Bildung: Das Sorgenkind heißt Vera

Der Grundschulverband kritisiert die alljährliche Lernstandserhebung von Drittklässlern, weil sie die Kinder überfordert und zu wenig differenziert sei.

Ein Wort, das viele Drittklässler noch nicht kennen: Mangobaum. Bild: Wikimedia

Vera war es, die Maresi Lassek wohl die meisten Sorgen bereitet hat im Schuljahr, das gerade zu Ende gegangen ist. Die Sorgen waren so groß, dass sich die Bundesvorsitzende des Grundschulverbands, die als Rektorin die Bremer Grundschule am Pfälzer Weg leitet, Zeit für ein ausführliches Gespräch nimmt, obwohl jetzt erst mal große Ferien sind.

Vera ist keine Schülerin, sondern eine Lernstandserhebung, der sich die dritten Klassen unterwerfen müssen, Vergleichsarbeiten in der Grundschule, dafür steht die Abkürzung. Vera soll Leistungsvergleiche ermöglichen, den Schulen bei der Standortbestimmung helfen und Impulse geben für die Unterrichtsentwicklung. Vera will viel, erreicht es aber nicht wie gewünscht - und dürfte damit ziemlich exakt dem entsprechen, was viele der Schülerinnen und Schüler erleben, die sich an drei Tagen - zuletzt im Februar und März - mit Aufgaben in Rechtschreibung, Lesen und Mathematik abmühen mussten. Lassek, 60, sagt: "Vera beschämt und benachteiligt viele der Kinder." Sie hat Schüler weinen sehen, die an den Matheaufgaben scheiterten; sie und ihre KollegInnen müssen nach den Tests Kinder aufbauen, die frustriert sind, weil sie es gerade mal geschafft haben, den Text für das Leseverständnis zu lesen und keine Zeit mehr hatten, die Fragen zu beantworten. "Den Kindern kann man dann nur sagen: ,Du hast das prima gemacht'. Man muss sie aufbauen und ihnen zeigen, dass der Test nicht so eine Bedeutung hat."

Die Kritik des Grundschulverbands, der sich mit 10.000 Mitgliedern für die Verbesserung der Grundschulen einsetzt, trifft Vera von zwei Seiten. Zum einen, sagt Lassek, bezögen sich die Testfragen auf Kompetenzstandards der Kultusministerkonferenz für Viertklässler, Vera selbst aber wird am Ende der dritten Klasse abgehalten. Schon allein strukturell überfordert er die Kinder also. Lassek verdeutlicht das an einem Text, den die Kinder lesen und verstehen müssen. Da ist von einer Elefantenherde die Rede, die immer wieder durch ein Hotel schreitet, weil das Hotel auf Wegen gebaut wurde, die die Tiere seit jeher benutzen. Der Text hat es in sich. Eine Kollegin Lasseks hat gleich mehrere Dutzend Wörter identifiziert, die die Kinder noch gar nicht kennen. "Mangobaum" zum Beispiel, "Rezeption", "Gewohnheitstier" oder "Pfeifchen". Ehe sich die Kinder durchgearbeitet haben, ist die Zeit oft abgelaufen. Bei den Matheaufgaben sieht es ähnlich aus; Erich Wittmann, emeritierter Mathematik-Professor der TU Dortmund, hat Vera in einer Analyse an die hessische Kultusministerin als "Zumutung" und "sprachlichen Schund" bezeichnet.

Der zweite Teil der Kritik des Grundschulverbands betrifft den Umgang mit Vera. Eigentlich sind die Testergebnisse intern, dennoch würden Schulen damit werben, wenn sie gut abschneiden. Das setze andere unter Druck, befürchtet Lassek: "Schulen, die nicht mit Vera-Ergebnissen werben, werden automatisch als schlecht angesehen." Sie weiß von Schulen, die regelrecht auf Vera hin üben und die Kinder zu besonders guten Leistungen anspornen, damit die Schule bei Vera gut abschneidet. Das, sagt Lassek, widerspricht dem Ziel von Vera, das kein Bildungs-Monitoring à la Pisa sein soll, und verfälsche die Ergebnisse.

Der Grundschulverband lehnt Lernstandserhebungen nicht grundsätzlich ab, fordert aber differenziertere Fragestellungen und vor allem angemessene Aufgaben, die von den Kindern auch gelöst werden können. Einen Boykott, wie er von Berliner Schulen gefordert wurde, unterstützt der Verband nicht, sagt Lassek. Es gehe mehr um Alternativen und Beratung.

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