Bildband über die scheidende Kanzlerin: Schon 1998 mit Raute

Erst fand Angela Merkel die Idee Quatsch. Die Fotografin Herlinde Koelbl begleitete sie dennoch durch ihre Karriere. Ein Bildband zeigt nun das Ergebnis.

Angela Merkel.

Hier ohne Raute: Angela Merkel im Jahr 2008 Foto: Herlinde Koelbl

Die Eröffnung ist brillant. Herlinde Koelbls aktueller Bildband „Angela Merkel. Portraits 1991–2021“, ein schweres und wie vom Taschen Verlag gewohnt solide gearbeitetes Coffee Table Book, zeigt als erstes Bild ein Porträt von 1994, auf das eines aus diesem Jahr folgt. Und siehe da, die Bildfolge zeigt: Ihr ist nichts passiert, dieser aus heutiger Sicht erschreckend jungen und etwas linkisch posierenden Frau, wie sie frontal zur Kamera gewandt ein keckes Lächeln versucht.

Die damals keineswegs angstfreie und daher durchaus beeindruckbare Angela Merkel hat keinen wirklichen Schaden genommen in den 30 Jahren, die sie in der Politik mitmischte, davon 16 Jahre als Kanzlerin. Denn da steht sie, die sichtlich an Gewicht und Jahren zugelegt hat, die Hände locker in die Seite gestützt und lächelt der Fotografin und damit uns entspannt entgegen, selbstbewusst und freundlich. Cool, calm and collected. So wie sie auch ihre politischen Geschäfte führte.

1994 allerdings – da war die Frauenministerin im Kabinett Kohl gerade Umweltministerin geworden – gestand sie Herlinde Koelbl, sie fürchte aus dem Ganzen demoliert, ja beschädigt herauszukommen. Genau diese Frage nach den „Spuren der Macht“ hatte die Fotografin umgetrieben und sie zu jenem Langzeitprojekt gleichen Titels angeregt, für das sie nach vielversprechenden Talenten in Politik und Wirtschaft Ausschau hielt, um sie über einen Zeitraum von acht Jahren zu fotografieren und zu interviewen und so in ihrem Werdegang zu begleiten.

Als eines dieser insgesamt 15 Talente pickte sich Herlinde Koelbl auch Angela Merkel heraus, neben Gerhard Schröder, damals niedersächsischer Ministerpräsident, dem hessischen Umweltminister Joschka Fischer von den Grünen unter anderen. Einmal am Ende jedes Jahres schaute die Fotografin dann bei ihren Kandidaten vorbei, fotografierte und filmte sie und erfragte in intensiv geführten Gesprächen, welche Veränderungen sie im Verlauf ihrer Karrieren in ihrem Welt- und in ihrem Selbstbild beobachtet haben wollten.

Zu Beginn war Merkel skeptisch. „Was soll der Quatsch?“, fragte sie. „Das Buch erscheint ja erst in acht Jahren, man muss heute in der Presse auftauchen“. Das hatte die Frau aus dem Osten schon gelernt. Aber wie es so geht, vor allem wenn man erst einmal Herlinde Koelbl persönlich begegnet, bald war sie von deren Studie angetan. „Ich musste also feststellen, dass ich offensichtlich doch eitel genug bin, ihr Projekt interessant zu finden“, gestand sie 1998, als das Projekt zu seinem Ende kam. Da hatte die CDU gerade die Wahl verloren und sie war nun deren Generalsekretärin.

Aber 2005, sie ist inzwischen CDU-Vorsitzende und Spitzenkandidatin, verliert Gerhard Schröder die Wahl gegen Angela Merkel, die Kanzlerin wird. Und da fangen sie wieder an, die jährlichen Besuche der Fotografin. Bis jetzt zum Ende ihrer Kanzlerschaft dringt darüber nichts an die Öffentlichkeit. Als „Merkels Hausfotograf“ (Der Spiegel) wird Andreas Mühe, Sohn des Schauspielers Ulrich Mühe, berühmt. Er inszeniert sie in romantischer Pose, im Park mit dem Rücken zum Betrachter. Er fotografiert ihre Wahlkampagne. Er fotografiert sie in Farbe.

Herlinde Koelbl: „Angela Merkel“ Taschen Verlag Köln 2021, Hardcover, 248 Seiten, 50 Euro.

Herlinde Koelbl fotografiert schwarz-weiß, eine Nahaufnahme, ein Schulterstück und ein Hüftbild. Immer steht die Kanzlerin vor neutralem Hintergrund, frontal zur Kamera gewandt. Herlinde Koelbl fotografiert mit einer Mittelformatkamera, mit der sie ihrem Gegenüber recht nahe kommt. Man meint deshalb auch dessen leiseste mimische Rührung beobachten zu können. In dieser Hinsicht verlieren die Fotos von Angela Merkel, angefangen vom ersten bis hin zum letzten, nicht an Faszination.

Die Interviews freilich, die bis 1998 die Aufnahmen kontextualisieren, und sich dabei als zeitgeschichtlich bedeutende Zeugnisse zum Zustand und zur Selbstwahrnehmung der politische Klasse erweisen, weichen mit der ersten Porträtfolge 2006 Zitaten, die den Bildern beigestellt sind. Der journalistische Ansatz in Herlinde Koelbls Konzept geht damit verloren, die Langzeitbeobachtung wirkt weichgespült, Tendenz Herrscherporträt, auch weil die Zitate teils einfach banal sind.

Ein viel zitiertes aber lohnt sich, noch einmal wiedergegeben zu werden, als vorbildliche Lektion in Patriotismus: „Ich muss ganz ehrlich sagen: Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land.“

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