im 19. Jahrhundert wurden am Bodensee die ersten Felchen besetzt?



    Aha, also sind die dort nicht heimisch? Eine eingeführte Art? Die Fische werden weniger, weil das Wasser zu sauber ist? Der See drohte zu kippen, weil Pharma-, Landwirtschafts & andere Abwässer den "fast geschafft hätten"...?



    Alles ein wenig widersprüchlich wenn man Fakten & Daten so nebeneinander stellt!



    Aquakultur ist wohl NICHT die Lösung, da stimme ich den Fischern zu, aber vielleicht verzichten wir mal "komplett" aus diese Fische, wenn die keinen natürlichen Lebensraum im See finden?



    Nachdenklich Sikasuu

    • @Sikasuu:

      Den Artikel ganz gelesen?

      Besetzen heißt nicht zwingend, dass die Fisch von woanders hergekarrt wurden.

      Wie auch im Artikel steht, wurden sie lediglich sicher vor Raubtieren aufgezogen und dann im ganzen See besetzt.

      Und das andere ist auch nicht widersprüchlich. Phosphat kommt auch natürlich vor. Ein Problem ist es, wenn es zu viel gibt (weil dann das Wasser kippt), wie damals, oder wie jetzt zu wenig, weil es dann als Nährstoff fehlt, entsprechend weniger Algen vorkommen, womit auch die Viecher nichts zu fressen haben.

      Die Phosphatmenge wurde durch die Reinigung auf unter die natürliche Menge gesenkt, das ist das Problem.