Bob Dylan spielte in Berlin: Der Sound der Sirene
How does it feel? Elektrisierend. Bob Dylan spielte am Donnerstagabend in Berlin ein Set mit richtig alten und neueren Stücken – und es rockte.
Die Mercedes Benz Arena zu Berlin ist eine Kathedrale, wenn auch keine besonders schöne oder gar erhabene. Das Personal ist sehr freundlich und zugewandt. Vor der Tür zum Saal hat der Konzern ein Auto geparkt. Darauf steht zu lesen: „Für alles was kommt. Die neue B-Klasse.“
Was immer dir geschehen mag, kleiner Mensch, Mercedes Benz wird mit dir durch die Stürme des Lebens fahren, soll das wohl heißen. Wer’s glaubt, möge selig werden. An der Decke des Saals hängt ein Mercedesstern. Zu groß und zu hoch, um ihn zu klauen.
Hier also versammelt sich die Gemeinde des Bob Dylan alias Robert Allen Zimmerman alias Shabtai Zisl ben Avraham. Sie sprechen Deutsch, Englisch, Polnisch, Hebräisch und andere Sprachen. Viele halten den Barden für einen Propheten, er aber hat das immer von sich gewiesen: „In a soldier’s stance, I aimed my hand / At the mongrel dogs who teach / Fearing not that I’d become my enemy / In the instant that I preach.“
Die Kongregation nimmt auf Stühlen Platz und respektiert das erste und einzige Gebot des Abends, von der Nutzung von Smartphones und anderer elektronischer Geräte Abstand zu nehmen. In der Kirche und im Bethaus macht man keine Fotos und checkt nicht seine E-Mails, recht so.
Zwei Männer mit Hut, zwei ohne
Also herrscht eine kontemplative Atmosphäre, als Dylan mit seiner Band die Bühne betritt. Sie besteht aus vier Männern. Zwei mit Hut, zwei ohne. Sie spielen Schlagzeug, Bass, Gitarre und Steel Guitar.
Dylan steht meist vor seinem weißen Flügel, in schwarzen Hosen, schwarzem Hemd, weißer Schleife und weißem Kittel. Sein Ornat ist mit silbernen Applikationen besetzt, die im warmen Licht einiger Film-Scheinwerfer sachte vor sich hin funkeln. Dylan war nie ein großer Sänger und er ist auch kein großer Pianist. Er hämmert wild in die Tasten, vergreift sich auch mal, aber wen soll das stören.
Da freut sich der Agnostiker
Es ist ein elektrisches Set, das in der zweiten Hälfte mit „Pay in Blood“ richtig Fahrt aufnimmt: „The more I take the more I give / The more I die the more I live“, heißt es da. Und in zumindest einer Fassung des Songs heißt es auch: „I’m sworn to uphold the laws of God“. Gleich danach kommt „Like a Rolling Stone“ mit seiner Chorusline, die jeden Agnostiker anspricht: „How does it feel, ah how does it feel? / To be on your own, with no direction home.“
Als es für Robert Zimmerman an der Zeit war, Bar Mitzwah zu werden, gab es keinen Rabbi in town. Da erschien plötzlich einer unter merkwürdigen Umständen und blieb ein Jahr. Man brachte ihn in einem Zimmer über dem lokalen Rock-’n’-Roll-Café unter. Jeden Tag nach dem Abendessen ging Bob hin, lernte eine Stunde seine Torastelle singen und begab sich sodann nach unten, um zu tanzen. Mit seiner ersten Highschoolband spielte er Songs von Little Richard und Elvis Presley.
Die Harmonika macht den lautesten Sound
Heute Abend geben er und seine Männer Klassiker aus den Sechzigern, aber auch einige mächtig rollende Stücke aus dem 21. Jahrhundert. Vor jedem Song stimmen sie sich gemeinsam ein, eine leise Musik schwebt für eine Weile im Raum, dann geben Bass und Drums den Takt vor und es geht los.
Die Klassiker sind oft anders arrangiert als auf den alten Aufnahmen, und es dauert einen Moment, bis die Gemeinde sie erkennt. Dann sind beglückte „Whooos!“ zu hören. Den stärksten Zwischenapplaus bekommt der Meister, wenn er seine sirenenhafte Mundharmonika bläst. Es ist der lauteste Sound des Abends.
Dylans Gospel ist der Rock ’n’ Roll
Dylan hat in seinen Liedern immer wieder über die existenziellen Fragen des Menschseins überhaupt und in dieser Zeit nachgedacht, über die Liebe, den Tod, die Einsamkeit, die Unbehaustheit und über die Notwendigkeit, Geld zu verdienen. Wie in „Thunder on the Mountain“ aus dem Jahr 2006, in dem Dylan Alicia Keys preist und am Ende singt: „Gonna make a lot of money, gonna go up north / I’ll plant and I’ll harvest what the earth brings forth / The hammer’s on the table, the pitchfork’s on the shelf / For the love of God, you ought to take pity on yourself.“
Fast zwei Stunden rockt Dylan das Haus und es scheint ihm Spaß zu machen. Am Ende versucht er sich gar an einigen unsicheren Tanzschritten. Am 24. Mai wird er 78. Kein einziges Wort hat der Prophet zwischen den Songs gesprochen. Wozu auch? Bob Dylans Gospel ist der Rock ’n’ Roll.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links