Blühwiesentrend: Über Schmetterlingsmörder
Seit einiger Zeit verwandeln Gärtner Grünflächen in opulente Blumenwiesen. Das sieht schön aus, aber ist es auch gut für die Insektenwelt?
H ier entsteht ein Schmetterlingsparadies“ verkündet so manches bunt bemalte Holzschild und dann wird eine weitere brennesselüberwucherte Verkehrsinsel, ein efeuberankter Hinterhof, ein verwahrloster Vorgarten zu einer Blühfläche voller Sommerblumen. Schöner mag es aussehen, freuen kann ich mich darüber nicht, genauso wenig die Schmetterlinge.
Erschreckend wenige flattern über die stetig mehr werdenden Blühflächen. „Wann kommen denn nun die Schmetterlinge?“, werde ich deshalb oft gefragt. Artenvielfalt ist mein Beruf und das wissen die Leute. Innerlich seufze ich über die biologische Nichtbildung meiner Mitmenschen. Allerdings nur an schlechten Tagen. Artenvielfalt ist auch meine Mission. Also freue ich mich über die Frage. Wirklich. Und erkläre motiviert und rund um die Uhr, wie alles mit allem zusammenhängt:
Dass Schmetterlinge erst mal Raupen sind und dass bei Raupen keine Blüten auf der Speisekarte stehen. Sondern Grünzeug, vielfach in der Menschenwelt als „Unkraut“ verschrienes Grünzeug: Die gute alte Brennnessel. Oder: Disteln. Die sind nicht nur wichtig für Distelfalter, die diese Pflanze sogar im Namen tragen. Brombeeren wiederum ernähren kleine Nachtpfauenaugen, wilde Möhren Schwalbenschwänze, verschiedene Gräser sind ebenfalls beliebt.
Um es abzukürzen: jedes Gewächs, vom Moos bis zum Farn, hat spezielle Raupen, die sich davon und manchmal auch von nichts anderem ernähren. Also vielleicht hätte die Raupe gerne genau das, was in der Gestrüppecke wuchs, bevor die zur hübschen Blühfläche wurde.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Sauer über den Hype
Richtig sauer werde ich, wenn der Blühwiesentrend gehyped wird von Menschen, die ihre biologische Bildung nicht aus Raupe Nimmersatt haben. Sondern deren Beruf „Garten“ ist. Die es also besser wissen müssten! Gartenmagazine zum Beispiel, die launig erklären, wie ein Schandfleck – Brennnessel, Efeu, Hinterhof, Sie wissen schon – ganz einfach in eine „schöne“ Blühfläche voller Mohn, Malven und Ringelblumen verwandelt wird.
Dabei ist nicht nur das Säen von Blühwiesen ein Problem, sondern auch das Abmähen von verblühtem Grün. Denn Schmetterlinge sind nicht nur Raupen. Oder Falter. Sondern davor auch noch Eier. Und dazwischen als Puppen völlig bewegungsunfähig wochen- bis monatelang angepappt an all das verblühte Gestrüpp, zu dem eine Blühfläche im Spätsommer eben wird. Wird all das gemäht und gehäckselt, landet Raupe Nimmersatt auf dem Kompost, bevor sie sich in einen wunderschönen Schmetterling verwandeln konnte.
Auch hier spielen die Berufsgärtner:innen ein falsches Spiel: Da sind die „Gardenfluencer“, die vor laufendem Smartphone ihre „hässlich verblühte“ Blühfläche jäten und mit herbstlichen Stauden aus dem Gartenshoppingcenter wieder social-media-tauglich aufhübschen und dann auch noch Rabattcodes dafür verteilen. Oder Mitarbeitende des Grünflächenamts, die nach althergebrachtem Dienstplan mit mähdrescherähnlichen Geräten übers blühende Grün brettern.
Sauer über den Saatguthersteller
Sauer machen mich auch Saatguthersteller, die ihre Angebotsmischungen voller Mohn und Ringelblumen – die mit einer echten wilden Blumenwiese so wenig zu tun haben wie ein Fruchtquetschie mit einer Handvoll frisch gepflückter Brombeeren – trotzdem als Schmetterlingswiese bewerben.
Echte wilde Blumenwiesen sind voller Schmetterlinge, ja. Aber diese Schmetterlingswiesen sind optisch wenig opulent bestückt mit Blumenblüten, mehr mit unscheinbaren Kräutern und Gräsern, wie Klee, Giersch, Löwenzahn, Allerweltsarten, die Schmetterlingsraupen zum Fressen gern haben. Aber das ist ja „Unkraut“, dafür würde niemand Geld ausgeben.
Alles Öko-Psychopath*innen mit der Handlungsprämisse: „Ordnung muss sein“ und „schön“ soll es aussehen. Außerdem, das haben wir schon immer so gemacht – und Geld verdienen muss man ja auch. Schmetterlinge sind denen egal.
So, und jetzt rege ich mich wieder ab. Ich bin nicht nur Ökologin, sondern auch Pazifistin, und keine Öko-Terroristin.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!