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Blogger über Paragraf 175 im Bundestag„CDU und CSU, das sind Täterparteien“

Für längst überfällig hält der Berliner Blogger Johannes Kram die jetzt vom Bundestag beschlossene Rehabilitierung kriminalisierter schwuler Männer.

Egal ob verheiratet (im Bild eine Trauung) oder nicht, egal ob früher, heute oder morgen: Schwulsein war nie ein Verbrechen Foto: dpa
Jan Feddersen
Interview von Jan Feddersen

taz: Herr Kram, am Freitag beschloss der Bundestag die Rehabilitierung der bundesdeutschen Opfer des §175. War das ein guter Tag für schwule Männer?

Johannes Kram: Ja, und nicht nur für die noch lebenden Opfer, die nun endlich keine Kriminellen mehr sind. Und für die Toten ist zu hoffen, dass ihr Ansehen von möglichst viel von dem Schmutz befreit werden kann, den die Gesellschaft auf sie geworfen hat. Auch wenn sich die vielen zerstörten Leben nicht mehr heilen lassen, so hat doch die Zerstörung jetzt endlich ein Ende.

Weshalb war diese Rehabilitierung überhaupt so bedeutsam?

Ich glaube, wir alle können nur erahnen, wie sehr dieses Konstrukt vom „Hunderfünfundsiebziger“, dieses kriminelle unscheinbare Wesen, die Gesellschaft vergiftet hat und es auch heute noch tut. Jetzt endlich kann ehrliche Aufarbeitung auf Augenhöhe beginnen: politisch, gesellschaftlich, vor allem aber in den Familien.

Wie erklären Sie sich die, in allerletzter Gesetzesvorbereitungsminute, Differenz in den Altersgrenzen – für Schwule erst ab 16 Jahren, für Heteros 14 Jahre?

Die Konservativen können ihren Konservatismus nicht ohne Diskriminierung definieren. Der „Markenkern“ der Union lebt von der Abwertung anderer, ohne das Bild der letztlich doch verkommenen Homos fehlt es ihnen an Identität. Ich hätte allerdings nicht gedacht, dass sie soweit gehen, den Opfern noch an dem Tag ins Gesicht zu spucken, an denen es doch eigentlich darum gegangen wäre, sie in Würde endlich Genugtuung erfahren zu lassen. Andererseits zeigt der Vorgang auch, dass die Opfer des 175 vor allem die Opfer der Union sind. CDU und CSU, das sind Täterparteien. Und sie wollen es offensichtlich auch bleiben.

Im Interview: Johannes Kram

50 Jahre, ist Autor, Blogger und Marketingstratege. Sein Nollendorfblog („Ich hab ja nichts gegen Schwule, aber) erhielt 2016 eine Nominierung für den Grimme Online Award. Er ist Initiator des „Waldschlösschen-Appells“ gegen Homophobie in den Medien und Kolumnist beim medien- (und vor allem auch BILD-) kritischen Watchblog BILDblog, wo er die Rolle von Minderheiten in Öffentlichkeit und Medien hinterfragt. Krams Einpersonenstück „Seite Eins“ über Populismus und Medienmacht wurde seit 2014 in bisher sechs Inszenierungen (u.a. mit Ingolf Lück und Boris Aljinovic) produziert und war bisher in über 30 deutschen Städten zu sehen.

War es wirklich nur die Union, die selbst in der Stunde der Rehabilitierung noch ein diskriminierendes Element ins Gesetz einpflegt?

Dass die SPD das so gewähren ließ, macht fassungslos. Aber dieses vermeintliche Detail zeigt auch, wie wenig Deutschland das liberale Land ist, das es so gerne glaubt zu sein. Wenn es hart auf hart kommt, hat der Chauvinismus die besseren Karten.

Ist die SPD überhaupt für bürgerrechtliche Anliegen von LGBTI*-Menschen wählbar?

Die SPD versteht nicht, dass es sich hier nicht um ein Minderheitenthema handelt. Gerechtigkeit ist etwas, wovon alle profitieren, wieso muss man das eigentlich ausgerechnet der SPD erklären? Dieses gönnerhafte „Wir tun was für Euch“ ist verstörend. Tut endlich was für Euch! Zum Beispiel in dem Ihr nicht länger verhindert, dass die Mehrheit im Bundestag für die „Ehe für alle“ diese auch beschließen darf! Wählbar, ohne das zu tun? Sicher nicht.

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4 Kommentare

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  • "Die Konservativen können ihren Konservatismus nicht ohne Diskriminierung definieren. Der „Markenkern“ der Union lebt von der Abwertung anderer, ohne das Bild der letztlich doch verkommenen Homos fehlt es ihnen an Identität."

     

    Danke an Johannes Kram für die Kenntlichmachung des hiesigen Konservativismus.

     

    Solange der Gleichheitsgrundsatz des GG von (Mitte-)Rechtsparteien weiterhin mit Füßen getreten wird, mir von den Verbotsparteien CDU/CSU/AfD untersagt wird den Menschen zu heiraten, den ich liebe und somit ins Allerprivateste hineinregiert wird, solange kann die Union zurecht als homophobe Diskrimierungspartei bezeichnet werden, unwählbar für alle Zeiten.

  • Rechtsstaatsverhältnisse

     

    Bizarrerweise wird bei diesem Thema, anders als bei Justizunrecht in Nachkriegsdeutschland üblich, keinerlei rechtshistorische, rechtstheoretische und komparatistische Betrachtung angestellt und die diesbezügliche Rechtsprechung in der DDR mit keinem Wort erwähnt. Dabei wurde dort bekanntlich mit dem Strafrechtsänderungsgesetz von 1957 der alte § 175 de facto, wenn auch noch nicht de jure, außer Kraft gesetzt und praktisch nicht mehr verfolgt, sofern es sich um „homosexuelle Handlungen“ unter Volljährigen handelte. Dem gegenüber wurden in der Bonner Republik seit diesem Zeitpunkt fast 40 000 Urteile nach §§ 175 und 175a rechtskräftig, davon immerhin noch ça 500 zwischen 1989 und 1994, ehe es endlich und erst unter dem Zwang der staatlichen Einheit ähnlich wie beim Abtreibungsrecht zu einer Angleichung an die zumindest in diesen Rechtsfeldern liberaleren Rechtsverhältnisse im Osten kam. Bis dahin herrschten nach dem Einigungsvertrag im vereinten Deutschland für Schwule zwei diametrale Rechtspraktiken, in diesem Falle deutlich zuungunsten der alten Bundesrepublik. Die (längst überfällige) Rehabilitierung der nach § 175 Verurteilten ändert andererseits nichts an der Evidenz, daß sie Opfer geltenden Rechts und nicht etwa rechtsstaatswidriger Justizwillkür wurden. Was heute endlich Unrecht ist, war bis 1994 integral in den Rechtsstaat eingewoben. Um das Filbinger-Axiom umzukehren: „Was heute Unrecht ist, war es auch schon gestern.“ Und zwar ganz legal.

  • „CDU und CSU, das sind Täterparteien“ ist schon eine knackige Aussage. Aber wo Herr Kram recht hat, hat er auch recht.

    Ehescheidungen in der DDR verliefen anders als im Westen und die geschiedenen Ehefrauen wurden im Einigungsvertrag bezüglich der Rente übelst benachteiligt.

    Dies als weiteres Indiz, wie aktiv diese Partei ihr Weltbild als alternativlos vertritt.

    • @Arne M:

      Ermutigend ist in diesem zusammenhang eigentlich nur, dass:

      1. der gesellschaftliche Druck inzwischen so groß ist, dass auch die CDU/CSU sich bewegen muss und

      2. sich aktuell neue Parteien wie "Demokratie in Bewegung" konstituieren, die Vielfalt schon in den Grundwerten verankern.