Bleiberecht für integrierte Menschen in Hamburg: Auf Wohlwollen angewiesen
Hamburgs Senat lässt offen, ob er weiter Menschen abschieben lässt, die nach dem neuen Chancen-Bleiberecht eine Zukunft in Deutschland hätten.
Nur sind die kommenden Monate für die Betroffenen in Hamburg noch eine Nervenprobe. „Jede Nacht denke ich darüber nach, ob ich hier bleiben kann oder nicht“, schilderte zum Beispiel ein junger Syrer dem NDR seine Erfahrung mit dem Duldungsstatus, der vor sechs Jahren nach Deutschland kam. In Hamburg leben rund 7.500 Menschen, die geduldet sind und nicht wissen, ob sie abgeschoben werden.
Andere Bundesländer wie Bremen und Mecklenburg-Vorpommern haben längst mit Vorgriffsregelungen darauf hingewirkt, dass Ausweisungen von Menschen, die voraussichtlich ein Chancen-Bleiberecht erhalten, ausgesetzt werden. Länder wie Rheinland-Pfalz und Hessen gehen noch weiter. Dort erhalten Betroffene bis zur endgültigen Gesetzesänderung eine „Ermessensduldung“.
Es bestehe „erhebliches öffentliches Interesse“, bei diesen Personen bereits jetzt von Rückführungen abzusehen, heißt es zum Beispiel im Erlass des rheinland-pfälzischen Integrationsministeriums an dortige Ausländerbehörden. Angesichts der politischen Mehrheitsverhältnisse in Bundestag und Bundesrat sei mit „maßgeblichen Änderungen“ des Gesetzentwurfs nicht mehr zu rechnen, schreibt auch das hessische Innenministerium in seinem Erlass.
Verlässliche Zahlen gibt die Behörde nicht raus
Die Hamburger Linksfraktion hatte bereits im Januar auch den dortigen Senat zu so einem Schritt aufgefordert und war gescheitert. Seither wurden in Hamburg laut Innenbehörde in 2022 bis zum 30. Juni 123 Personen abgeschoben und 62 im Rahmen des Dublin Abkommens an andere EU-Länder „überstellt“.
Die Frage der taz, wie viele davon vom Chancen-Recht hätten profitieren können, war bis Redaktionsschluss nicht zu klären. Insgesamt seien zurzeit 7.585 Personen ausreisepflichtig, sagte ein Behördensprecher. Ob und wie viele davon straffällig wurden, sei nur durch „händische Aktenauswertung“ feststellbar, das sei zu aufwendig.
Gefragt, warum nicht auch der rot-grüne Senat dem Beispiel Hessens folge, antwortet er sowohl auf Anfragen der Linken als auch der taz mit einem Textbaustein, der etwas verwirrend ist. Die Hamburger Ausländerabteilung prüfe regelmäßig, bei welchen Personen „absehbar“ nur eine begrenzte Zeit für die Vorbereitung der Rückführungsmaßnahmen zur Verfügung stehe. Im Rahmen dessen würden Fälle „depriorisiert“, bei denen nach den vorliegenden Erfahrungen eine Rückführung „nicht realisiert werden kann“.
Was das heißt? Der Grünen-Sprecher für Flucht und Migration, Michael Gwosdz, sagt, man sei sich in der rot-grünen Koalition einig, dass das Chancen-Aufenthaltsrecht wichtig und begrüßenswert sei. „Wir sind uns auch einig darin, dass es widersinnig wäre, Menschen, die vom Chancen-Aufenthaltsrecht profitieren werden, nun priorisiert kurz vor Inkrafttreten abzuschieben.“
Im Ermessen des Sachbearbeiters
Auch sein Kollege von der SPD, Sören Schumacher, sagt, das Chancen-Aufenthaltsrecht sei ein „wichtiger Neuanfang“ für die Asylpolitik. Die angekündigten Regelungen würden von der Behörde „bereits jetzt in den Blick genommen“. Zwar könne man dem Gesetzbeschluss des Bundestags nicht vorgreifen, dennoch pflege die Innenbehörde einen „sensiblen Umgang mit den entsprechenden Fällen“. Deshalb, so Schumacher, „bedarf es in Hamburg keines Erlasses“.
Das sieht Carola Ensslen, flüchtlingspolitische Sprecherin der Linksfraktion, anders. „Hamburg regelt hier eigentlich gar nichts“, sagt sie. „Der Senat sagt nur, dass auch schon mal rückpriorisiert werden kann. Das liegt aber völlig im Ermessen der Rückführungssachbearbeiter. Das finde ich extrem ärgerlich.“
Und natürlich gebe es auch in Hamburg die Möglichkeit von Weisungen an die Ausländerabteilung. Nur lasse der Senat sich hier eben nicht in die Karten gucken und nenne auch keine brauchbaren Daten. Ensslen sagt: „Wir wissen nicht, wer hier abgeschoben wird und wer noch abgeschoben werden soll.“ Auch wenn es nur noch ein halbes Jahr dauere, bis Faesers Gesetz greife, „für die Betroffenen ist diese Zeit der Unsicherheit dramatisch“.
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