piwik no script img

Bildband „The adidas Archive“Gebrauchte Schuhe bitte zurück!

Von der Sportartikel- zur Lifestylemarke: Dieses Buch zeigt einen Ausschnitt aus dem historischen Produktarchiv des Sportartikelherstellers.

Über 350 Modelle bildet „The adidas archive“ ab, darunter auch nie gezeigte Prototypen Foto: adidas archive / studio waldeck photographers Habermeier und Jäger Gb

„The adidas Archive“ liefert nicht, wie man annehmen könnte, eine Firmengeschichte, wie sie mit allen ihren hellen und dunklen Facetten eben im Archiv geborgen wird. Stattdessen liefert der tonnenschwere Prachtband aus dem Taschen Verlag einen Einblick in das museologische Unternehmen einer vollständigen Dokumentation des Sportschuharchivs von Adidas.

So herausragend die Fotografien des hochwertig hergestellten Bildbandes sind, es handelt sich bei ihnen nicht um Werbefotografie. Vielmehr wurde die größtmögliche Stringenz und Vergleichbarkeit aller Bilder über die Jahre hinweg angestrebt. Daher sind die Modelle nicht inszeniert, nichts ist retuschiert und jede effekthascherische Lichtgestaltung fehlt.

Im Gegenteil, wie Sebastian Jäger sagt, der mit Christian Habermeier Autor und Fotograf des Bandes ist: „Wir lernten die leiseren Töne des Lichts.“ Die Faszination an der Detailgenauigkeit der Aufnahmen – an den Stollen der Schuhe, die Nationaltorhüterin Nadine Angerer bei der Fußballweltmeisterschaft 2007 trug, klebt noch Gras aus China – toppt jede Werbeästhetik.

Wie die Geschichte des italienischen Luxuslabels Bulgari zeigt, das seine über Jahrzehnte entstandenen Schmuckstücke für die in den 1990er Jahren konzipierte Heritage Collection mühselig und teuer zurückkaufen muss, ist ein solches Produktarchiv nicht selbstverständlich. Das weltweit einzigartige historische Archiv des Sportartikelherstellers verdankt sich denn auch dem besonderen Charakter von Adolf/Adi Dassler, einem von zwei Brüdern, die ab 1920 in der elterlichen Waschküche in Herzogenaurach begannen Sportschuhe herzustellen.

Adizero Afterburner 2.0 JR baseball shoe, 2016 Foto: adidas archive / studio waldeck photographers Habermeier und Jäger Gb

Puma vs. Adi(das)

Während der gut aussehende, Puma genannte ältere Bruder Rudolf für den Vertrieb zuständig war, konzentrierte sich Adi ganz auf die Konstruktion der Schuhe. Der Tüftler und Perfektionist bat die Sportler, ihre gebrauchten, nicht mehr benutzten Schuhe an ihn zurückzuschicken, damit er anhand der Gebrauchsspuren erkennen könnte, was noch verbessert werden könne.

Buchcover. Eine Schnittbild aus drei unterschiedlichen Adidas-Schuhen. Darüber der Titel.
Das Buch

Christian Habermeier, Sebastian Jäger: „The adidas Archive. The Footwear Collection“. Taschen Verlag 2020, 644 Seiten, 100 Euro

Lina Radke, die 1928 bei den Olympischen Spielen in Amsterdam die Goldmedaille über 800 Meter gewann, schickte ihre Gewinnerschuhe also zurück. Sie ist der erste in einer endlosen Reihe prominenter Namen aus dem Sport und inzwischen auch aus der Musik- und Unterhaltungsindustrie, die noch immer Adis Bitte Folge leisten.

Die Schuhfabrik der Gebrüder Dassler schrieb freilich nicht nur frühe Designgeschichte, sondern steht in den Jahren nach 1933, damals traten die Brüder in die Partei ein, für die übliche böse deutsche Unternehmensgeschichte mit Zwangsarbeit und Aufträgen für die Rüstungsindustrie.

Adi Hoop Mid sneaker, 2009 Foto: adidas archive / studio waldeck photographers Habermeier und Jäger Gb

Nach dem Untergang des Deutschen Reiches denunzierten sich die Brüder gegenseitig als Nazis, trennten ihre Geschäfte und sprachen nie mehr ein Wort miteinander. Ihre weitere Konkurrenz war ausgesprochen innovationsfördernd, wobei Adi die Nase vorn hatte.

Kooperationen mit Kanye West und Stella McCartney

Seine wegweisenden, öffentlich nie gezeigten Prototypen sind genauso wie einzigartige Raritäten unter den über 350 Modellen, die der Band vorstellt. Darunter Helmut Rahns Endspielschuhe von der Fußball-WM 1954 in Bern und die 2010 produzierten Sondermodelle für Lionel Messi.

Wie sich adidas von der Sportartikel- zur Lifestylemarke fortentwickelte, kann an der Zusammenarbeit mit Modedesignern und Musikern wie Kanye West, Pharell Williams, Stella McCartney, Yohji Yamamoto und der Organisation Parley for the Oceans nachverfolgt werden. Letzterer verdanken sich die zu 95 Prozent aus recyceltem Meeresplastikmüll bestehenden Ultraboost- und NMD-Modelle. Das Archiv wird also sicher weiter aufgefüllt werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!