Blutbad in Moschee in Nigeria: „Eine Reise durch die Hölle“
Vermutlich mehrere hundert Menschen sterben bei einer Serie von Anschlägen auf eine der wichtigsten Moscheen Nigerias. Das Land steht unter Schock.
BERLIN taz | Nigeria steht unter Schock, nachdem einer der schwersten Terrorakte der Geschichte des Landes vermutlich mehrere hundert Tote gefordert hat. Medienberichten zufolge fielen am Freitagnachmittag über 200 Menschen einer koordinierten Serie von drei Bombenanschlägen, flankiert von gezieltem Gewehrfeuer, mitten in einer der wichtigsten Moscheen des Vielvölkerstaates zum Opfer.
Bilder nach der Anschlagsserie aus der zentralen Moschee von Kano, der größten Stadt im muslimisch geprägten Norden Nigerias, zeigen regelrechte Teppiche verkohlter Leichen. Die normalerweise so lebendigen sozialen Netzwerke des Landes zeigen sich angesichts des Ausmaßes der Brutalität wie erstarrt.
Kurz vor den Freitagsgebeten, so berichteten Augenzeugen, explodierten zwei Sprengsätze kurz nacheinander in dem Gotteshaus, ein dritter vor dem Eingang. Im Chaos fielen zahlreiche Schüsse, die offenbar gezielt auf die Gläubigen abgegeben wurden. „Ich sah leblose Körper, als ich die Flucht ergriff“, berichtete gegenüber der Tageszeitung Vanguard Imam Inuwa, ein alter Geistlicher aus einem Außenviertel von Kano, der sich zum ersten Mal seit zwei Jahren in die zentrale Moschee begeben hatte.
„Blinde Bettler rannten um ihr Leben. Alte und Junge wurden totgetrampelt. Menschen weinten, als sei das Ende der Welt gekommen. Gott lebt, aber was ich gesehen habe, war eine Reise durch die Hölle.“ Die Tageszeitung Guardian zitierte Augenzeugen, wonach Bewaffnete eine halbe Stunde lang gezielt auf die Fliehenden schossen und zahlreiche töteten, bevor sie in einem Jeep die Flucht ergriffen.
Die offizielle Todeszahl wurde zunächst mit 35, dann mit über 80 und schließlich am Samstagabend mit rund 120 angegeben, aber das gilt als stark untertrieben. Ein Mitarbeiter einer Leichenhalle eines Krankenhauses sagte der Tageszeitung This Day, man habe ihn angewiesen, mit dem Zählen der Toten aufzuhören, als er bei 105 angekommen war – und das sei lediglich in diesem einen Krankenhaus gewesen.
Kritik an der Regierung
Die zentrale Moschee von Kano liegt neben dem Palast des Emirs der Acht-Millionen-Stadt, zugleich der zweithöchstrangige muslimische Geistliche des Landes. Der Emir von Kano ist seit einigen Monaten Nigerias sehr respektierter ehemaliger Zentralbankchef Lamido Sanusi, den die Regierung entlassen hatte, nachdem er auf das spurlose Verschwinden von Öleinnahmen in Milliardenhöhe aufmerksam gemacht hatte.
Sanusi, der jetzt als Emir Mohammed Sanusi II regiert, hatte vor wenigen Tagen die Bevölkerung in Kano aufgerufen, sich gegen die islamistische Untergrundarmee Boko Haram zu stellen, die weite Gebiete des nigerianischen Nordostens in Bürgerkriegszonen verwandelt hat. Kano liegt außerhalb des Kernlandes von Boko Haram.
Am Samstag besuchte der Emir die Moschee direkt nach seiner Rückkehr aus Saudi-Arabien und sagte: „Wir werden uns nicht einschüchtern lassen, unsere Religion aufzugeben, was das Ziel der Angreifer ist.“ Auch Nigerias höchstrangiger muslimischer Geistlicher, der Sultan von Sokoto, sagte in der Hauptstatd Abuja: „Wenn die Täter Muslime sind, tun sie nicht, was der Islam lehrt. Die Zeit ist gekommen für die verschiedenen muslimischen Strömungen im Land, sich zusammenzuschließen, um den Aufstand zu beenden.“ Solche klare Worte zeugen davon, dass das traditionelle nordnigerianische Establishment sich jetzt an vorderster Front im Kampf gegen Boko Haram sieht.
Schon seit Monaten werfen die Politiker des Nordens der Regierung Nigerias vor, nicht entschlossen genug gegen Boko Haram vorzugehen. Nigerias Präsident Goodluck Jonathan, ein Christ aus dem Süden, der sich im Februar zur Wiederwahl stellt, muss darauf jetzt reagieren. Am Samstag erklärte er, er habe die Sicherheitsbehörden angewiesen, auf der Suche nach den Mördern „keinen Stein auf dem anderen zu lassen.“ Nigerianer sollten „in diesem Moment der schweren Prüfung nicht verzweifeln, sondern sich gegen den gemeinsamen Feind vereinen“.
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