Blackness-Album von Adrian Younge: Belehrung mit Ping
Der Multi-Instrumentalist Adrian Younge veröffentlicht mit „The American Negro“ ein tönendes Geschichtsbuch – mit Songs und Spoken-Word-Tracks.
Der Pressetext trägt dick auf. Dieses Werk kreiere eine neue Muttersprache der afroamerikanischen Bevölkerung. Es sei die Neuerfindung der „Black native tongues“ in Albumform – nichts weniger stelle das Album „The American Negro“ (TAN) von Adrian Younge dar.
Ambitioniert ist das Multimedia-Projekt auf alle Fälle, das der US-HipHop-Produzent Younge damit an den Start bringt. Dazu gehört auch ein bislang unveröffentlichter Dokumentarfilm namens „TAN“ (er soll demnächst bei Amazon Prime starten).
Zum anderen ein wöchentlich aktualisierter Podcast „Invisible Blackness“, bei dem Gäste wie Public-Enemy-Rapper Chuck D und Jazztrompeter Keyon Harrold Stellung nehmen zu Themen wie Rassismus und schwarzes Selbstbewusstsein. Und da ist das Album selbst. Sein Schwarz-Weiß-Cover ist eine Inszenierung von berühmten Fotografien Gelynchter, ein Verweis auf die Anfang des 20. Jahrhunderts verbreiteten rassistischen Postkartenmotive mit Ermordeten.
Younge, das Universalgenie
„TAN“ ist ein politisches Werk, fertiggestellt im Black-Lives-Matter-Sommer 2020, besteht es aus 14 Songs und zwölf Spoken-Word-Stücken, eingesprochen von Younge selbst. Adrian Younge, Jahrgang 1978, gehört schon seit den Neunzigern zur HipHop- und Soul-Szene von Los Angeles, blieb früher meist im Hintergrund. Er produzierte Rapper wie Kendrick Lamar und Ghostface Killah und traf dann Ali Shaheed Muhammad: 2016 gründete er zusammen mit dem DJ von A Tribe Called Quest das Label Jazz is Dead, sorgte etwa dafür, dass der Vibrafonist Roy Ayers in zeitgemäße Kontexte übersetzt wurde, zwischen Funk und analogem HipHop.
Adrian Younge: „The American Negro“ (JazzIsDead/!K7/Indigo)
Ein „Universalgenie“ sei Younge, behauptet der Waschzettel – da ist was dran. Der Künstler hat „The American Negro“ im Alleingang komponiert und produziert, Keyboards, Bass, Drums, Gitarren, Saxofone und weitere Instrumente eingespielt und für Orchester arrangiert. Das Soundbild ähnelt dem seines Bandprojekts The Midnight Hour: smoother Souljazz mit leicht angerauten Breakbeats. Männerchöre, die nach 70er-Jahre-Soul klingen, pluckernde Harfen, cineastisch inszenierte Streicher.
Man fühlt sich manchmal an die orchestrale Musik von David Axelrod erinnert, im HipHop vielgesampelt. Younge-Sound klingt homogen, aber auch ereignisarm. Herausragend sind zwei Stücke: Das triumphale Instrumental „Symphony for Sahara“ und die Soul-Hymne „Light on the Horizon“ mit den schmerzvoll croonenden Vocals von Sam Dew.
Zuerst die Botschaft
„The Message comes first“, sagt Younge selbst, die Musik ist nicht so wichtig wie die Botschaft, die sie überbringt. Der Kalifornier stellt gleich im ersten Track viele Fragen: Wer sind wir und wo gehören wir hin? Wenn Schwarzsein ein von Stereotypen fabriziertes Konstrukt ist, was symbolisiert dann seine Identität? Haben wir überhaupt etwas gelernt? Bereits mit dem Podcast-Titel „Invisible Blackness“ verweist Younge auf den Autor Ralph Ellison, dessen Roman „Invisible Man“ schon 1952 Fragen nach afroamerikanischer Identität aufwarf.
Weiterer Einfluss: Der Soziologe W.E.B. DuBois, der seine Abhandlung über afroamerikanische Geschichte im Jahr 1915 schlicht „The Negro“ nannte. Diese Bezeichnung ist seit der US-Bürgerrechtsbewegung nur noch wenig gebräuchlich, beinhaltet aber keineswegs ausschließlich negative Konnotationen. Zuletzt fand das Wort im Fragebogen bei der US-Volkszählung 2010 Verbreitung. Dennoch wirkt es auf seltsam romantisierende Weise antiquiert, ein Pop-Album 2021 „The American Negro“ zu nennen.
Younge sieht das anders: Er spendiere den Hörer:Innen eine Geschichtsstunde. Auf seiner Homepage verkauft Younge Buttons, auf denen steht, dass 12 US-Präsidenten Sklaven hielten. Auf dem Album benennt der Produzent Jim-Crow-Klischees und schildert die Indifferenz, mit der Abraham Lincoln Afroamerikanern begegnete. Ermordeten wie George Stinney und James Mincey Jr. widmet Younge eigene Songs.
All das fühlt sich nach trockener Belehrung an und weniger nach Kunstwerk; jeder Spoken-Word-Track wird durch ein „Ping“ eingeleitet – Achtung, jetzt kommt die Message. Younges salbungsvoll vorgetragene Anklagen verlieren sich zuweilen in unnötig umständlichen Formulierungen. Wer die sozialkritischen Songs von Künstlern wie Gil Scott-Heron und Curtis Mayfield kennt, vermisst bei Adrian Younge das Spielerische und die musikpoetische Meta-Ebene.
„The American Negro“ stellt eher eine soziokulturelle Bestandsaufnahme der Gegenwart dar. „Ein musikalisches Manifest für Black Empowerment“, will ein Kritiker gehört haben. Ist es schon empowernd, sein Publikum zu ermahnen, Kinder liebevoll zu erziehen? Am Schluss fällt dann tatsächlich der Satz, der seit Jahren die sozialen Netzwerke dieser Welt verseucht: „Be the best version of yourself“.
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