Bildungssenatorin Busse unter Druck: Schule in den Wechseltagen
Nachdem die Präsenzpflicht aufgehoben wurde, sind die Schulen verstimmt. Sie monieren die Handhabung von Kontaktnachverfolgung und Quarantäne-Regeln.
Eine Quote von 80 Prozent bei den Erstimpfungen bis Ende Januar hatte sich Giffey vor drei Wochen zum Ziel gesetzt. Doch die Quote stieg in dieser Zeit nur von 75,3 auf 76,6: Um die 80 Prozent noch zu erreichen, müsste der Anstieg nun in weniger als einem Drittel der Zeit dreimal so hoch sein. Giffey verwies stattdessen darauf, dass Berlin beim den über 60-Jährigen, unter denen rund 80 Prozent geimpft seien, beim Boostern und bei Kinderimpfungen vorne liegt.
Tags zuvor hatte die Verwaltung von Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) überraschend die Präsenzpflicht an Schulen aufgehoben. Das hieß: Alle Eltern – und nicht nur wie zuvor schon solche, die selbst oder deren Kinder besonders durch Corona gefährdet sind – können selbst entscheiden, ob sie ihr Kind zur Schule schicken oder nicht.
In den Schulen reagierte man am Dienstag überrascht und vielerorts mit Unverständnis auf diese Kehrtwende in Sachen Präsenzpflicht. Damit habe man „nicht gerechnet“, sagte Renate Krollpfeiffer-Kuhring vom Kreuzberger Leibniz-Gymnasium. Aus ihrer Sicht funktioniert der Stufenplan für die Schulen bisher gut, mit dessen Hilfe Schulleitungen, Schulaufsicht und die bezirklichen Gesundheitsämter am Ende jeder Woche das Infektionsgeschehen an den einzelnen Schulen beurteilen – und die Schulen dann gegebenenfalls in den Wechselunterricht schicken.
„Auch pauschalen Wechselunterricht für alle hätte ich eine klarere Ansage gefunden als dass man jetzt den Eltern die Entscheidung zumutet, ob sie Schule noch für einen sicheren Ort halten sollen oder nicht“, sagte Krollpfeiffer-Kuhring.
Probleme mit Quarantäneregeln
Unklar sei jetzt auch, was eigentlich gelte, findet die Schulleiterin. Die Quarantäneregeln des Senats besagten immerhin etwas anderes als die Linie, die die AmtsärztInnen jetzt für die Schulen ausgegeben hätten – was am Dienstagmorgen auch für zahlreiche Anrufe von verwirrten Eltern gesorgt habe: „Unser Sekretariat macht gerade quasi nichts anderes, als Eltern zu beraten.“ Busse und Giffey stellten am Dienstag klar: In Isolation müssen die, deren Test positiv ausfällt, nicht aber die Kontaktpersonen in der Klasse, also meist die Sitznachbarn.
Auch bei der Berliner Vereinigung der Oberstudiendirektorinnen und – direktoren ist man erbost: Die Kontaktdatennachverfolgung liege nun komplett bei den Schulen – wie übrigens zuvor auch schon, sagt Verbandsvorsitzender Arnd Niedermöller. Schon seit Monaten führten die Schulsekretariate Kontaktlisten, telefonierten Kontaktpersonen ab und schickten die Listen an die Gesundheitsämter: „In manchen Bezirken haben die Schulen die Quarantäneschreiben an die Kontaktpersonen verschickt.“
Nun müssten die Schulen damit weitermachen – und außerdem noch dafür Sorge tragen, dass sich die ermittelten Kontaktpersonen in der Schule täglich testen. Das haben die Amtsärzte als Vorgabe gesetzt, damit die Kontaktpersonen weiter zur Schule gehen können. Es müsse „endlich aufhören, dass die Gesundheitsämter nach Belieben über die Ressourcen im Schulbereich verfügen können und über schulische Abläufe bestimmen“, so der Schulleiter eines Lichtenberger Gymnasiums.
„Die Schulen fühlen sich zu Recht völlig alleingelassen“, sagt Tom Erdmann von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Die GEW plädiert seit längerem dafür, den Schulen frei zu stellen, ob sie in den Wechselunterricht gehen wollen oder nicht. „Die Präsenzpflicht auszusetzen halte ich aber für falsch“, sagt Erdmann. Damit würden genau die Kinder wieder aus dem Blick geraten, die ohne feste Struktur weder in die Schule kommen noch zu Hause lernen. Ähnlich kritisierte auch der Deutsche Lehrerverband die Berliner Entscheidung.
Nur wenige schickten ihre Kinder nicht
Ratlos ist man bei der GEW auch angesichts des Kommunikationschaos und eines „desaströsen Krisenmanagements“ seitens der Bildungsverwaltung. Bei der Gesamtpersonalratssitzung am Montagvormittag sei noch keine Rede davon gewesen. Auch der Reinickendorfer Amtsarzt Patrick Larscheid sprach am Montag von einer „entsetzlichen Dummheit“ und einer „einsamen Entscheidung“ von Bildungssenatorin Busse. Er kritisierte die Aufhebung der Präsenzpflicht scharf: Die soziale Spaltung der Kinder werde sich verschärfen. Busse sagte dazu in der Pressekonferenz nach der Senatssitzung, dass sie den Kritikern ihre Wortwahl nachsehen würde.
Der Zeitpunkt für ihre Entscheidung ist aus Busses Sicht besonders günstig, weil in den Tagen bis zur Zeugnisausgabe am Freitags als letztem Tag vor den Winterferien nicht mehr viel passiere. Sie ging zudem davon aus, dass die Mehrheit der Kinder in der Schule sein werde. Auf Nachfrage der taz, wie viele Eltern ihr Kind am Dienstag zu hause ließen, nannte Busse Zahlen für den Bezirk Neukölln, wo sie bis Dezember eine Grundschule leitete: Nach einer ersten Abfrage hätten nur ein bis drei Prozent dieses Möglichkeit genutzt. Die Schulleiter Niedermöller und Krollpfeiffer-Kuhring berichteten von vereinzelter Inanspruchnahme an ihren Schulen.
GEW-Vorsitzender Erdmann sagte: „Auch nach fast zwei Jahren Pandemie werden die Schulen an einem Nachmittag über Maßnahmen informiert, die ab dem nächsten Morgen umzusetzen sind.“ Die Eltern würden nun erwarten, dass die Schulen wieder Aufgaben und Material das Lernen zu Hause organisieren. Das gehe aber nicht „von heute auf morgen“.
Bildungssenatorin Busse sah das anders: Die Lehrer würden diese Situation seit zwei Jahren kennen. Außerdem müssten in den letzten Tagen vor den Ferien „nicht mehr so dicke Aufgabenpakete geschnürt werden.“ Die Zeit danach lasse sich in den Ferien vorbereiten – „das machen gute Lehrer so“. Eine von der mitregierenden Linkspartei geforderte Verlängerung der Ferien lehnte sie klar ab. „Das geht auf keinen Fall“, sagte Busse und begründete das mit dann wegfallender Kinderbetreuung. Giffey setzt darauf, dass die Präsenzpflicht ab Anfang März wieder gilt.
Zweifel kamen in der Pressekonferenz zudem daran auf, wie die Hospitalisierungsinzidenz – die Auslastung der Kliniken mit Corona-Patienten – erhoben wird. Giffey hatte zuvor gesagt, manche Leute kämen mit und nicht wegen einer Corona-Infektion ins Krankenhaus. Auf die Frage, ob sich die Einstufung nicht eindeutig durch einen Grund auf einem Einweisungsschein oder einem Aufnahmeformular ergebe und dadurch klar sei, gaben weder Giffey noch die ebenfalls anwesende Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne) eine schlüssige Antwort.
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