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Bildungspolitik in BerlinKritik an Schulplatzvergabe

Zwei Schulverbände kritisieren das Verfahren, mit dem Schü­le­r*in­nen auf weiterführende Schulen verteilen werden. Dies würde Gymnasien entlasten.

Lange Schulwege werden einige Kinder im kommenden Jahr zurücklegen müssen, denn nicht überall reichen die Plätze aus Foto: Marijan Murat / dpa

Der Grundschulverband und der Gesamtschulverband kritisieren den neu geregelten Wechsel der Grundschüler in die weiterführenden Schulen. Die Regeln stellten die Schulen vor akute Probleme. In einer gemeinsamen Erklärung vom Dienstagabend sprechen die Verbände von einer „Skandalkette“.

Hintergrund ihrer Kritik ist, dass Sechst­kläss­le­r*in­nen am Ende ihrer Grundschulzeit seit diesem Schuljahr einen bestimmten Notenschnitt haben müssen, um ans Gymnasium wechseln zu dürfen. Wer diesen Schnitt nicht erreichte, konnte einen eintägigen „Probeunterricht“ an einem Gymnasium absolvieren. Der „Probeunterricht“ sei höchst fragwürdig, kritisieren die Verbände. Nur ein Bruchteil der Kinder hatte diesen Probetag bestanden und darüber dann einen Platz am Gymnasium ergattert.

„Die Gymnasien werden erheblich geringere Schülerzugänge haben und dadurch entlastet“, kritisieren Grundschul- und Gesamtschulverband in ihrer Erklärung. Im Gegenzug seien die Gemeinschaftsschulen und die Integrierten Sekundarschulen (ISS) überrannt. Viele Schulen müssten die Klassen vergrößern oder zusätzliche 7. Klassen einrichten.

Hunderte Kinder hätten nun mit dem Versand der Schulbescheide erfahren, dass sie „wegen massiver Raumprobleme“ keine ihrer drei Wunschschulen besuchen können werden. Viele würden in oft weit entfernt liegende Schulen „verschoben“, mit „unzumutbar langen Schulwegen“. Rein rechtlich gilt innerhalb von Berlin ein Schulweg von rund einer Stunde pro Strecke als „zumutbar“. Die Schulbescheide sind in der vergangenen Woche bei den Eltern eingegangen.

Der Tagesspiegel hatte anhand einer Abfrage bei den Bezirken bereits darauf hingewiesen, dass es etwa in Friedrichshain-Kreuzberg ein Drittel mehr Anmeldungen an Sekundarschulen als im vergangenen Jahr gebe – und entsprechend ein Drittel weniger an den Gymnasien. In Neukölln seien es demnach knapp ein Viertel weniger Anmeldungen an Gymnasien.

Dass Sekundarschulen nun weitere Klassen einrichten müssten, sei „der Gipfel destruktiver Schulpolitik“, sagt Robert Giese vom Verband für Schulen des gemeinsamen Lernens und dem Netzwerk der Berliner Gemeinschaftsschulen. Er ist außerdem Schulleiter der Fritz-Karsen-Gemeinschaftsschule in Neukölln.

„Dadurch gefährdet man gelingende Schulen“, kritisiert Giese. Diese enorme Überlastung „gerade der Schulen, die sich vor pädagogischen Herausforderungen nicht drücken“, werde als „Verdichtung“ und „Umschichtung“ verharmlost, sagt er. „Es scheint keiner auf die Idee zu kommen, zusätzliche ISS-Klassen dort einzurichten, wo mehr Platz ist: in den Gymnasien.“

Die Bildungsverwaltung erklärt auf taz-Nachfrage, dass in ganz Berlin Schulplätze fehlen. „Das trifft auch die Gymnasien, gerade an den stark nachgefragten Gymnasien wird es auch sehr eng“, sagt ein Sprecher. Denn auch dort wachsen die Klassen: Für Gymnasien gilt ein Richtwert von 32 Schü­le­r*in­nen pro Klasse. Doch der kann auch überschritten werden. An Sekundarschulen liegt die Obergrenze im Prinzip bei 26 Schü­le­r*in­nen pro Klasse.

Der Unterschied ist darin begründet, dass die Verwaltung davon ausgeht, dass die Se­kun­dar­schü­le­r*in­nen mehr pädagogische Betreuung brauchen als Gymnasiast*innen. Laut Bildungsverwaltung werden erst in der kommenden Woche endgültige Zahlen vorliegen, die zeigen, wie viele Schü­le­r*in­nen an welche Schulform kommen.

Bei den Verbänden sehen sie es auch kritisch, dass Schüler und Eltern so lang auf die Bescheide warten mussten, diese hätten bereits vor Monaten verschickt werden können. „Das ist keine lernförderliche Bildungspolitik“, kritisiert Ines Garlisch, Vorsitzende des Grundschulverbandes in Berlin. „Viele unserer Kinder fühlen sich demotiviert und missachtet und gehen mit Ängsten in das neue Schuljahr und in die völlig unbekannten Schulumgebungen.“ Garlischs Verband und der Gesamtschulverband fordern eine Neuregelung, die sicherstellt, dass der Übergang in die Sekundarstufe I „ohne massenhafte Verunsicherungen und Demütigungen der Schülerinnen und Schüler“ gestaltet werden kann.

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