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Bilanz zum 10. Jubiläum meiner FluchtWie alles ganz anders gekommen ist

Meine Flucht aus Syrien liegt nunmehr zehn Jahre zurück. Ich bin für vieles unendlich dankbar. Zugleich wird mir Deutschland immer fremder.

Willkommenskultur, das war mal: Freiwillige Hel­fe­r*in­nen erwarten Geflüchtete am 5. September 2015 in München Foto: dpa | Nicolas Armer

D ieses Jahr würde ich das zehnjährige Jubiläum meiner Flucht aus Syrien „feiern“ – aber dieses Wort ist sehr unpassend, denn niemand feiert wirklich, dass er oder sie flüchten musste. Dass er oder sie die Heimat, die Familie, die Vergangenheit und die bekannten Orte und vertrauten Netzwerke zurücklassen musste. Viele intelligente, berühmte und wortgewandte Menschen haben Texte über Flucht verfasst, und doch weiß man erst wirklich, was für eine Zäsur eine Flucht ist, wenn sie dann hinter einem liegt.

Vor zehn Jahren, genau zu dieser Jahreszeit, bin ich aus meiner Heimat geflohen. Ich empfand zuerst große Erleichterung, dass ich die vorangegangenen drei Jahre voller Angst und Trauer hinter mir lassen konnte, dass ich es tatsächlich über die syrische Grenze geschafft hatte.

Viele meiner Freunde und Verwandten wurden verfolgt, verschleppt – oder ihnen gelang die Flucht nicht. Ich habe meine Heimat nicht direkt zu Beginn des Konflikts verlassen, sondern noch drei Jahre im Krieg verbracht. Ein Tag im Krieg ist sehr lang, weil so viel passiert und sich alles schnell verändern kann – das verstehen nur diejenigen, die den Krieg selbst erlebt haben.

Als ich endlich raus war, hatte ich klare Ziele vor Augen: Arbeit und Unterkunft finden, die Sprache meines neuen Aufenthaltsortes lernen und mein Studium fortsetzen.

Das Leben, das ich jetzt führe, ist ein Luxus. Und doch finde ich Anlässe, mich über Deutschland zu beschweren. Ziemlich oft sogar, sagt meine Frau

Doch das Schicksal hatte andere Pläne: Die Unterkunft, zu der ich wollte, gab es gar nicht; und statt in Antalya einen Studienplatz zu suchen, musste ich nach Istanbul und mir einen Job suchen, um zu überleben. Das klingt vielleicht aus heutiger Sicht dramatisiert, aber wenn man kaum Erspartes und keine nützlichen Verbindungen hat, fühlt es sich in so einer Situation so an. Ich fand einen Schlafplatz in einem Zimmer, dass ich mir mit mehr als 20 anderen jungen Männern teilte, vor allem Syrern in ähnlichen Positionen wie ich.

Das interessante bei uns Menschen ist, dass wir oft glauben, unser Schicksal wäre einzigartig. Ich fand einen Job in einer Textilfabrik und kam nur zum Schlafen in meine Massen-WG – und trotzdem glaubte ich noch ein paar Monate lang weiter an meinen Plan, das Studium fortsetzen zu können.

Nun, da ich heute im Hamburger Grindelviertel sitze und diese Kolumne schreibe, wisst ihr, dass alles ganz anders gekommen ist. Ich bin einer der Geflüchteten, die im Herbst 2015 auf dem Höhepunkt der deutschen „Willkommenskultur“ ins Land kamen, und aus heutiger Sicht einer derjenigen, die zu den „Guten“ gezählt werden würden. Das hoffe ich jedenfalls!

Das Leben, das ich heute lebe, ist ein Luxus, von dem viele Geflüchtete träumen. Vor allem Syrer*innen, die noch in der Türkei sind und dort zunehmendem Rassismus ausgesetzt sind. Oder Syrer*innen, die aktuell vor einem neuen Krieg im Libanon erneut flüchten müssen, manche sogar zurück nach Syrien.

In Deutschland hatte ich viele Chancen und konnte endlich wieder Kontrolle über mein Leben erlangen. Ich habe neue Freunde, Liebe, Familie und Arbeit gefunden, wofür ich unendlich dankbar bin – wie viele andere Geflüchtete auch. Und doch finde ich auch Anlässe, mich über Deutschland zu beschweren. Ziemlich oft sogar, sagt meine Frau.

Ich weiß nicht genau wie, aber obwohl Hamburg mir immer vertrauter wird, wirkt Deutschland zunehmend fremder. Die Art und Weise, wie aktuell über Geflüchtete gesprochen und diskutiert wird (mehr als „Bett, Seife, Brot“ dürfe man ihnen nicht geben), entmenschlicht uns und unsere Geschichten. Ja, ich sage hier ausnahmsweise mal „uns“, weil auch nach zehn Jahren fühle ich mich manchmal noch wie ein Flüchtling.

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