Biografie über Sigmar Gabriel: Verdientes Unentschieden
Alles, was Sie noch nie über Gabriel wissen wollten – aber unterhaltsam serviert bekommen: die neue Biografie über den neuen Außenminister.
Wird er doch noch irgendwann ein wirklich Großer? Und soll man sich das wünschen? Die erste Biografie über Sigmar Gabriel ist das spannendste Unentschieden der jüngeren deutschen Sachbuchgeschichte, ebenso wankelmütig wie der gerade abgetretene SPD-Chef und neue Außenminister – mit einer ebenso überraschenden Wendung am Schluss.
Wer verstehen will, wie es zu dem Führungswechsel an der SPD-Spitze kam, kann in diesem Buch viel lernen, das Gabriel genauso schwankend beschreibt, wie er selbst agiert. Dermaßen hochgeschrieben und dermaßen zerrissen wurde Gabriel noch nie. Alles in einem Buch.
Die Autoren Christoph Hickmann (SZ) und Daniel Friedrich Sturm (Welt) sind so herzergreifend hin- und hergerissen, dass man mitleidet – auch mit Gabriel – und immer weiterliest. Allein das ist schon erstaunlich. Denn wer hat schon Lust, 307 Seiten über einen sattsam bekannten Funktionär einer 20-Prozent-Partei zu lesen? Aber es lohnt sich.
Wie schaffen es die Autoren, dass man den oft verspotteten Gabriel plötzlich bewundert – und ein paar Seiten später verachtet? Ganz einfach: Sie schildern sein Leben. Seine Familie. Seine wechselvolle Karriere. Im Ergebnis: seinen Charakter. Ohne eine steile These voranzustellen. Hickmann und Sturm pflegen die beste journalistische Tugend: Neugier. Sie wollen nichts beweisen. Sie wollen hinschauen. Respekt für diese angemessen komplizierte Haltung zu einem komplizierten Menschen.
Bisher verborgene Seiten
Die Autoren erinnern an Gabriels bekannte Talente, wie seine rhetorische Begabung, die ihn einst zum SPD-Vorsitz trug, als er die Genossen aufrief: „Wir müssen raus ins Leben – da, wo’s laut ist, da, wo’s brodelt, da, wo’s manchmal riecht, gelegentlich auch stinkt!“ Aber sie schildern auch bisher verborgene Seiten.
Wer den Grantler Gabriel von aggressiven Interviews mit Marietta Slomka kennt, dürfte sich wundern, wie er mit ganz normalen Bürgern umgehen kann: „Wenn Sigmar Gabriel auf einen Bürger wie den Bäckermeister Warneke trifft, kann er an guten Tagen die Gewissheit erzeugen, es gebe auf der Welt, zumindest in diesem Moment, nichts, aber auch wirklich nichts Wichtigeres als seinen Gesprächspartner.“
Christoph Hickmann, Daniel Friedrich Sturm: „Sigmar Gabriel“. dtv, München 2016, 320 S., 24 Euro.
Einfühlsam? Geduldig? Gabriel? Haben sich die Autoren etwas vormachen lassen? Immerhin waren sie ja bei dem anscheinend ganz privaten Bäckerbesuch dabei. Doch diesen Gabriel beschreiben auch andere: Leute aus Gabriels Heimat und Basis Goslar. Leute, die ihn als hilfsbereit und verlässlich loben. Die ihn preisen für seinen grandiosen politischen Instinkt – eine Gabe, die schon in jungen Falken-Jahren auffiel und jetzt Frank-Walter Steinmeier ins Bundespräsidentenamt hievte.
Also doch eine Hymne auf Gabriel? Mitnichten. So suchen die Autoren lange vergeblich nach einem politischen Antrieb im Machtmenschen – und finden neben einem sehr vagen Bedürfnis nach sozialer Gerechtigkeit nur den konsequenten Kampf gegen Rechtsextremismus („Pack“), erklärbar durch die Auseinandersetzung mit dem Nazivater. Sicher ist diese Grundeinstellung gerade besonders wichtig. Aber reicht das und sein Redetalent für die Kanzlerschaft? Diese Frage hat Gabriel mit seinem Rücktritt selbst beantwortet.
Donnerndes Sowohl-als-auch
Aber warum ist er vorerst gescheitert? Hickmann und Sturm liefern Erklärungen, weil sie mit Freunden und Gegnern sprechen. Sie gehen dahin, wo es nach Liebedienerei riecht, und dahin, wo es nach Diffamierung stinkt. Sie kommen Gabriel sehr nahe, im Guten und im Schlechten. Wie er sich verschätzt und die nötige Geduld verliert. Überdreht. Brutal agiert. Oder erratisch.
Wie im Fall Sarrazin, den Gabriel erst aus der SPD schmeißen wollte und dann doch nicht: „Er rennt erst in die eine Richtung, danach in die andere, dreht noch einmal um und distanziert sich am Ende von sich selbst.“ Ein Satz, der natürlich vor dem Rücktritt als Parteichef geschrieben wurde und jetzt geradezu prophetisch klingt.
An einer Stelle zitieren die Autoren Gabriel, wie dieser Willy Brandt zitiert: Die SPD sei „die Partei des donnernden Sowohl-als-auch“. So verstanden, ist auch dieses Buch sehr sozialdemokratisch. Und jetzt? Im Moment sieht es so aus, als bleibe diese erste, kluge Gabriel-Biografie wohl auch die letzte. Aber wer weiß das schon, bei diesem Mann?
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