piwik no script img

Biologin über Wolfangriff in Polen„Die erste Attacke seit 1945“

In Polen hat ein Wolf Kinder leicht verletzt: Für die Wolfsexpertin Sabina Pierużek-Nowak kein Grund, die Tiere abzuknallen.

Sie haben es überlebt: Wölfe im Wald Foto: AP
Interview von Gabriele Lesser

taz: Frau Pierużek-Nowak, ein Wolf hat zwei kleine Kinder im südostpolnischen Bieszczady-Gebirge angegriffen. Wie soll man auf den Vorfall reagieren? Die Wölfe in Polen abschießen?

Sabina Pierużek-Nowak: Nein. Erst mal müssen wir herausfinden, woher dieser sehr junge Wolf kam. Ob er aus einem Wolfsrudel aus den Bieszczady stammt – und noch nie Menschen angegriffen hat? Oder ob er möglicherweise vorher Kontakt mit Menschen hatte und im Wald ausgesetzt wurde? Man kann ja nicht alle wilden Wölfe für das seltsame Verhalten dieses einen Wolfs verantwortlich machen. Seit Kriegsende gab es keine einzige Wolfs­attacke auf Menschen in Polen.

Da Wölfe regelmäßig Schafe, Ziegen und manchmal sogar Kühe reißen, fordern Bauern dennoch ihren ­Abschuss. Was bringt das?

Wenig. Es sind hier jährlich gerade mal 1.000 Weidetiere, die von Wölfen gerissen werden. Die Bauern melden das und bekommen dann pro Tier eine Entschädigung. Umgerechnet sind das 180.000 Euro jährlich – oder 3,6 Prozent aller Entschädigungszahlungen. Die Hauptschäden durch Tiere, die unter Naturschutz stehen, werden durch Biber verursacht. Der natürliche Feind der Biber ist der Wolf. Schießt man ihn ab, werden die Schäden durch Biber nur noch größer. Zudem wissen die Bauern in den Karpaten, den Bieszczady und anderswo, wie sie ihre Weiden sichern müssen. Es sind ja auch keineswegs nur Wölfe, die gerne mal ein Lämmchen reißen. In Polen sind auch Braunbären unterwegs, Luchse und – nicht zu vergessen – streunende Hunde, die der Hunger manchmal nahe an die Dörfer treibt.

Wie viele Wölfe gibt es in Polen?

Anders als Deutschland, das mit rund 80 Wölfen eine gezählte Zahl angeben kann, müssen wir uns auf Schätzungen beschränken. In Polen war der Wolf nie ausgerottet, sondern lebte immer in den Wäldern, so dass wir – geschätzt – von bis zu 2000 Wölfen ausgehen.

Kann man sagen, dass Wölfe für den Menschen gefährlich werden, sobald ihre Zahl ein gewisses Limit überschreitet?

Wir haben zur Zeit mit dem ersten Fall einer Attacke seit 1945 zu tun. Sie scheint aber nichts mit der Zahl der Wölfe insgesamt zu tun zu haben.

privat
Im Interview: Sabina Pierużek-Nowak

ist die Vor­sitzende des polnischen Naturvereins „Wilk“ (Wolf). Sie promovierte über die Wolfspopulation in den West­karpaten.

Vorgestern hat ein Pitbull ebenfalls zwei Kinder in der Nähe von Warschau angefallen – und ihnen lebensgefährliche Verletzungen beigebracht. Sind manche Hunde gefährlicher für Menschen als Wölfe?

Absolut! Wir haben in Polen jedes Jahr mehrere Opfer, Kinder wie Erwachsene, die an Hundebissen sterben. Viele tragen entstellende Narben davon.

Viele Deutsche haben Angst vor Wölfen. Es gibt Märchen über gefährliche Wölfe. Woher kommt das?

Da sind wohl die Gebrüder Grimm schuld. Der böse Wolf will das Rotkäppchen auffressen. Bei uns gibt es keine Märchen über böse Wölfe. An der Grenze zur Ukraine gibt es sogar eine Kapelle mit einer Wolfsfigur. Dorthin pilgern Frauen, die nicht schwanger werden können. Auch in den Bieszczady, wo dieses Jungtier die beiden Kinder angegriffen hat, brach keine Panik aus. Dort leben die Menschen sehr naturverbunden. Alle sagten, dass sich dieser Wolf seltsam verhalten habe. Ganz anders, als sich normalerweise Wölfe verhalten. Also – keine Panik!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!